JudikaturJustiz2Ob89/21h

2Ob89/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. August 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** H*****, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei E***** A*****, vertreten durch Dr. Elisabeth Sammer Resch MBL, Rechtsanwältin in St. Johann in Tirol, wegen 18.750 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. März 2021, GZ 2 R 166/20h 18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 4. Dezember 2020, GZ 40 Cg 47/20b 11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.253,88 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 208,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Beklagte ist ein Neffe des am 5. 1. 2018 verstorbenen Erblassers.

[2] Der Erblasser errichtete im Jahr 2012 ein Testament, das lautete:

„Ich […] errichte hiermit für den Fall meines Todes, frei von Zwang oder Irrtum und vollkommen unbeeinflusst meinen Willen wie folgt:

1. Ich setze hiermit meinen Bruder […] und meine Nichte […] zu je 1/3, meine [beiden] Neffen (darunter der Beklagte, Anm.) […] zu je 1/6 je nach Stämmen zu Erben meines gesamten, bei meinem Tode vorhandenen Vermögens ein, jedoch mit der Verpflichtung, nachstehendes Legat zu leisten:

Die Erben verpflichten sich einmalig den Betrag von € 150.000,00 an [die Mutter des Klägers] zu leisten.“

[3] Am 15. 12. 2017 verfasste er ein fremdhändiges Testament, bei dem als Testamentszeugen die Tochter der Nichte, der Lebensgefährte der Nichte und eine weitere Person fungierten. Dieses lautete:

„Ich […] treffe hiermit im Zustand voller Besonnenheit, frei von Zwang, Betrug und Irrtum und unbeeinflusst durch Dritte, für den Fall meines Ablebens nachstehende letztwillige Anordnungen:

1. Widerruf:

Ich widerrufe ausdrücklich alle von mir bisher, wann und wo immer errichteten letztwilligen Anordnungen und erkläre diese für rechtsunwirksam.

2. Erbseinsetzung:

Zur Universalerbin meines gesamten wie immer Namen habenden und wo immer befindlichen beweglichen und unbeweglichen Nachlassvermögens setze ich meine Nichte [...] ein. Meine gesetzlich erbberechtigten Nachkommen nach mir haben nur den gesetzlichen Pflichtteil zu erhalten, in den ihnen allenfalls vorhandene Vorempfänge voll einzurechnen sind.

3. Mein Neffe […] (der Beklagte, Anm.) soll als Legat einen Geldbetrag von Euro 10.000,00 erhalten.“

[4] Im Verlassenschaftsverfahren erklärten die dort Beteiligten einvernehmlich, davon auszugehen, dass die gesetzliche Erbfolge einzutreten habe.

[5] Der sich im Verlassenschaftsverfahren ergebende reine Nachlass von 2.707.797,95 EUR wurde aufgrund des Gesetzes einem Bruder und den Kindern weiterer vorverstorbener Geschwister des Erblassers, darunter dem Beklagten zu einem Achtel, eingeantwortet.

[6] Die Forderung aus dem im Testament des Jahres 2012 verfügten Legat wurde dem Kläger zum Inkasso abgetreten.

[7] Der Kläger begehrt die Zahlung von 18.750 EUR sA aufgrund des in der letztwilligen Verfügung des Erblassers aus dem Jahr 2012 seiner Mutter zugedachten Legats. Der Beklagte hafte nach § 821 ABGB jedenfalls persönlich für den seiner Erbquote entsprechenden Teil; er hafte nach § 649 Abs 2 Satz 1 ABGB sogar solidarisch für das gesamte Vermächtnis. Die Tochter und der Lebensgefährte der mit dem Testament vom 15. 12. 2017 begünstigten Nichte seien relativ unfähige Zeugen. Der in diesem Testament ausgesprochene Widerruf aller bis dahin errichteten letztwilligen Verfügungen und damit auch der Widerruf des Vermächtnisses in der letztwilligen Verfügung aus dem Jahr 2012 sei ungültig, weil er sich wirtschaftlich zugunsten aller Erben, also auch des Beklagten, ausgewirkt habe. Die Begünstigung liege darin, dass sich die Erbfallschulden um insgesamt 150.000 EUR verringert hätten. Sei der Widerruf ungültig, sei er es gegenüber jedermann.

[8] Der Beklagte erwiderte, das Legat sei ungültig, weil das Testament aus dem Jahr 2012 im späteren Testament des Erblassers vom 15. 12. 2017 wirksam widerrufen worden sei. Die dem späteren Testament beigezogenen Zeugen seien dem Beklagten gegenüber nicht „zeugenunfähig“ gewesen. Der Beklagte sei durch den im späteren Testament angeordneten Widerruf früherer letztwilliger Verfügungen auch nicht (rechnerisch) begünstigt gewesen, weil er bei Gültigkeit des früheren Testaments (auch unter Bedachtnahme auf das dort ausgesetzte Vermächtnis) insgesamt mehr erhalten hätte als „durch die Erbserklärung aufgrund [des jüngeren] Testaments“.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die im Testament aus 2017 enthaltene Einsetzung der Nichte zur Universalerbin sei zweifellos unwirksam, weil eine Tochter und der Lebensgefährte der Nichte als Testamentszeugen mitgewirkt hätten. Der Widerruf früherer letztwilliger Verfügungen stelle ein „negatives Testament“ dar, das die Formvorschriften einer der im ABGB vorgesehenen Testamentsformen erfüllen müsse. Der im Testament vom 15. 12. 2017 verfügte Widerruf führe zu einer Begünstigung der Nichte und damit zur Unfähigkeit zweier beigezogener Zeugen. Der Widerruf sei daher unwirksam.

[10] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Testamentszeugen seien im Verhältnis zum Beklagten nicht zeugnisunfähig gewesen. Die Ungültigkeit einer letztwilligen Verfügung wegen relativer Zeugnisunfähigkeit erfasse immer nur die Zuwendung, auf die sich die Unfähigkeit des Zeugen beziehe. Ein formal gültiger Teil eines Testaments könne aber allenfalls bei Ungültigkeit einer anderen Verfügung nicht mehr dem Willen des Erblassers entsprechen. Zu diesem Thema sei im erstinstanzlichen Verfahren kein Vorbringen erstattet worden. Außerdem biete das Testament aus 2017 für eine solche Annahme keine ausreichende Grundlage. Zwar habe der Erblasser im späteren Testament vorrangig seiner Nichte sein Vermögen zuwenden wollen; allerdings habe das spätere Testament das zugunsten der Mutter des Klägers im Jahr 2012 angeordnete Legat nicht nur nicht wiederholt, sondern sogar alle früheren Anordnungen widerrufen. Insgesamt sei damit von der formalen Wirksamkeit des Widerrufs früherer letztwilliger Anordnungen im Testament vom 15. 12. 2017 gegenüber dem Beklagten auszugehen; eine dem widersprechende Absicht des Erblassers sei nicht hervorgekommen.

[11] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine Rechtsprechung dazu bestehe, ob eine nur einer Erbin gegenüber bestehende formale Ungültigkeit eines Testaments, mit dem ein früheres Vermächtnis widerrufen worden sei, Teilgültigkeit gegenüber den weiteren durch den Widerruf begünstigten Erben erlangen könne.

[12] Dagegen wendet sich die Revision des Klägers mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Der Beklagte beantragt, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, ihr hilfsweise nicht Folge zu geben.

[14] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig .

Rechtliche Beurteilung

[15] 1. Der erkennende Fachsenat hat zur hier anzuwendenden (§ 1503 Abs 7 Z 5 ABGB) Bestimmung des § 588 ABGB idF ErbRÄG 2015 bereits Stellung genommen.

[16] Zu 2 Ob 84/20x hatte der Senat bei identem Sachverhalt über die gegen die Nichte als Beklagte erhobene Klage auf Zahlung von 37.500 EUR (= ¼ von 150.000 EUR) zu entscheiden. Er führte aus, dass die Bestimmung des § 588 ABGB weitgehend dem § 594 ABGB aF entspreche und nach der daher weiter anwendbaren Rechtsprechung die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung jeweils nur die Zuwendung erfasse, auf die sich die Unfähigkeit der Zeugen beziehe. Enthalte die letztwillige Anordnung weitere Verfügungen, auf die sich die von Gesetzes wegen angenommene und daher unwiderlegbare Befangenheit der Testamentszeugen nicht erstrecke, seien diese Verfügungen formgültig. In Anbetracht des Grundes der relativen Unfähigkeit zur Zeugenschaft mache es keinen Unterschied, ob jemand durch letztwillige Zuwendung bedacht oder durch den Widerruf einer letztwilligen Verfügung in gleicher Weise begünstigt werde. Die relative Zeugnisunfähigkeit sei auch im Fall des Widerrufs einer letztwilligen Verfügung für den dadurch begünstigten gesetzlichen Erben gegeben (Rz 14 bis 16 mwN).

[17] 2. Im Parallelverfahren betonte der Senat, dass § 588 ABGB auf die dem Erben zugedachten Zuwendungen abstelle und nicht auf eine Gesamtbetrachtung sämtlicher aus einer letztwilligen Verfügung erwachsender Vor- und Nachteile. Für die von der (dort) Beklagten angestrebte „wirtschaftliche Betrachtung“ bestehe damit kein Raum (Rz 16 ff). Weiters führte der Senat aus (Rz 19):

„Im vorliegenden Fall wurde die Beklagte durch den Widerruf des Vermächtnisses unabhängig davon, ob sich das rechnerische Gesamtergebnis der jeweils auf sie entfallenden Erbteile positiv oder negativ darstellt, dadurch begünstigt, dass der verbleibende Nachlass nicht um den Wert des Vermächtnisses geschmälert wurde. Auch für diese Form der Zuwendung besteht somit relative Zeugnisunfähigkeit der beigezogenen Angehörigen in Bezug auf die Revisionswerberin iSd § 588 ABGB und ist deshalb der Widerruf des Vermächtnisses aus dem Jahr 2012 durch das Testament aus dem Jahr 2017 insoweit nicht formgültig erfolgt.“

[18] 3. Der vom Kläger aus diesen Ausführungen gezogene Schluss, dass der Widerruf auch gegenüber dem nunmehrigen Beklagten nicht formgültig sein könne, findet in der erörterten Entscheidung keine Stütze und wirft daher auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[19] 3.1. In der Entscheidung des Parallelfalls hat der Senat bereits klargestellt, dass sich die relative Zeugnisunfähigkeit des § 588 ABGB aus dem Verhältnis der Zeugen zum (jeweiligen) Bedachten ergibt („in Bezug auf die Revisionswerberin“). Die Beiziehung eines relativ unfähigen Zeugen hat demnach keine absolute Wirkung, weil die Ungültigkeit nur die zugunsten jenes Bedachten ergangenen Verfügungen erfasst, in dessen Person die Befangenheit des Zeugen begründet war (so bereits Weiß in Klang III 2 341).

[20] 3.2. Daraus folgt, dass aus der relativen Zeugnisunfähigkeit der Tochter und des Lebensgefährten der Nichte im Hinblick auf die Nichte begünstigende Anordnungen für den Kläger nichts gewonnen ist. Zutreffend betont vielmehr das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung, dass keiner der dem fremdhändigen Testament vom 15. 12. 2017 beigezogenen Zeugen ein Naheverhältnis zum Beklagten iSd § 588 ABGB aufgewiesen hat.

[21] 3.3. Die vom Kläger ins Treffen geführte, im Außenverhältnis im Zweifel anzunehmende Solidarhaftung der Miterben für ein Vermächtnis (vgl Apathy/Neumayr in KBB 6 § 649 Rz 2) vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Sie kann nämlich nicht dazu führen, die relative, nur im Hinblick auf die Nichte des Erblassers bestehende Zeugnisunfähigkeit zweier Testamentszeugen auf die übrigen Erben qua ihrer Stellung als (solidarische) Vermächtnisschuldner zu erstrecken. Der Kläger nennt im Übrigen weder eine gesetzliche Grundlage noch eine in der Rechtswissenschaft anerkannte Methode, die die von ihm im Ergebnis angestrebte erhebliche Ausweitung des § 588 ABGB unterfallenden Personenkreises rechtfertigen könnte (vgl RS0008023 zur Qualifikation der Aufzählung in § 594 ABGB aF als taxativ).

[22] 4. Gegen die vom Berufungsgericht bei Auslegung des Testaments vom 15. 12. 2017 erzielten, grundsätzlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängigen (vgl 2 Ob 190/19h mwN) Ergebnisse wendet sich der Kläger in der Revision nicht. Er zieht damit nicht in Zweifel, dass kein Wille des Erblassers hervorgekommen sei, der gegen die Annahme der Gültigkeit des Widerrufs früherer letztwilliger Anordnungen sprechen würde.

[23] 5. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

[24] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.