JudikaturJustiz6Ob59/18x

6Ob59/18x – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. April 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde G*****, vertreten durch Mag. Dr. Franz Hafner und Dr. Karl Bergthaler, Rechtsanwälte in Altmünster, gegen die Beklagten 1. Dr. H***** K*****, 2. Dr. K***** K*****, beide vertreten durch Dr. Klaus Krebs, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2018, GZ 23 R 139/17f 50, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 24. Juli 2017, GZ 3 C 193/16t 44, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird so abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.263,36 EUR (darin enthalten 341,56 EUR USt und 214 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Stadtgemeinde begehrt – soweit im Revisionsverfahren noch von Belang – die Aufkündigung und Räumung eines den Beklagten vermieteten Geschäftslokals aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 11 MRG. Der Kündigung wurde der Vorbehalt nach § 32 Abs 1 MRG beigesetzt, ein Ersatzobjekt erst im Zug des Prozesses anzubieten.

Die Beklagten wandten vor allem ein, das ihnen angebotene Ersatzlokal sei insbesondere wegen eines deutlich höheren Mietzinses kein angemessener Ersatz.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Klagebegehren ab. Es traf ua folgende Feststellungen:

Das im Gemeindegebiet der Klägerin gelegene Haus mit der Adresse *****, in dem sich das Bestandobjekt befindet, steht im Eigentum der Klägerin. Die Beklagten sind aufgrund der Mietverträge vom 1. Februar 1928 und vom 16. Oktober 1933 Hauptmieter des ca 75 m² großen Geschäftslokals, das sich rechts vom Haupteingang des Rathauses befindet. Die Nutzfläche des Lokals beträgt 68,29 m². Der Hauptmietzins wurde ab 1. Jänner 2001 in Höhe von 508,71 EUR (wertgesichert nach dem Verbraucherpreisindex) zuzüglich Mehrwertsteuer und Betriebskosten vereinbart. Die klagende Partei räumte der Rechtsvorgängerin der Beklagten das uneingeschränkte, branchenfreie Untermiet- und Weitergaberecht ein. Die Beklagten haben das Geschäftslokal um 1.450 EUR zuzüglich Umsatzsteuer und Betriebskosten untervermietet.

Die Klägerin beabsichtigt, das derzeit ca 200 m vom Rathaus entfernte Bürgerservicecenter in den aufgekündigten Räumlichkeiten unterzubringen, sodass dieses und die Einlaufstelle des Rathauses eine räumliche Einheit bilden sollen. Dass dadurch der Mietgegenstand auf eine Art verwendet werden soll, die in höherem Maß den Interessen der Verwaltung dient als die gegenwärtige Verwendung (§ 30 Abs 2 Z 11 MRG), ist im Revisionsverfahren nicht strittig.

Die Klägerin hat den Beklagten ein hinsichtlich Beschaffenheit, Lage, Ausstattung und Erhaltungszustand im Wesentlichen vergleichbares Ersatzgeschäftslokal mit einer Nutzfläche von 62,33 m² um einen Mietzins von 15 EUR/m 2 , somit von 935 EUR zuzüglich Umsatzsteuer und Betriebskosten, angeboten.

Beide Mietgegenstände befinden sich im Stadtzentrum in guter Wohn und Fußgängerfrequenzlage. Im Immobilienpreisspiegel beträgt der Mietzins für Geschäftslokale im Jahr 2016 im Jahresdurchschnitt mit einer derartigen 1 A Lage bis 60 m² 16,30 EUR und bei Geschäftslokalen von 60 bis 150 m² 11,92 EUR.

In rechtlicher Hinsicht meinte das Erstgericht, die Klägerin müsse den Beklagten nach § 32 MRG ein nach Lage und Beschaffenheit angemessenes Ersatzobjekt anbieten. Diese Angemessenheit liege angesichts des deutlich höheren Mietzinses für das Ersatzlokal nicht vor.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne der Klagsstattgebung ab. Es übernehme die von der Rechtsprechung zu Ersatzwohnungen für die Fälle eines unverhältnismäßig niedrigen Mietzinses entwickelte Rechtsprechung auch für Geschäftslokale, zumal ansonsten auch in diesen Fällen eine Eigenbedarfskündigung bei einem – aus welchen Gründen immer – unverhältnismäßig niedrigen Mietzins faktisch stets ausgeschlossen wäre, weil Geschäftslokale am Markt normalerweise zu derart niedrigen Entgelten nicht neu vermietet würden. Der für das gekündigte Objekt derzeit von den Beklagten bezahlte Mietzins von monatlich 508,71 EUR ergebe aufgewertet per Mai 2017 691,34 EUR netto und sei im Vergleich zum erzielbaren und auch tatsächlich erzielten (Unter )Mietzins von monatlich 1.450 EUR unverhältnismäßig niedrig. Der für das Ersatzlokal zu zahlende Mietzins von monatlich 935 EUR netto sei angemessen. Daher stehe die sich aus der Inanspruchnahme des ansonsten gleichwertigen Ersatzlokals ergebende Mietzinserhöhung von netto rund 690 EUR auf netto 935 EUR der Beurteilung des Ersatzlokals als insgesamt angemessen nicht entgegen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil – im Gegensatz zu Wohnungen – betreffend Geschäftslokale zur Frage, ob die Erhöhung eines unangemessen niedrigen Mietzinses auf einen angemessenen die Qualifizierung als taugliches Ersatzobjekt im Sinn des § 32 Abs 2 MRG hindere, keine Rechtsprechung des Höchstgerichts vorliege.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Die Revision macht geltend, der bisherige Mietzins von den vom Berufungsgericht errechneten 691,34 EUR bei einer Nutzfläche von 72,5 m² betrage 9,53 EUR/m², für das Ersatzlokal hingegen 15 EUR/m². Dies sei eine Mietzinssteigerung von 57,4 %, sodass eine Gleichwertigkeit des Ersatzobjekts nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu wurde erwogen:

Die Gesetzeslage zur Eigenschaft des Ersatzes für Geschäftsräumlichkeiten hat sich seit 1922 nicht geändert. Danach muss bei Geschäftsräumlichkeiten „ein nach Lage und Beschaffenheit angemessener Ersatz“ beschafft werden (§ 19 Abs 2 Z 6 MG idF BGBl 1922/872: noch nicht zwischen Wohnräumen und Geschäftsräumlichkeiten differenzierend; § 19 Abs 2 Z 6 MG idF BGBl 1929/200: nur mehr für Geschäftsräumlichkeiten; für Geschäftsräumlichkeiten weiterhin unverändert: § 21a Abs 2 MG idF BGBl 1974/409; § 32 Abs 2 MRG in der Stammfassung).

Zur Eigenschaft eines Ersatzgeschäftslokals existiert langjährige ständige Rechtsprechung: Für ein aufgekündigtes Geschäftslokal ist ein angemessener Ersatz zu leisten, worunter ein im Wesentlichen gleichwertiges Objekt zu verstehen ist, das dem Mieter eine Fortsetzung der Betriebstätigkeit unter etwa den gleichen Bedingungen ermöglicht und für das kein wesentlich höherer Mietzins zu entrichten wäre (MietSlg 7373; 23.371; 6 Ob 556/87; zuletzt 6 Ob 188/13k; vgl auch MietSlg 1912; 4012; 5867; 8182; 8941). Diese Rechtsprechung wird auch von der Lehre nicht in Frage gestellt ( Würth , Der § 21a Mietengesetz und seine praktische Anwendung, ImmZ 1974, 359 [364]; Hausmann in Hausmann/Vonkilch , Wohnrecht 3 [2013] § 32 MRG Rz 7; Illedits Lohr in Illedits/Reich Rohrwig , Wohnrecht 2 [2014] § 32 Rz 7; Würth/Zingher/Kovanyi , Miet und Wohnrecht 23 [2015] § 32 MRG Rz 5; Lovrek in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner , GeKO Wohnrecht I [2018] § 32 MRG Rz 8).

Im vorliegenden Fall ist aber der Mietzins für das Ersatzlokal wesentlich höher, und zwar unabhängig einerseits davon, von welcher Größe des aufgekündigten Objekts man ausgeht (68,29 m² oder 75 m²; das Berufungsgericht hat die diesbezügliche Beweisrüge nicht erledigt), andererseits von den absoluten Nettomietzinsbeträgen (die angesichts der geringeren Fläche des Ersatzlokals etwas weniger differieren).

Entgegen den Erwägungen des Berufungsgerichts kommt es nach der zitierten Rechtsprechung nicht auf den marktüblichen angemessenen Zins oder den von den Beklagten erzielten Untermietzins (vgl 7 Ob 97/91) für das aufgekündigte Objekt an. Im Übrigen würde sich entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung auch bei einer Orientierung am marktüblichen Zins am Ergebnis nichts ändern, weil dieser bei Geschäftslokalen von über 60 m² – worunter auch das Ersatzlokal fällt – mit 11,92 EUR (gemeint pro m 2 ) festgestellt wurde. Die Klägerin verlangt demgegenüber 15 EUR/m 2 für das Ersatzlokal. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist auch mit der geltenden Rechtsprechung bei unverhältnismäßig niedrigem Mietzins eine Eigenbedarfskündigung keineswegs ausgeschlossen: Die Klägerin hätte es in der Hand gehabt, den Beklagten das Ersatzobjekt für einen ähnlich günstigen Mietzins anzubieten.

Da somit das angebotene Ersatzobjekt nicht angemessen im Sinn der ständigen Rechtsprechung ist, hat das Erstgericht zu Recht die Kündigung aufgehoben. Dessen Urteil war wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Einheitssatz beträgt im Revisionsverfahren nur 60 %.