JudikaturJustiz5Ob27/23s

5Ob27/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin A*, vertreten durch Dr. Romana Aron, Mieter Interessens-Gemeinschaft Österreichs, Antonsplatz 22, 1100 Wien, gegen den Antragsgegner Dr. T*, vertreten durch Dr. Manfred Palkovits, Mag. Martin Sohm, Rechtsanwälte in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. November 2022, GZ 39 R 157/22k-33, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Gegenstand des Revisionsrekurses ist (nur mehr) die Frage, ob bei der Ermittlung des höchstzulässigen Richtwertmietzinses ein Lagezuschlag nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG zu berücksichtigen ist.

[2] 2. Gemäß § 16 Abs 4 MRG ist ein Lagezuschlag (ua) nur dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG). Ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen (RIS Justiz RS0111204 [T2]). Dazu bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen).

[3] In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS0131812).

[4] Maßgeblich für die Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ sind unterschiedliche Faktoren und Standorteigenschaften, so etwa die Verkehrsanbindung (öffentlicher Verkehr und Individualverkehr), Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung, kulturelles Angebot, Sport- und Freizeitanlagen, Parks, Grünflächen und Gewässer (also die „Infrastruktur“ im weitesten Sinn). Ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der (Über-)Durchschnittlichkeit vor allem einer innerstädtischen Lage ist auch der Umstand, ob die zu beurteilende Liegenschaft – gemessen an vergleichbaren Lagen – eine besondere (Grün-)Ruhelage aufweist oder im Gegenteil über das zu erwartende Ausmaß von Verkehr, Abgasen und Lärm belastet wird. Auch das Image der Wohnumgebung kann in die Beurteilung miteinzubeziehen sein (5 Ob 83 /2 2z mwN).

[5] Die (Über-)Durchschnittlichkeit der Lage ist dabei in einer Gesamtschau und unter Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Vorzunehmen ist eine Gesamtschau, weil die Lagequalität nur insgesamt erfasst werden kann. Die Auflistung und Bewertung einzelner Lagefaktoren kann nur ein Kontrollinstrument sein (5 Ob 83/22z mwN).

[6] 3. Bei der Beurteilung der Lagequalität ist den Gerichten ein gewisser Wertungs- und Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser nicht überschritten wird, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (5 Ob 83/22z; 5 Ob 20/22k mwN). Eine solche im Einzelfall aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt der Antragsgegner in seine r außerordentlichen Re vision nicht auf:

[7] 3.1. Das hier zu beurteilende Haus liegt im 14. Wiener G emeindebezirk. Es ist ein Eckhaus an der Kreuzung zweier in diesem Bereich stärker befahrene n Straßenzüge. Das Erstgericht traf detaillierte Feststellungen zur I nfrastruktur im weitesten Sinn, vor allem zur A nbindung an den öffentliche n Verkehr, zum Gastronomieangebot, zur Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung, Sport- und Freizeitanlagen und Parks. Die festgestellte Infrastruktur betrifft zu einem guten Teil den Bereich des Hietzinger Platzes („1130 Wien, Am Platz“) und die Einrichtungen und Versorgungsmöglichkeiten dort sind nur durch Überquerung des Wienflusses sowie der auf beiden Seiten stark befahrenen Einfahrts- und Ausfahrtsstraßen der Stadt zu erreichen.

[8] Anders als das Erstgericht berücksichtigte das R ekursgericht diese Einrichtungen und Versorgungsmöglichkeiten im 13. Bezirk bei der Beurteilung der Lagequalität des Hauses nicht. Das – zusammengefasst – mit der Begründung, dass der Wienfluss und die zu beiden Seiten befindlichen Fahrbahnen eine natürliche Grenze und Barriere der Erreichbarkeit seien. Die Infrastruktur i m 13. Bezirk möge für die Bewohner auf der anderen Seite des Wienflusses attraktiv sein, die Q ualität der hier relevanten Wohnumgebung im 14. Bezirk beeinflusse sie nicht. N aturräumliche Grenzen wie etwa d ie Donau, de r Donaukanal, aber auch de r Wienfluss trennten die relevante Wohnumgebung; d iese ende ausnahmsweise tatsächlich an der Bezirksgrenze. Die Vorteile des 13. Bezirks könnten daher bei der Beurteilung einer Lage im 14. Bezirk nicht berücksichtigt werden.

[9] De r Revisionsrekurswerber ist zwar insoweit im Recht, als die Aussage, der Wienfluss als natürliche (und zugleich politische) Grenze begrenze auch die zu beurteilende konkrete Lage (Wohnumgebung), nicht verallgemeinert werden kann. Die Berücksichtigung der (jeweils) jenseits des Wienflusses gelegenen Lagemerkmale auszuschließen, überzeugt viel mehr nur dann, wenn im konkreten Einzelfall die Möglichkeiten der Überquerung tatsächlich eingeschränkt sind, die Erreichbarkeit der auf der anderen Uferseite gelegenen Einrichtungen also erschwert ist und diese daher nach der Verkehrsauffassung die Lage nicht charakterisieren. Diese Beurteilung hängt somit von den konkreten, insbesondere örtlichen Gegebenheiten ab und entzieht sich zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit generellen Aussagen. Letztlich begründet aber ohnedies auch das Rekursgericht die Außerachtlassung der Lagecharakteristika rund um den „Hietzinger Platz“ mit den konkreten örtlichen Gegebenheiten, nämlich damit, dass die gegebene Distanz von 600 bis 750 m nicht mehr als fußläufig bezeichnet werden könne und sich die im Nachbarbezirk gelegenen Geschäfte und Lokale daher außerhalb der relevanten Wohnumgebung befinden. Mit dieser Beurteilung hat das Rekursgericht den ihm eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten.

[10] 3.2. Wie der Antragsgegner in seinem Revisionsrekurs ohnedies selbst erkennt, macht es das Gebot der Beurteilung nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens notwendig, sich bei dieser Beurteilung von einem gleichsam mathematischen Verständnis des Wortes „durchschnittlich“, als dem Mittelwert aus einer gegebenen Grundgesamtheit (annähernd) entsprechend, zu lösen. Die Lage ist in einer Gesamtschau und durch Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika zu beurteilen, nicht aus der Auflistung und Bewertung einzelner Lagefaktoren zu berechnen. Letzteres kann nur ein Kontrollinstrument sein (5 Ob 100/21y mwN).

[11] Dass das Rekursgericht hier den vom Sachverständigen ermittelten Wert von 2,74 nicht zum Anlass nahm, das Ergebnis seiner Gesamtschau der einzelnen Lagecharakteristika zu korrigieren, ist jedenfalls nicht zu beanstanden. Der vom Rekursgericht argumentierten ausdrücklichen Bestätigung seiner Einschätzung durch Aufrundung dieses Rechenergebnisses des Sachverständigen auf die Schulnote 3 bedarf es – angesichts seiner Funktion als bloßes Kontrollinstrument – nicht.

[12] 3.3. Nach der Rechtsprechung des Fachsenats ist eines der relevanten Lagekriterien für die Beurteilung der (Über-)Durchschnittlichkeit der Lage auch der Umstand, ob die zu beurteilende Liegenschaft – gemessen an vergleichbaren innerstädtischen Lagen – eine besondere (Grün-)Ruhelage aufweist oder im Gegenteil über das im innerstädtischen Gebiet zu erwartende Ausmaß von Verkehr, Abgasen und Lärm belastet wird (5 Ob 20/22k; 5 Ob 104/21m mwN).

[13] Das Rekursgericht v erw ies auf die im Sachverständigengutachten abgebildete Lärmkarte und bezog die starke Belastung durch Straßenlärm von 70–75 dB in seine Gesamtbetrachtung mit ein. Diese erhöhte Beeinträchtigung durch Straßenlärm schmälert die Wohnqual ität un d ist daher bei der Gesamtbetrachtung aller Lagecharakteristika als negative Ei g enschaft zu b erücksichtigen. D er Revisionsrekurswerber geht auf dieses sohin zutreffende Argument des Rekursgerichts nicht ausdrücklich ein, verweist alle r dings auf 5 Ob 83/22z; die dort beurteilte Belastung durch Verkehrslärm (bis zu 65 dB ) war freilich deutlich geringer.

[14] 3.4. Auch die Argumente des Revisionsre k urswe rbers zu den sonstigen Lageeigenschaften geben keinen Anlass zur Annahme, das Rekursgericht habe – in der gebotenen Gesamtschau und Gewichtung der einzelnen Lagecharakteristika – den ihm bei der Beurteilung der Qualität der Lage (Wohnumgebung) eingeräumten Wertungs- und Ermessensspielraum verlassen.

[15] 4. Der Revisionsrekurs war daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

Rechtssätze
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