JudikaturJustiz3Ob110/06g

3Ob110/06g – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Parteien 1. Dr. Harald B*****, vertreten durch Dr. Gerhard Kornek, Rechtsanwalt in Wien, u.a. betreibende Parteien, wider die verpflichteten Parteien Hans-Peter M*****, vertreten durch Dr. Günther Sulan, Rechtsanwalt in Wien, u.a. verpflichtete Parteien, wegen Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft gemäß § 352 EO, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der 13. verpflichteten Partei T***** GmbH, ***** vertreten durch Mag. Peter A. Miklautz, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. März 2006, GZ 47 R 91/06i-34, womit der Rekurs der 13. verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 5. Jänner 2006, GZ 74 E 127/04m-29, zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die 13. verpflichtete Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom 15. Jänner 2005 bewilligte das Exekutionsgericht aufgrund des rechtskräftigen und vollstreckbaren Versäumnis- und Anerkenntnisurteils des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9. April 2004, GZ 58 Cg 13/04i-24, den betreibenden Parteien wider die verpflichteten Parteien die Versteigerung gemäß §§ 352 ff EO einer näher bezeichneten Liegenschaft in Wien mit einem darauf errichteten Haus. Dem Verfahren wurde das im Vorverfahren AZ 74 E 105/03z des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien eingeholte Schätzungsgutachten vom 6. Juli 2004 zugrunde gelegt. Im Zuge des Verfahrens erfolgte der Erwerb verschiedener Miteigentumsanteile sowohl von betreibenden Parteien als auch von verpflichteten Parteien durch die T***** mbH. Die Bezeichnung der Parteinamen wurde berichtigt und diese Gesellschaft als 13. verpflichtete Partei geführt (ON 28).

Das Erstgericht wies den innerhalb der Zweijahresfrist des § 142 Abs 1 EO gestellten Antrag der 13. verpflichteten Partei auf neuerliche Schätzung, hilfsweise auf Ergänzung der Schätzung der Liegenschaft ab. Der Sachverständige habe im Vorverfahren zum Stichtag 9. Juni 2004 den Erhaltungszustand des Hauses und „diverse Schäden" dokumentiert. Der nun relevierte behördliche Bauauftrag vermehre den Instandsetzungsaufwand nicht, bedeute also keine Verschlechterung des Zustands der Liegenschaft.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der zweitbetreibenden (nunmehr 13. verpflichteten) Partei wegen des Rechtsmittelausschlusses des § 239 Abs 1 Z 3 EO zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs im Hinblick auf die klare Rechtslage unzulässig sei. Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die 13. verpflichtete Partei die Abänderung dahin, dass die neuerliche Schätzung der Liegenschaft angeordnet werde, hilfsweise die Aufhebung der Rekursentscheidung zur meritorischen Entscheidung über den Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluss.

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Der Revisionsrekurswerberin kann darin gefolgt werden, dass der Rechtsmittelausschluss nicht - jedenfalls nicht zur Gänze - auf die vom Rekursgericht zitierte Vorjudikatur gestützt werden kann. Dazu ist Folgendes auszuführen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 142 Abs 1 EO kann die Anordnung der Schätzung der Liegenschaft unterbleiben, wenn die Liegenschaft aus Anlass eines früheren gerichtlichen Verfahrens geschätzt wurde, seither nicht mehr als zwei Jahre verstrichen sind und eine wesentliche Veränderung der Beschaffenheit der Liegenschaft inzwischen nicht stattgefunden hat. Gemäß § 239 Abs 1 Z 3 EO findet ein Rekurs nicht statt gegen Beschlüsse, durch welche zufolge § 142 EO bestimmt wird, dass eine neuerliche Beschreibung oder Schätzung nicht stattzufinden habe.

2. Einschlägige oberstgerichtliche Vorentscheidungen zu diesem Rechtsmittelausschluss sind die E 4 Ob 444/35 = RZ 1936, 99, 3 Ob 56/76 = RPflE 1976/166 und 3 Ob 180/82 = RPflE 1983/102 = EvBl 1983/107.

In 4 Ob 444/35 wurde ausgesprochen, ein Rekurs gegen den Beschluss des Exekutionsgerichts, der Zwangsversteigerung einer Liegenschaft eine frühere Schätzung zugrundezulegen, sei nur dann unzulässig, wenn die dem Verfahren zugrunde gelegte Schätzung im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht älter als ein Jahr sei (nach der geltenden Rechtslage zwei Jahre). In der Entscheidung 3 Ob 56/76 ging es um die vom Obersten Gerichtshof bejahte Rechtsfrage, ob die in einer kridamäßigen Versteigerung (§ 119 KO) erfolgte Schätzung eine Schätzung aus Anlass eines früheren Versteigerungsverfahrens iS des § 142 EO ist (nunmehr eines früheren gerichtlichen Verfahrens). Der Oberste Gerichtshof führte damals aus, „dass die Rechtsmittelbeschränkung des § 239 Abs 1 Z 3 EO nicht für Fälle gilt, in welchen die Zugrundelegung einer anderen Schätzung eindeutig gegen § 142 EO verstößt, so etwa, falls die Schätzung länger als ein Jahr zurückliegt". In der Entscheidung 3 Ob 180/82 ging es um die Berechnung der Einjahresfrist (jetzt zwei Jahre). Der Oberste Gerichtshof erklärte das Datum der Beschlussfassung im zweiten Exekutionsverfahren und nicht das Datum des Eintritts der Rechtskraft dieses Beschlusses für maßgebend. Die Rechtsmittelbeschränkung des § 239 Abs 1 Z 3 EO käme freilich dann nicht zum Tragen, wenn die Voraussetzungen für die Zugrundelegung der früheren Schätzung iSd § 142 EO „z.B. der Zugrundelegung einer mehr als ein Jahr alten Schätzung von vorneherein nicht gegeben sind".

Aus den zitierten Entscheidungsbegründungen leitet der Revisionswerber grundsätzlich widerspruchsfrei ab, dass ein Rechtsmittelausschluss gemäß § 239 Abs 1 Z 3 EO (allenfalls auch nach Z 2) dann nicht gegeben sei, wenn die Voraussetzungen des § 142 Abs 1 EO nicht vorliegen. Dazu gehörten nach seiner Auffassung kumulativ (arg.: und) die Einhaltung der Zweijahresfrist und das Nichteintreten einer wesentlichen Veränderung der Beschaffenheit der Liegenschaft. Dass auch diese Voraussetzung des § 142 Abs 1 EO vorliegen müsste, wurde in den Vorentscheidungen zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, kann aber aus den gewählten Formulierungen („eindeutig gegen § 142 EO verstößt") allenfalls hinreichend deutlich abgeleitet werden.

3. Angst (in Angst, EO, § 142 Rz 6) kritisiert die zitierte Vorjudikatur als inkonsequent, wenn sie den Rekurs für zulässig hält, wenn das Unterbleiben der Schätzung ausgesprochen wurde, obwohl seit der früheren Schätzung schon mehr als ein Jahr (nunmehr zwei Jahre) vergangen waren, bzw. wenn die Zugrundelegung einer anderen Schätzung „eindeutig gegen § 142 EO verstößt". Es sei nicht einzusehen, warum gerade diese Umstände entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 239 Abs 1 Z 3 EO die Zulässigkeit des Rekurses rechtfertigen könnten und dies für das Fehlen der anderen, in ihren Wirkungen gleichwertigen Voraussetzungen nicht gelten müsste. Der erkennende Senat interpretiert diese Äußerung dahin, dass Angst für eine generelle Unanfechtbarkeit eines Beschlusses über das Unterbleiben einer Schätzung eintritt.

4. Im vorliegenden Fall sind das Vorliegen eines Schätzungsgutachtens aus einem gerichtlichen Vorverfahren und die Wahrung der Zweijahresfrist unstrittig. Es braucht daher nur zur relevierten Rechtsfrage Stellung genommen werden, ob die erstinstanzliche Entscheidung über das Nichtvorliegen des Tatbestands einer wesentlichen Veränderung der Beschaffenheit der Liegenschaft im Rekursweg überprüft werden kann oder ob diese Frage dem Rechtsmittelausschluss unterliegt:

Aus dem Wortlaut des § 239 Abs 1 Z 3 EO ist ein genereller Rechtsmittelausschluss gegen Beschlüsse des Exekutionsgerichts auf Abstandnahme einer Schätzung nicht zwingend abzuleiten. Der Gesetzgeber verweist auf Beschlüsse „zufolge § 142". Dies indiziert, dass jedenfalls die dort genannten formellen und schon nach der Aktenlage ohne weitere Erhebungen überprüfbaren Voraussetzungen vorliegen müssen, um von einem Beschluss gemäß § 142 EO überhaupt sprechen zu können. Leicht überprüfbar sind die Voraussetzungen, dass in einem anderen gerichtlichen Verfahren ein Schätzungsgutachten eingeholt wurde und dass dieses zum Beurteilungszeitpunkt nicht älter als zwei Jahre ist. Wenn diese beiden Voraussetzungen vorliegen, kann von einem Beschluss gemäß § 142 EO ausgegangen werden. Die absolute Unanfechtbarkeit einer Entscheidung, die ein Privatgutachten oder ein länger als zwei Jahre zurückliegendes gerichtliches Gutachten zur Grundlage des Exekutionsverfahrens nimmt, widerspräche nicht nur dem zitierten Wortlaut („zufolge § 142"), sie stünde auch mit dem Gesetzeszweck in Widerspruch, dass die Versteigerung auf der Basis eines (zumindest noch) aktuellen Schätzungsgutachtens zur Erzielung eines möglichst hohen Meistbots durch Vermeidung einer Verschleuderung im Interesse beider Parteien des Exekutionsverfahrens erfolgen soll.

Dies bedeutet aber noch nicht, dass auch die Frage einer eingetretenen Veränderung der Liegenschaft als Tatbestandselement des § 142 Abs 1 EO im Rekursweg überprüfbar wäre. Dies liefe darauf hinaus, dass für den Rechtsmittelausschluss des § 239 Abs 1 Z 3 EO kein Anwendungsbereich verbliebe und die Zurückweisung eines Rekurses eine meritorische Prüfung auch dieser Frage zur Voraussetzung hätte. Ein derartiges Auslegungsergebnis wäre geradezu sinnwidrig. Die nur nach Durchführung von Erhebungen (Bescheinigungen) zu beantwortende Frage des Eintritts von wertbestimmenden Veränderungen der Beschaffenheit der Liegenschaft seit der Gutachtenserstattung in einem gerichtlichen Vorverfahren, also die Frage nach der weiterhin bestehenden materiellen Richtigkeit des schon vorliegenden Schätzungsgutachtens, unterliegt dem Anfechtungsausschluss nach der zitierten Gesetzesstelle, wenn darüber in einem Beschluss des Exekutionsgerichts gemäß § 142 Abs 1 EO entschieden wurde. Dies ist hier nach den dargelegten Erwägungen der Fall.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf den §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO.