JudikaturJustiz6Ob259/20m

6Ob259/20m – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Wiener Neustadt zu FN ***** eingetragenen S***** GmbH mit dem Sitz in ***** über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und der Geschäftsführer 1. L*****, 2. T*****, alle vertreten durch Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. November 2020, GZ 30 R 231/20s, 30 R 232/20p, 30 R 233/20k 20, mit dem die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Oktober 2020, GZ 8 Fr 818/20t 12, 13 und 14, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 15 FBG iVm § 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] § 283 UGB sieht vor, dass bei nicht rechtzeitiger Einreichung des Jahresabschlusses (unter anderem) einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung Zwangsstrafen zu verhängen sind. Dass im vorliegenden Fall der Jahresabschluss zum 30. 9. 2018 zum maßgeblichen Zeitpunkt 30. 6. 2019 nicht eingereicht worden war, ist nicht strittig. Unterbleibt die Offenlegung, sind nach § 283 Abs 1 UGB (neben der Gesellschaft) auch die Geschäftsführer zur Befolgung der Offenlegungsvorschriften durch Zwangsstrafen anzuhalten. Schon diese Formulierung weist als Adressaten der Zwangsstrafenandrohung alle Mitglieder eines kollegialen Vertretungsorgans aus. Auf die für das Innenverhältnis maßgebliche Geschäftsverteilung kommt es dabei nicht an. Der Umstand, dass die Zwangsstrafe gegen alle Geschäftsführer verhängt werden kann, findet seine sachliche Rechtfertigung in der jeden Geschäftsführer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung unabhängig von einer allfälligen Geschäftsverteilung treffenden Pflicht zur Rechnungslegung, deren Überprüfung und Unterfertigung (RS0113283).

[2] Der erkennende Senat hat bereits in der Entscheidung 6 Ob 30/21m im Zusammenhang mit einer ebenfalls dem S*****-Konzern angehörenden Gesellschaft zu den auch hier im außerordentlichen Revisionsrekurs vorgebrachten Argumenten Stellung genommen, wobei einer der beiden (hier) Geschäftsführer auch die dort belangte Gesellschaft vertrat und in beiden Verfahren sämtliche Revisionsrekurswerber von derselben Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten wurden bzw werden. Zu den weitgehend wortidenten Revisionsrekursausführungen führte der Senat wie folgt aus:

[...]

3. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Fachsenats, dass zur Wahrung der Frist des § 277 UGB (hier: iVm § 2 1. COVID-19-JuBG) die Einreichung eines vorläufigen Jahresabschlusses ausreicht (RS0127129), wobei die Frage, ob im konkreten Fall die Erstellung eines vorläufigen Jahresabschlusses möglich war (gewesen wäre), keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG darstellt (6 Ob 72/12z RWZ 2012/104 [ Wenger ]). Dies gilt auch für die Frage, ob der Geschäftsführer seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nachgekommen ist (RS0123571 [T5]).

4. Nach § 283 Abs 2 Satz 2 und 3 UGB kann von der Verhängung einer Zwangsstrafe abgesehen werden, wenn das Organ offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegenstand, zugewartet werden. Dabei reicht allerdings für die Verhängung von Zwangsstrafen bloße – auch leichte – Fahrlässigkeit der Geschäftsführung aus (RS0123571).

4.1. Der außerordentliche Revisionsrekurs beruft sich darauf, dass die Erstellung auch nur eines vorläufigen Jahresabschlusses organisatorisch selbst bei intensivsten Bestrebungen nicht zu bewältigen gewesen sei, seien doch die Geschäftsführer der Gesellschaft aufgrund des Bilanzskandals und der damit einhergehenden Untersuchungen, des überlangen Werterhellungszeitraums und der Insolvenzanträge gegen die Konzerngesellschaft S***** AG gehindert gewesen.

Allerdings hat der erkennende Senat unter anderem bereits klargestellt, dass ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis nicht schon dann anzunehmen ist, wenn „vertragliche Aspekte zur Abklärung anstanden, die nicht gänzlich rechtlich aufgeklärt werden konnten“ (6 Ob 162/11h RWZ 2012/104 [ Wenger ]) oder einzelne Bilanzpositionen mit Unsicherheit behaftet sind (6 Ob 225/11y RWZ 2012 [ Wenger ]). Selbst die Berufung auf interne Unstimmigkeiten vermag mehrere Geschäftsführer nicht von ihrer Verpflichtung zu entbinden (6 Ob 214/15m). Auch ansonsten verneint die Rechtsprechung (insbesondere) des Obersten Gerichtshofs „Unmöglichkeit“ beziehungsweise fehlendes Verschulden regelmäßig: So wurden etwa das Ausbleiben des Alleingesellschafters bei der den Jahresabschluss feststellenden Generalversammlung (6 Ob 32/12t RWZ 2012/104 [ Wenger ]), eine Betriebsprüfung (RS0127070), eine Erkrankung oder das Alter des Geschäftsführers (6 Ob 8/12p), das Fehlen von Steuerformularen (6 Ob 66/12t) oder die Beschlagnahme von Unterlagen in einem Strafverfahren (OLG Wien 28 R 27/01y NZ 2002/93) nicht als unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse qualifiziert. Dies gilt auch für jene Fälle, in denen sich die Organe oder ein für die Gesellschaft bestellter Insolvenzverwalter auf die Unauffindbarkeit von Buchhaltungsunterlagen berufen. In solchen Fällen ist darzulegen, dass die für die Erstellung des Jahresabschlusses notwendigen Unterlagen auch nicht (mehr) erlangt werden können; es sind (jedenfalls) jene konkreten Schritte darzutun, die unternommen wurden, sich die Unterlagen zu beschaffen beziehungsweise die Erfüllung der gesetzlichen Offenlegungspflicht zu ermöglichen (RS0127098).

Der Geschäftsführer muss in allen Fällen nachweislich alles unternommen haben, um die rechtzeitige Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten (6 Ob 211/09m; 6 Ob 199/11z). Eine gegenteilige Auslegung würde letztlich zu einem „Freibrief“ für alle offenlegungspflichtigen Gesellschaften etwa in Fällen führen, in denen „vertragliche Aspekte abzuklären“ (6 Ob 162/11h RWZ 2012/104 [ Wenger ]) oder Bilanzpositionen unsicher sind (6 Ob 225/11y RWZ 2012 [ Wenger ]). Ein Verständnis des Gesetzes, wonach ein gänzliches Unterbleiben der Offenlegung des Jahresabschlusses aus solchen oder ähnlichen Gründen akzeptiert werden müsste, womit aber die Gläubiger bzw andere interessierte Dritte keinerlei Informationen über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft erhalten würden, liefe dem Zweck der Bilanzpublizität diametral zuwider (6 Ob 225/11y RWZ 2012 [ Wenger ]). Der Zweck der Offenlegung von Jahresabschlüssen besteht darin, Dritte, die die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht ausreichend kennen oder kennen können, zu informieren (6 Ob 20/08x; 6 Ob 214/15m). Dieser Zweck könnte jedoch leicht vereitelt werden, ließe man der Gesellschaft und ihren Organen die Möglichkeit offen, sich unter Berufung auf innere Umstände den Offenlegungspflichten zu entziehen (6 Ob 214/15m), weshalb der Zweck der Offenlegungspflichten eine strenge Vorgehensweise durch die Firmenbuchgerichte rechtfertigt (6 Ob 214/15m). Dies gilt auch in Fällen, in denen die Erstellung eines (endgültigen) Jahresabschlusses dadurch erschwert wird, dass sich die konkrete Gesellschaft in einem Konzernverbund mit anderen Gesellschaften befindet und sich aus dieser Verzahnung Schwierigkeiten bei der Erstellung von Jahresabschlüssen ergeben, wobei es gerade in einer wie der vom außerordentlichen Revisionsrekurs beschriebenen schwierigen Situation des S*****-Konzerns unumgänglich ist, zumindest durch einen vorläufigen Jahresabschluss die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

4.2. Der außerordentliche Revisionsrekurs verweist weiters auf die seit März 2020 grassierende COVID 19-Pandemie, die ebenfalls die Erstellung eines (auch nur) vorläufigen Jahresabschlusses erschwert habe. Dem ist allerdings zum einen entgegen zu halten, dass zum Zeitpunkt des ersten Lock down am 16. 3. 2020 der Jahresabschluss gemäß § 222 UGB bereits hätte aufgestellt sein müssen. Die Ausführungen des außerordentlichen Revisionsrekurses, „die Gesellschaft – wie auch der gesamte S*****-Konzern – [ seien ] derart vom Ausbruch der COVID-19-Pandemie getroffen [ worden, so ]dass die Erstreckung der Anwendbarkeit des § 3a Abs 2 COVID-19-GesG auf den hier gegenständlichen Jahresabschluss erwägenswert erschein[ e ]“ – womit der am 27. 10. 2020 offensichtlich als fristgerecht eingebracht anzusehen wäre –, verkennen zum anderen, dass der Gesetzgeber diesen Gegebenheiten mit sehr detaillierten Fristenregelungen (vgl Artmann aaO Rz 45 ff) zur Aufstellung des Jahresabschlusses und der Offenlegung ohnehin Rechnung getragen hat. Dass diese Fristerstreckungen im Einzelfall als ungenügend oder unbefriedigend angesehen werden (könnten), rechtfertigt nicht, diese Regelungen auch auf Fälle anzuwenden, für die sie nicht vorgesehen sind.

[3] Diese Überlegungen haben erst recht für jene Fälle zu gelten, in denen die Jahresabschlüsse bereits lange vor der COVID-19-Pandemie aufgestellt und eingereicht hätten werden müssen.