JudikaturJustiz3Ob169/02b

3Ob169/02b – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 10. November 1983 geborenen Andrea H***** infolge Revisionsrekurses der durch den Magistrat der Stadt Wien vertretenen Pflegebefohlenen, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. April 2002, GZ 44 R 136/02d 212, womit ihr Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 31. Jänner 2002, GZ 3 P 1168/95d 207, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Rekursgericht die Sachentscheidung über den Rekurs der Pflegebefohlenen aufgetragen.

Text

Begründung:

Am 28. 9. 2001 beantragte die damals noch minderjährige und durch den Jugendwohlfahrtsträger als ihren gesetzlichen Vertreter (§ 9 Abs 2 UVG) vertretene Pflegebefohlene die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG ("Titelvorschüssen") von monatlich 3.000 S.

Das Erstgericht wies diesen Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei als selbsterhaltungsfähig anzusehen, überdies lägen die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 UVG wegen ihrer mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit nicht mehr vor.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen Antragstellerin zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts sei die Antragstellerin bereits volljährig gewesen. Nach den Übergangsbestimmungen des KindRÄG 2001 (Art XVIII § 5 Abs 1) seien ungeachtet des Eintritts der Volljährigkeit längstens bis zur Vollendung des 19. Lebensjahres wie bisher weiter Unterhaltsvorschüsse zu gewähren, wenn ein Kind bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes das 14. Lebensjahr bereits vollendet habe. Solange die Vorschüsse gewährt werden, bleibe die gesetzliche Vertretung durch den Jugendwohlfahrtsträger unberührt. Das Weiterbestehen der gesetzlichen Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers setze "wohl" voraus, dass nach Eintritt der Volljährigkeit ununterbrochen tatsächlich weiterhin Vorschüsse gewährt würden. Hingegen könne aus dem Gesetz nicht abgeleitet werden, dass ein unerledigter Antrag auf Vorschussgewährung im Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit das Weiterbestehen der gesetzlichen Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers zur Folge hätte. Dafür spreche auch Art XVIII § 5 Abs 3 der Übergangsbestimmungen. Demnach könne sich ein volljähriges Kind bei der Antragstellung oder Rekurserhebung gegen eine abweisende erstinstanzliche Entscheidung nicht mehr vom Jugendwohlfahrtsträger vertreten lassen. Nur die nunmehr Volljährige selbst (allenfalls vertreten durch einen bevollmächtigten Vertreter) hätte gegen die Abweisung des Vorschussgewährungsantrags Rekurs erheben können. Die Pflegebefohlene selbst habe jedoch den erstinstanzlichen Beschluss trotz ordnungsgemäßer Zustellung nicht bekämpft. Auch eine nachträgliche Sanierung des Vertretungsmangels in Analogie zu § 6 Abs 2 ZPO durch Erteilung einer Vollmacht der ehemals Minderjährigen an den Jugendwohlfahrtsträger erscheine ausgeschlossen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig. Soweit überblickbar, existiere noch keine veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs darüber, ob allein ein offener Antrag auf Vorschussgewährung bei Eintritt der Volljährigkeit das Weiterbestehen der gesetzlichen Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß Art XVIII § 5 Abs 1 der Übergangsbestimmungen des KindRÄG 2001 zur Folge habe oder ob ein Bevollmächtigungsvertrag zwischen einem bereits volljährigen Kind und dem Jugendwohlfahrtsträger zustandekommen könne.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt:

Durch Art I Z 1 KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135 wurde § 21 Abs 2 ABGB novelliert. Seither lautet diese Bestimmung, die gemäß Art XVIII § 1 Abs 1 leg cit am 1. 7. 2001 in Kraft trat, folgendermaßen:

"Minderjährige sind Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben; haben sie das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, so sind sie unmündig."

Nach Art III Z 1 iVm Art XVIII § 1 Abs 1 der KindRÄG 2001 hat § 9 Abs 2 UVG seit dem 1. 7. 2001 folgenden Wortlaut:

"Der Jugendwohlfahrtsträger wird mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem Vorschüsse gewährt werden, alleiniger gesetzlicher Vertreter des mj. Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche."

Gemäß Art XVIII § 5 KindRÄG 2001 gilt folgende Übergangsbestimmung:

"(1) Hat ein Kind zum Zeitpunkt des Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes das 14. Lebensjahr bereits vollendet, so sind ihm Unterhaltsvorschüsse nach dem Unterhaltsvorschussgesetz 1985, BGBl Nr 451/1985, in der jeweils geltenden Fassung ungeachtet des Eintritts der Volljährigkeit längstens bis zum Ende des Monats, in dem das Kind das 19. Lebensjahr vollendet, wie bisher weiter zu gewähren. Solange die Vorschüsse gewährt werden, bleibt die gesetzliche Vertretung des Jugendwohlfahrtsträgers unberührt und der Übergang der Unterhaltsforderungen des Kindes auf den Bund tritt nicht ein.

(2) Das anspruchsberechtigte Kind hat aber, abgesehen vom Verlangen auf Einstellung der Unterhaltsvorschüsse, das Recht, die Auszahlung an sich selbst zu verlangen....

(3) Beantragt ein Volljähriger, der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes das 14. Lebensjahr vollendet hat, die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen bis längstens zum Ende des Monats, in dem er das 19. Lebensjahr vollendet, so wird mit der Rechtskraft der Bewilligung der Jugendwohlfahrtsträger für die Dauer der Vorschussgewährung kraft Gesetzes Vertreter zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche.."

Mit der Entscheidung 7 Ob 269/01m vom 13. 3. 2002 bestätigte der Oberste Gerichtshof eine zweitinstanzliche Entscheidung, mit der ein Rekurs des mittlerweile volljährig gewordenen Pflegebefohlenen gegen die Abweisung des vom Jugendwohlfahrtsträger für ihn gestellten Unterhaltsvorschussantrags wegen des Mangels der eigenständigen Rechtsmittellegitimation des Pflegebefohlenen zurückgewiesen wurde, mit folgender wesentlicher Begründung: Die Übergangsbestimmung des Art XVIII § 5 KindRÄG 2001 hält die für die Vollziehung des Unterhaltsvorschussgesetzes notwendige Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers aufrecht, stellt aber gleichzeitig die volle Verfügungsbefugnis des volljährig Gewordenen über die ihm zustehenden Vorschussleistungen sicher. Der Wille des Gesetzgebers ist es also, dem nunmehr nach der Novelle (§ 21 Abs 2 ABGB) Volljährigen noch wie bisher den Genuss des Unterhaltsvorschusses zu verschaffen, aber auch zur Sicherung der Interessen des Bundes die gesetzliche Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers aufrecht zu erhalten. Insofern bedarf der ansonsten voll geschäftsfähige Volljährige im Fall der Gewährung von Unterhaltsvorschuss der gesetzlich angeordneten Vertretung durch den Jugendwohlfahrtsträger. Im Hinblick auf den ausdrücklich und eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers ist der nunmehr Volljährige nach Maßgabe des § 9 Abs 2 UVG im Verfahren zur (Weiter )Gewährung von Unterhaltsvorschuss nicht selbst rekurslegitimiert.

Der erkennende Senat teilt die Rechtsansicht dieser Entscheidung. Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass entgegen der Auffassung des Rekursgerichts die Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers, die während der Minderjährigkeit der Pflegebefohlenen wohl unstrittig ist, von Gesetzes wegen - jedenfalls in Angelegenheiten des Unterhaltsvorschusses - auch über deren Volljährigkeit bis zur Vollendung des 19. Lebensjahres aufrecht bleibt und die Zurückweisung des Rekurses durch die Vorinstanz verfehlt war. So wie nach stRsp ein vor der Volljährigkeit eines Pflegebefohlenen gestellter Unterhaltsfestsetzungsantrag auch nach Eintritt der Volljährigkeit weiterhin im außerstreitigen Verfahren zu erledigen ist (für viele: EFSlg 44.367; 82.558; 91.373), ist auch im vorliegenden vergleichbaren Fall der Unterhaltsvorschussantrag nach der dargelegten Rechtslage weiterhin im außerstreitigen Verfahren und unter Beibehaltung der gesetzlichen Vertretung der Pflegebefohlenen durch den Jugendwohlfahrtsträger zu behandeln. Der vom Rekursgericht für seine Rechtsauffassung herangezogene Fall iSd Übergangsbestimmung des Art XVIII § 5 Abs 3, dass ein Volljähriger den Unterhaltsvorschussantrag stellt, liegt im vorliegenden Verfahren nicht vor.

Diese Erwägungen führen zur spruchgemäßen Entscheidung.