JudikaturJustiz4Ob586/70

4Ob586/70 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Oktober 1970

Kopf

SZ 43/172

Spruch

Gelingt es dem Vermieter, durch Überreichen eines dem Mieter schon beim Abschluß des Mietvertrages abverlangten und vom Mieter unterschriebenen Kündigungsformulars unter Umgehung der zwingenden Bestimmungen des § 19 Abs 6 und des § 23 MG einen Exekutionstitel zu erwirken, dann kann der Mieter das unwirksame Zustandekommen auch nach Exekutionsbewilligung geltend machen

OGH 13. Oktober 1970, 4 Ob 586/70 (LGZ Wien 45 R 300/70; BG Hietzing 5 C 139/70)

Text

Am 21. Mai 1970 langte beim Erstgericht eine von der kundigenden Partei Georg F unterfertigte, mittels Formulars hergestellte Aufkündigung ihres Mietverhältnisses an der Wohnung Nr 2 im Hause W 13, B-Gasse ein, die den Antrag enthielt, der gekundigten Partei als Vermieter die Übernahme des Bestandgegenstandes aufzutragen. Diese Kündigung wurde der gekundigten Partei Dr Alfred L durch Hinterlegung am 25. Mai 1970 zugestellt. Am 1. Juni 1970 brachte die kundigende Partei einen Schriftsatz ein, in dem sie erklärte, Einwendungen gegen die Aufkündigung zu erheben und vorsorglich zu erklären, daß die Kündigung zurückgenommen werde. Sie führte u a aus, tatsächlich liege nicht eine Kündigung seitens des Mieters, sondern eine Kündigung des Vermieters vor. Das verwendete Kündigungsformular sei anläßlich der Begründung des Mietverhältnisses dem damaligen Vermieter Andreas B übergeben worden. Der Mietvertrag sei am 18. August 1962 hinsichtlich des gegenständlichen Objektes für die Zeit bis zum 31. August 1969 abgeschlossen worden. Zur Durchsetzung dieses vorgesehenen Räumungstermines habe der Vermieter die Aushändigung eines blanko unterschriebenen Satzes von Kündigungsformularen durch den Mieter Georg F erwirkt. Von diesem Kündigungsformular habe nunmehr Dr L Gebrauch gemacht.

Das Erstgericht nahm die Rückziehung der Aufkündigung durch die kundigende Partei zur Kenntnis.

Infolge Rekurses der gekundigten Partei änderte das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß die Erklärung der kundigenden Partei, die Kündigung zurückzunehmen, zurückgewiesen wurde.

Zur Begründung führte das Rekursgericht aus:

Nach ständiger Rechtsprechung könne nach der Zustellung einer Aufkündigung und vor Erhebung von Einwendungen durch die gekundigte Partei die kundigende Partei die Aufkündigung nicht zurücknehmen. Eine Aufkündigung sei nicht nur ein verfahrensrechtlich geregelter Formalakt, sondern auch eine materiellrechtliche Willenserklärung, welche die Auflösung des Mietverhältnisses herbeiführe, wenn sie unwidersprochen bleibe und daher Rechte und Pflichten nach sich ziehe. Erst nach der Erhebung von Einwendungen könne die kundigende Partei die Aufkündigung unter Verzicht auf den Anspruch zurückziehen, weil durch die Erhebung von Einwendungen das Verfahren ein streitiges werde und damit die Bestimmungen des § 237 ZPO zur Anwendung kämen. Zur Erhebung von Einwendungen sei die kundigende Partei nicht berechtigt. Die kundigende Partei sei daher zur Rückziehung der Aufkündigung im gegebenen Falle nicht berechtigt. Das Erstgericht hätte daher auch die Zurücknahme der Einwendungen nicht zur Kenntnis nehmen dürfen, weil es damit zum Ausdruck gebracht hätte, daß es die Aufkündigung als zurückgenommen ansehe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der kundigenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rekurswerberin führt unter Bezugnahme auf § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG ins Treffen, die Untergerichte hätten prüfen müssen, ob die Zustellung der Aufkündigung durch Hinterlegung am 25. Mai 1970 ordnungsgemäß erfolgt sei, weil dann, wenn dies nicht der Fall wäre, und die Kündigung im Zeitpunkt der Zurücknahme der gekundigten Partei noch nicht ordnungsgemäß zugestellt gewesen sei, die Zurücknahme der Kündigung wirksam erfolgt sei.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten: Auf dem Zustellschein ist durch Streichungen auf dem vorgedruckten Text auf der Vorderseite desselben (GeOF 31) vom Zusteller der Fall beurkundet, wonach das Schriftstück beim Postamt hinterlegt wurde, weil der Empfänger ungeachtet in den dort befindlichen Briefkasten eingeworfener Aufforderung nicht anzutreffen war. Dies aber entspricht der Bestimmung der §§ 106 Abs 2, 104 ZPO. Da die Untergerichte nach der Aktenlage keine Bedenken gegen die Rechtswirkung der Zustellung zu haben brauchten, ja nicht einmal im Revisionsrekurs konkrete Behauptungen in der Richtung einer Rechtsunwirksamkeit der Zustellung aufgestellt werden, bestand für die Untergerichte keine Veranlassung, von Amts wegen Nachforschungen darüber anzustellen, ob der beurkundete Zustellungsvorgang auch den Tatsachen entsprach. Es muß also davon ausgegangen werden, daß der gekundigten Partei die Kündigung ordnungsgemäß zugestellt wurde. Mangels der Erhebung von Einwendungen durch die gekundigte Partei ist daher die Aufkündigung in Rechtskraft erwachsen. Die Partei aber, die kundigt, kann gegen die von ihr eingebrachte Aufkündigung keine Einwendungen erheben.

Wenn der Rechtsmittelwerber ferner behauptet, in Wahrheit habe nicht er, sondern Dr L gekundigt, das verwendete Kündigungsformular sei aber anläßlich der Begründung des Mietverhältnisses dem damaligen Vermieter Andreas B übergeben worden, so wird dabei außer acht gelassen, daß nach dem eigenen Vorbringen der kundigenden Partei Dr L als Rechtsnachfolger des Andreas B anzusehen ist (vgl auch Fasching, Kommentar zu den ZPGesetzen IV 630). Die kundigende Partei behauptet nicht etwa, die von ihr unterschriebenen "Blankoformulare" seien entgegen ihrem Willen mißbräulich in die Hände des Hauseigentümers gelangt. Der Fall einer mißbräulichen Verwendung des Kündigungsformulars, wie er der in der Entscheidung MietSlg 4850/23 behandelten Sache zugrunde lag, hat hier außer Betracht zu bleiben. Nach den Behauptungen der kundigenden Partei hat sich vielmehr der Vermieter ein Kündigungsrecht in einem weiteren Maß, als es das Mietengesetz zuläßt, durch die Übergabe der Kündigungsformulare an ihn gesichert. Eine solche Vereinbarung ist, falls sie im Sinne der Behauptungen der kundigenden Partei tatsächlich getroffen worden sein sollte, und das Mietenverhältnis den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliegt, gemäß §§ 19 Abs 6 und 23 MG unwirksam. Gelang es aber Dr L durch Einreichung des dem Mieter seinerzeit abgeforderten und von diesem unterfertigten Kündigungsformulars in Umgehung dieser zwingenden Bestimmungen einen Exekutionstitel zu erwirken, weil Georg F als formell Kundigender dieses Verfahrens keine Einwendungen erheben konnte, so kann dieser das unwirksame Zustandekommen in einem Verfahren nach § 39 Abs 1 Z 1 EO jederzeit, auch nach Exekutionsbewilligung geltend machen (SZ 26/105, 3 Ob 48/63 = EvBl 1963/324, 6 Ob 72/64 = MietSlg 15.670). Für eine Überprüfung der hier in Betracht kommenden rein materiellrechtlichen Fragen ist im vorliegenden Verfahren kein Platz.