JudikaturJustiz2Ob87/17h

2Ob87/17h – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** H*****, vertreten durch Dr. Günther Klepp und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. A***** Z*****, und 2. G***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, wegen 19.344,09 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 8. Februar 2017, GZ 2 R 14/17t 57, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Linz vom 15. November 2016, GZ 1 Cg 125/14v 53, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 917,02 EUR (darin 152,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 18. 7. 2012 ereignete sich um 21:05 Uhr auf der R***** Straße B***** ein Verkehrsunfall, an welchem die Klägerin als Lenkerin ihres Fahrrads und die Erstbeklagte als Lenkerin eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws beteiligt waren.

Die B***** verläuft im Bereich der Unfallstelle annähernd von Osten (L*****) nach Westen (O*****). An den nördlichen Fahrbahnrand schließt ein in beiden Richtungen benützbarer, etwa 3 m breiter Geh und Radweg an. Dieser wird an der Unfallstelle von der westlichen Zu- und Ausfahrt einer nördlich der B***** situierten Tankstelle gekreuzt. Zum Unfallszeitpunkt herrschte „zivile Dämmerung“, in der es noch mühelos möglich war, herannahende Fahrzeuge – und zwar auch unbeleuchtete – zu erkennen.

Die Klägerin fuhr auf dem Geh und Radweg mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h in östliche Richtung. Kurz vor der westlichen Zu und Ausfahrt der Tankstelle war auf dem Boden des Geh und Radwegs über eine Länge von 4,5 m das Vorrangzeichen „Vorrang geben“ aufgemalt. Am Beginn der Tankstellenzu- und ausfahrt war das Gebotszeichen „Ende des Geh und Radwegs“ angebracht. Ungeachtet dessen setzte sich der Geh und Radweg in der Natur praktisch unverändert entlang des gesamten Tankstellenareals fort und war nach dessen östlicher Zu und Ausfahrt auch wieder als solcher gekennzeichnet. Ein links neben dem Geh und Radweg befindliches Gebüsch schränkte die wechselseitige Sicht auf und für aus der westlichen Tankstellenausfahrt kommende Verkehrsteilnehmer ein.

Die Erstbeklagte wollte mit einer Geschwindigkeit von 7 bis 10 km/h von der Tankstelle kommend über die westliche Ausfahrt in die B***** einfahren. Unmittelbar vor der querenden Verlängerung des Geh und Radwegs war am rechten Rand der Tankstellenausfahrt das Vorrangzeichen „Halt“ aufgestellt. Im Zuge des Ausfahrens aus der Tankstelle erfasste der Pkw mit der linken Fahrzeugfront das Fahrrad. Die Klägerin kam zu Sturz und zog sich diverse Verletzungen zu.

Ausgehend von einer Eigengeschwindigkeit von 15 km/h war für die Klägerin etwa 1,3 sek vor der Kollision erkennbar, dass der Pkw nicht anhalten wird. Zu diesem Zeitpunkt war die Kollision für sie nicht mehr vermeidbar. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 10 km/h hätte sie 2,3 m vor der Kollisionsstelle anhalten können, bei einer Geschwindigkeit von 13,4 km/h exakt vor dem Pkw. Hätte die Erstbeklagte nach rechts geschaut, hätte sie den Unfall „durch Einleiten eines Bremsmanövers in der gleichen Reaktionszeit bei erhöhter Aufmerksamkeit“ verhindern können.

Die Erstbeklagte war alkoholisiert (Blutalkoholgehalt 1,52 ‰) und wurde wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall StGB rechtskräftig verurteilt.

Die zweitbeklagte Partei hat auf den Schaden der Klägerin vorprozessual bereits 15.139,99 EUR bezahlt.

Die Klägerin begehrte weitere 19.344,09 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien – jene der zweitbeklagten Partei beschränkt mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme – für allfällige zukünftige Schadensfolgen aus dem Unfall vom 18. 7. 2012.

Sie brachte vor, das Alleinverschulden treffe die Erstbeklagte, welche die im Straßenverkehr gebotene Sorgfalt und das Vorrangzeichen „Halt“ missachtet habe und stark alkoholisiert gewesen sei.

Die beklagten Parteien wandten ein, dass die Klägerin ein nicht zu vernachlässigendes Mitverschulden zu verantworten habe. Angesichts des auf dem Geh und Radweg aufgebrachten Vorrangzeichens wäre sie zur entsprechenden Beobachtung des Querverkehrs verpflichtet gewesen. Statt dessen habe sie die Tankstellenausfahrt mit überhöhter Geschwindigkeit und für die herannahende Erstbeklagte überraschend passieren wollen.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 10.695,49 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Leistungsmehrbegehren von 8.648,60 EUR sA wies es ab.

Es erörterte rechtlich, die Erstbeklagte habe sich aufgrund des Vorrangzeichens „Halt“ nicht im Fließverkehr befunden, weshalb die Klägerin ihr gegenüber nicht gemäß § 19 Abs 6a StVO benachrangt gewesen sei. Vielmehr habe die Erstbeklagte den der Klägerin gemäß § 19 Abs 4 StVO zukommenden Vorrang verletzt. Auch § 19 Abs 6 StVO regle, dass Fahrzeuge im fließenden Verkehr, wie das Fahrrad der Klägerin, gegenüber Fahrzeugen, die (etwa) von Tankstellen kommen, bevorrangt seien. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden, weil sie mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren sei. Eine Radfahrerüberfahrt iSd § 2 Abs 1 Z 12a StVO, die der Klägerin den Schutz des § 9 Abs 2 StVO gegeben hätte, sei zwar nicht vorhanden gewesen. Ein Fahrzeuglenker habe aber schon gemäß § 20 Abs 1 StVO seine Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen anzupassen. Dies sei hier gerade nicht geschehen. Wenn sich die Klägerin schon einer Radfahrerüberfahrt nicht mit einer Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h nähern dürfe, so wäre auch unter den hier gegebenen Umständen die Einhaltung einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h geboten gewesen. Allerdings erreiche die bloß um wenige km/h überhöhte Geschwindigkeit der Klägerin gegenüber der Vorrangverletzung und der schulderschwerenden Alkoholisierung der Erstbeklagten, die nicht die nötige Aufmerksamkeit eingehalten und zu spät reagiert habe, kein bei der Verschuldensabwägung zu berücksichtigendes Maß.

Im Hinblick auf die mit insgesamt 25.835,48 EUR ermittelte Schadenshöhe und die bereits geleisteten Zahlungen seien der Klägerin 10.695,49 EUR sA zuzusprechen. Das Feststellungsinteresse sei darin begründet, dass zukünftige Schäden nicht „schlechthin und absolut“ ausgeschlossen werden könnten.

Der abweisende Teil dieser Entscheidung erwuchs unbekämpft in Rechtskraft, ebenso der stattgebende Teil im Umfang von 1.785,66 EUR sA des Leistungsbegehrens und von zwei Drittel des Feststellungsbegehrens.

Das im Übrigen, also hinsichtlich eines Zuspruchs von 8.909,83 EUR sA und der Stattgebung des Feststellungsbegehrens in einem zwei Drittel übersteigenden Umfang, von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Es sprach zunächst aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt nicht 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht führte aus, an der Unfallstelle sei keine Radfahrerüberfahrt eingerichtet gewesen, sodass § 68 Abs 3a StVO keinen Anwendungsbereich gehabt habe. Der Oberste Gerichtshof habe zwar in der Entscheidung 2 Ob 256/04t die Meinung vertreten, diese Bestimmung sei „jedenfalls auch sinngemäß anzuwenden, wenn – ohne dass eine Radfahrerüberfahrt vorliegt – von einem Fahrrad eine Straße überquert wird“. Dies sei jedoch weder „irgendwie belegt noch näher begründet“ worden und habe auch in keinem RIS Rechtssatz Eingang gefunden, sodass diese Sichtweise in ihrer Allgemeinheit nicht zu überzeugen vermöge. Abgesehen davon habe die Klägerin hier keine andere, einmündende Straße überquert, sondern eine Tankstellenzufahrt, die als Teil der von ihr benützten Straße anzusehen sei.

Eine Verpflichtung der Klägerin, im Bereich der Unfallstelle langsamer zu fahren, lasse sich daher nur aus § 20 Abs 1 StVO ableiten. Da für die Klägerin, insbesondere aufgrund des auf dem Geh und Radweg aufgemalten Vorrangzeichens und des Gebotszeichens „Ende des Geh und Radwegs“, die bevorstehende Querung einer Zufahrt erkennbar gewesen sei, und ein links neben dem Geh und Radweg befindliches Gebüsch die wechselseitige Sicht auf und für aus dieser Zufahrt kommende Verkehrsteilnehmer eingeschränkt habe, wäre an dieser Stelle eine Geschwindigkeitsverminderung auf ein Maß angezeigt gewesen, das noch eine kollisionsvermeidende Reaktion auf das Auftauchen eines die Zufahrt benützenden Fahrzeugs zugelassen hätte. Das danach zulässige Höchsttempo sei nicht „starr und schematisch“ bei den 10 km/h des § 68 Abs 3a StVO zu finden, sondern sei im konkreten Fall etwas darüber gelegen, hätte die Klägerin doch auch noch aus einer Geschwindigkeit von 13,4 km/h vor dem kreuzenden Pkw anhalten können. Davon ausgehend ergebe sich nur mehr eine Differenz von 1,6 km/h zu den ihr nachgewiesenen 15 km/h. Eine derart geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung sei gegenüber dem massiven Fehlverhalten der Erstbeklagten jedenfalls zu vernachlässigen, ohne dass es dafür noch auf das zeitliche Ausmaß von deren Reaktionsverzug ankäme.

Aufgrund eines Antrags der beklagten Parteien änderte das Berufungsgericht seinen Zulassungsausspruch nachträglich dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch zuließ. Das Berufungsgericht sei von der in der Entscheidung 2 Ob 256/04t geäußerten Rechtsmeinung zur sinngemäßen Anwendung des § 68 Abs 3a StVO abgewichen und es sei nicht auszuschließen, dass bei Übernahme dieser Rechtsansicht ein nicht mehr zu vernachlässigendes Mitverschulden der Klägerin anzunehmen sei.

Gegen das Berufungsurteil, soweit damit ein Zuspruch von 8.611,83 EUR sA und die Stattgebung des Feststellungsbegehrens im Umfang von zwei Drittel bestätigt wurde – der Zuspruch weiterer 298 EUR sA bleibt somit unbekämpft – richtet sich die Revision der beklagten Parteien wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne eines Zuspruchs von lediglich 1.785,66 EUR (rechnerisch richtig: 2.083,66 EUR) sA und der Stattgebung des Feststellungsbegehrens mit nur zwei Drittel abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig , weil das Berufungsgericht von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Sie ist aber im Ergebnis nicht berechtigt .

Die beklagten Parteien stehen auf dem Standpunkt, nach der Entscheidung 2 Ob 256/04t sei im vorliegenden Fall § 68 Abs 3a StVO (sinngemäß) anzuwenden, weshalb der Klägerin eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 50 bis 100 % anzulasten sei. Da Radfahrerüberfahrten ohne Zweifel einen besseren Schutz von Radfahrern bezweckten, wäre es widersinnig, wenn bei Überqueren einer anderen Verkehrsfläche die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 10 km/h nicht zu beachten wäre. Auch im Sinne der Verkehrssicherheit sei eine sinngemäße Anwendung jedenfalls geboten, da derartige Stellen unfallträchtig seien und schneller querende Radfahrer unabhängig von der Vorrangsituation jedenfalls eine beträchtliche Gefahr darstellten. Auch aufgrund der angebrachten Bodenmarkierung, möge diese auch ein entsprechendes Verkehrszeichen nicht ersetzen, hätte die Klägerin mit querenden Fahrzeugen rechnen müssen. Von diesen Überlegungen ausgehend könne das Fehlverhalten der Klägerin bei der Verschuldensabwägung nicht vernachlässigt werden.

Hiezu wurde erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass das Erstgericht das Vorrangproblem im Sinne der Entscheidung 2 Ob 256/04t ZVR 2006/30 ( Rihs ) gelöst hat und diese Frage im Rechtsmittelverfahren zwischen den Parteien nicht mehr strittig ist. In dritter Instanz geht es nur mehr darum, ob die Klägerin eine überhöhte Geschwindigkeit einhielt und ob sie deshalb ein nicht vernachlässigbares Mitverschulden an dem Unfall trifft.

2. Die Beweislast für das behauptete Mitverschulden der Klägerin trifft die beklagten Parteien (RIS Justiz RS0022560). Nach den Feststellungen näherte sich die Klägerin der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h. Zutreffend haben die Vorinstanzen ihrer Beurteilung die geringste der innerhalb dieses Spielraums gelegenen Geschwindigkeiten zugrunde gelegt (2 Ob 152/11h ZVR 2012/162 mwN; RIS Justiz RS0022560 [T13]). Es ist daher von einer Annäherungsgeschwindigkeit von 15 km/h auszugehen.

3. Zur Rechtslage:

3.1 Mit der 15. StVO Novelle, BGBl 1989/86, wurde die Begriffsbestimmung der Radfahrerüberfahrt eingeführt (§ 2 Abs 1 Z 12a StVO). In § 56a StVO wurden die Kriterien für die Anlegung von Radfahrerüberfahrten festgelegt.

In § 68 StVO wurde Abs 3a eingefügt, der das Verhalten der Radfahrer auf Überfahrten regelte. Danach durften Radfahrerüberfahrten, wo der Verkehr nicht durch Arm- oder Lichtzeichen geregelt wird, nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h und nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug oder für dessen Lenker überraschend befahren werden.

In den Gesetzesmaterialien wurde dazu ausgeführt, dass den Radfahrern für das Befahren von ungeregelten Radfahrerüberfahrten „zur Sicherheit sowohl der Radfahrer als auch der übrigen Verkehrsteilnehmer eine höchstens etwa zweifache Schrittgeschwindigkeit sowie im übrigen besondere Vorsicht“ vorgeschrieben werde, „um Unfälle möglichst hintanzuhalten“ (ErläutRV 860 BlgNR XVII. GP 10).

3.2 Mit der 19. StVO Novelle, BGBl 1994/518, wurde in § 9 Abs 2 StVO und anderen Bestimmungen der Schutz von Radfahrern auf Radfahrerüberfahrten an jenen von Fußgängern auf Schutzwegen angeglichen. Seither kommt Radfahrern, die eine Radfahrerüberfahrt benützen, der „Vorrang“ gegenüber dem kreuzenden Verkehr auf ungeregelten Kreuzungen zu (2 Ob 44/98d ZVR 2000/41). Gleichzeitig wurde mit § 19 Abs 6a StVO jene Vorrangregel geschaffen, wonach Radfahrer, die eine Radfahranlage verlassen, anderen Fahrzeugen im fließenden Verkehr den Vorrang zu geben haben.

3.3 Mit der 23. StVO Novelle, BGBl I 2011/34, erhielt § 68 Abs 3a StVO seine seit 31. 5. 2011 geltende, im vorliegenden Fall anzuwendende aktuelle Fassung. Danach dürfen sich Radfahrer Radfahrerüberfahrten, wo der Verkehr nicht durch Arm oder Lichtzeichen geregelt wird, nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h nähern und diese nicht unmittelbar vor einem herannahenden Fahrzeug oder für dessen Lenker überraschend befahren.

Nach den Gesetzesmaterialien soll damit sichergestellt werden, dass sowohl Autofahrer als auch Radfahrer ausreichend Zeit haben, sich auf den jeweiligen Querverkehr einzustellen (AB 1135 BlgNR XXIV. GP 3). Für die auf der Radfahrerüberfahrt selbst einzuhaltende Geschwindigkeit trifft die Bestimmung keine Aussage mehr.

4. Die Entscheidung 2 Ob 256/04t ZVR 2006/30 ( Rihs ) hatte einen Unfall aus dem Jahr 2002 zum Gegenstand. Die Situation glich jener, wie sie auch hier zur Beurteilung ansteht, nur dass der durch das Vorrangzeichen „Halt“ benachrangte Pkw nicht aus einer Tankstellenzu und ausfahrt, sondern aus einer Querstraße kam. Die Radfahrerin hatte dort bei starkem Regen eine Geschwindigkeit von etwa 13 km/h eingehalten.

Der Oberste Gerichtshof war der Ansicht, dass die Klägerin mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Die Bestimmung des § 68 Abs 3a StVO finde zwar nicht unmittelbar Anwendung, weil sich die (damalige) Klägerin nicht auf einer Radfahrerüberfahrt befunden habe. Die Bestimmung sei aber jedenfalls sinngemäß anzuwenden, wenn – ohne dass eine Radfahrerüberfahrt vorliege – von einem Fahrrad eine Straße überquert werde. Letztlich waren diese Rechtsausführungen für die Verschuldensteilung aber nicht von entscheidender Bedeutung, weil sich die Klägerin selbst ein Mitverschulden von einem Drittel zugerechnet hatte, worin ihr Fehlverhalten jedenfalls Deckung fand.

5. Die vom Berufungsgericht vermisste Begründung der vom Obersten Gerichtshof in der zitierten Entscheidung vertretenen Rechtsansicht lag erkennbar in einem Größenschluss:

Wenn der Gesetzgeber zur Förderung der Sicherheit von Radfahrern und der anderen Verkehrsteilnehmer schon für das Befahren einer durch entsprechende Bodenmarkierungen deutlich gekennzeichneten (vgl § 17 BodenmarkierungsV) und zuletzt auch mit dem „Vorrang“ des § 9 Abs 2 StVO ausgestatteten Radfahrerüberfahrt die Anordnung einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h für erforderlich hielt, so musste dies umso eher gelten, wenn ein Radfahrer nach dem Verlassen einer Radfahranlage eine andere Verkehrsfläche überquerte, und zwar unabhängig von der Vorrangregelung im jeweils konkreten Fall.

6. Diese Überlegung hat auch nach der Änderung des § 68 Abs 3a StVO durch die 23. StVO Novelle, die für eine wechselseitige frühere Erkennbarkeit und Reaktionsmöglichkeit von herannahenden Radfahrern und kreuzenden Fahrzeugen, somit für erhöhte Verkehrssicherheit sorgen soll (vgl auch Vergeiner , Recht für Radfahrer [2013] 96), weiterhin ihre Berechtigung. Es ist daher daran festzuhalten, dass § 68 Abs 3a StVO (nunmehr idF BGBl I 2011/34) sinngemäße Anwendung findet, wenn sich ein Radfahrer auf einer Radfahranlage einer Kreuzung oder – wie hier – einem kreuzenden Fahrbahnteil nähert, die (den) er nach Verlassen einer Radfahranlage überqueren muss. Insoweit ist die Regelung des § 68 Abs 3a StVO die speziellere Norm gegenüber der allgemeinen Bestimmung des § 20 Abs 1 StVO.

7. Auch die Klägerin hätte daher angesichts des ordnungsgemäß kundgemachten Gebotszeichens nach § 52 lit b Z 22a StVO („Ende des Geh und Radwegs“) ihre Fahrgeschwindigkeit in Annäherung an das Tankstellengelände mit den zu erwartenden Querungen auf 10 km/h oder weniger vermindern müssen. Demnach ist ihr als Mitverschulden vorwerfbar, dass sie eine um 5 km/h (bzw um 50 %) überhöhte Geschwindigkeit eingehalten hat. Auf die von einer ex-post-Betrachtung ausgehende Berechnung des Berufungsgerichts (Überschreitung nur um 1,6 km/h) ist hingegen nicht abzustellen.

Das Fehlverhalten der Klägerin war für den Unfall auch (mit )kausal: Wäre sie mit einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h gefahren, hätte sie den Unfall verhindern können.

8. Bei der Verschuldensabwägung ist jedoch zu berücksichtigen, dass Fahrräder nicht mit einem Tachometer ausgerüstet sein müssen (vgl § 1 FahrradV), sodass für den Radfahrer die exakt eingehaltene Fahrgeschwindigkeit oft nur schwer abschätzbar ist. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 50 % (15 statt 10 km/h) fällt deshalb weit weniger schwer ins Gewicht, wie dies bei einem Pkw-Lenker der Fall wäre. Gegenüber dem besonders schwerwiegenden Vorrangverstoß (RIS Justiz RS0026775) und der schulderschwerenden Alkoholisierung (RIS Justiz RS0027068) der Erstbeklagten tritt das Verschulden der Klägerin so weit in den Hintergrund, dass es auch nach Ansicht des Senats zur Gänze vernachlässigt werden kann. Darin liegt schon deshalb kein Widerspruch zur Entscheidung 2 Ob 256/04t, weil dort der Oberste Gerichtshof – worauf bereits verwiesen wurde (Punkt 4.) – wegen des zugestandenen Mitverschuldens der Radfahrerin im Ausmaß von einem Drittel keine Verschuldensabwägung vornehmen musste und überdies auf Seiten des Autofahrers kein zusätzlicher Schulderschwerungsgrund vorhanden war.

9. Die Revision der beklagten Parteien muss daher letztlich erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.