JudikaturJustiz3Ob205/05a

3Ob205/05a – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Vollstreckbarerklärungssache der Antragstellerin K*****, Tschechische Republik, vertreten durch Baier Lambert Rechtsanwälte OEG in Wien, wider den Antragsgegner Dr. Viktor Igáli-Igálffy, Rechtsanwalt, Wien 3., Landstraßer Hauptstraße 34, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Zvonko S*****, wegen 103.233.341,33 USD, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Mai 2005, GZ 47 R 214/05a, 215/05y-27, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 78 EO iVm § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch von 37.422,72 EUR (darin 6.237,12 EUR Umsatzsteuer) an Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 zweiter Satz und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.

Text

Begründung:

Nach Ansicht des fallid gewordenen Antragsgegners (im Folgenden nur Gemeinschuldner) verletzt der angefochtene Beschluss - Bestätigung der Vollstreckbarerklärung des Leistungsurteils eines englischen Gerichts für Österreich - § 81 Z 3 EO, weil die Möglichkeit zur Erhebung einer Berufung im Urteilsstaat von der Erfüllung unzumutbarer Bedingungen, die einem gänzlichen Ausschluss des Zugangs zum Rechtsmittelgericht gleichstünden, abhängig gemacht worden sei. Das widerspreche dem inländischen verfahrensrechtlichen ordre public. Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Masseverwalter beruft sich als Stütze für seinen Standpunkt insbesondere auf das Urteil des EGMR vom 19. Juni 2001 Kreuz gg Polen Beschwerde Nr 28.249/95 (= ÖJZ 2002/29, 693 MRK). Er übergeht indes, dass diese Entscheidung nicht die Erfüllung bestimmter Bedingungen als Voraussetzung einer Berufung nach einem Erkenntnisverfahren in erster Instanz, sondern eine gänzliche Verweigerung des Rechtsschutzes wegen der Abhängigkeit der prozessualen Behandlung einer Klage von der Zahlung einer prohibitiven Gerichtsgebühr zum Gegenstand hat. Dementgegen erging das hier für Österreich für vollstreckbar erklärte Urteil eines englischen Gerichts nach einer eingehenden Beweisaufnahme in einem Verfahren, in dem das rechtliche Gehör des nunmehrigen Gemeinschuldners nicht beschnitten war. Das vom EGMR in jener Rechtssache erzielte Ergebnis beruht somit auf einem anderen Sachverhalt. Der EGMR unterstrich jedoch, dass etwa (auch) für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln Beschränkungen finanzieller Natur - so etwa in Gestalt einer Sicherheitsleistung für die dem Rechtsmittelgegner voraussichtlich entstehenden Kosten - festgelegt werden dürfen. Er berief sich dabei u. a. auf das in der Rechtssache Tolstoy-Miloslavsky gg das Vereinigte Königreich ergangene Urteil vom 13. Juli 1995 Z1 8/1994/455/536 (= ÖJZ 1995/49, 949 MRK). Dort wurde betont, dass für die Anwendung des Art 6 Abs 1 EMRK auf Rechtsmittelverfahren dessen besonderen Wesenszüge vor dem Hintergrund der Gesamtheit des nationalen Verfahrensrechts unter Berücksichtigung der Rolle des Rechtsmittelgerichts maßgebend seien (Z 59). Die Auferlegung einer Sicherheitsleistung für die (voraussichtlichen) Verfahrenskosten des Prozessgegners (im Rechtsmittelverfahren) - dort konkret 124.900 £ - verfolge das gerechtfertigte Ziel, Letzteren gegen die (allfällige) Uneinbringlichkeit solcher Kosten zu schützen, falls das Rechtsmittel erfolglos bleiben sollte. Da ferner auch auf die mangelnde Erfolgsaussicht des Rechtsmittels des Beschwerdeführers Bedacht genommen worden sei, liege das Erfordernis der Auferlegung der erörterten Sicherheitsleistung auch im Interesse an der Wahrung einer fairen Rechtspflege (Z 61), ohne dass daher - nach den im Einzelnen behandelten weiteren Umständen jenes Falls - das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zum (Rechtsmittel )Gericht durch die Auferlegung einer unter Beachtung der Zwecke des Art 6 Abs 1 EMRK unverhältnismäßigen Sicherheitsleistung verletzt worden wäre (Z 63-67).

2. Der nunmehrige Gemeinschuldner wurde mit dem englischen Urteil wegen eines zu Lasten der Antragsstellerin begangenen Betrugs mit Hilfe von Akkreditiven zu einer Schadenersatzleistung inklusive Verzugszinsen von 103.233.341,33 USD verurteilt. Außerdem wurde er verpflichtet, dem Prozessgegner zunächst einen Betrag von 750.000 £ an Prozesskosten aus dem Titel des Schadenersatzes zu zahlen. Nach den von der Antragstellerin mit der Rekursbeantwortung vorgelegten Urkunden, die der Widerlegung der vom Masseverwalter für eine Versagung der Vollstreckbarerklärung ins Treffen geführten Gründe dienten und nach Grundsätzen der Waffengleichheit verwertet werden durften, ohne dass der Bezugnahme auf den Urkundeninhalt im erörterten Verfahrensstadium ein Neuerungsverbot entgegengestanden wäre, ließ das englische Rechtsmittelgericht eine Berufung des nunmehrigen Gemeinschuldners nur in Ansehung eines Betrags von 91,630.054 USD des in erster Instanz zugesprochenen Kapitals von 94,470.382,82 USD unter den Bedingungen zu, dass der fällige Kostenbetrag von 750.000 £, die Differenz der voranstehenden Kapitalbeträge von 2,840.328,22 USD (rechnerisch richtig: 2,840.328,28 USD) und 100.000 £ als Sicherheitsleistung für die im Rechtsmittelverfahren für den Prozessgegner voraussichtlich entstehenden Kosten binnen 21 Tagen gezahlt würden. Diese Entscheidung gründete sich auf die - hier kurz zusammengefassten - Erwägungen, dass das ergangene Urteil einen bis ins letzte Detail erwiesenen ausgeklügelten Betrug zu Lasten der Antragstellerin betreffe, nicht gegen die Haftung dem Grunde nach berufen werden solle, jedenfalls ein hoher Schadenersatz zu zahlen sein werde, die Berufung auf schwachen Beinen stehe, es an einer Rechtsgrundlage für die Nichtzahlung des Kostenbetrags und des nicht (mehr) strittigen Teils der Ersatzleistung mangle, einige Gründe für die Annahme sprächen, das der eigentliche Berufungszweck in der Aufschiebung der Konkurseröffnung über das Vermögen des Rechtsmittelwerbers liege, der Grad der Offenlegung dessen Vermögens entweder auf mangelnder Offenheit beruhe oder auf das Bestreben abziele, als Vermögensloser weiterhin Geschäfte - letztlich zu Lasten seiner Gläubiger - abschließen zu können, er als Begünstigter eines Trusts keine Angaben über dessen Vermögen gemacht und im Übrigen selbst angegeben habe, er habe eine Anzahl von Freunden, die ihre Bereitschaft bekundet hätten, das Verfahren in seinem Interesse zu finanzieren.

Angesichts dieses Sachverhalts ist - entgegen der Ansicht des Masseverwalters - nicht zu erkennen, dass der angefochtene Beschluss im Licht der unter 1. erörterten Rsp des EGMR auf einer auffallenden Fehlbeurteilung als Voraussetzung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses beruht.

3. Soweit im Revisionsrekurs unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-32/95 P Lisrestal Ld. u. a. gg Kommission (= Slg 1996 I-5373 geltend gemacht wird, der angefochtene Beschluss verletze auch Gemeinschaftsrecht, weil es nach diesem „ein verbrieftes Recht auf ein Rechtsmittelverfahren" gebe, ist bloß zu entgegnen, dass jene Entscheidung das Recht der Rechtsmittelgegner der Kommission auf Anhörung im Rechtsmittelverfahren und deren Verteidiungsrechte in diesem Kontext behandelt. Aus diesem Urteil ist indes nicht ableitbar, dass das Zivilprozessrecht jedes Mitgliedstaats der Europäischen Union ein Recht auf Berufung gegen in erster Instanz ergangene Entscheidungen vorsehen müsse, das über die vom EGMR in Auslegung des Art 6 Abs 1 EMRK erläuterten Anforderungen hinausgehe.

Entgegen der Ansicht des Masseverwalters ist aber auch dem in der Rechtssache C-7/98 Krombach gg Bamberski ergangenen Urteil des EuGH vom 28. März 2000 (= Slg 2000 I-1935) nicht zu entnehmen, dass „ein gemeinschaftsrechtlich verbrieftes Grundrecht auf ein Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche meritorische Entscheidung" bestehe. Dort wird festgehalten, dass die ordre-public-Klausel des Art 27 Nr 1 EuGVÜ nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen könne (Rz 21) und vor allem der EMRK für die Beurteilung der Voraussetzungen eines fairen Verfahrens besondere Bedeutung zukomme (Rz 25-27). Nach dem Sachverhalt dieser Entscheidung ging es im Übrigen um die Verteidigungsrechte des Angeklagten in einem erstinstanzlichen Strafverfahren. Von einem „gemeinschaftsrechlich verbrieften Grundrecht auf ein Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche meritorische Entscheidung" ist dort nicht die Rede, war doch eine solche Frage nicht zu lösen. Es bildet somit auch dieses Erkenntnis keine den Standpunkt des Revisionsrekurswerbers tragende Stütze.