JudikaturJustiz2Ob54/98z

2Ob54/98z – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Gerstenecker und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ismail C***** und 2. Besime C*****, beide *****, vertreten durch Dr.Ingobert Schuler, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagten Parteien 1. Elke S*****, und 2. ***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Eugen Amann, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Zahlung von S

29.419 sA, einer Rente und Feststellung (Erstkläger) und wegen Feststellung (Zweitklägerin), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 21.November 1997, GZ 4 R 247/97y-43, womit infolge Berufung sämtlicher Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 16.Juli 1997, GZ 6 Cg 246/96f-36, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Erstkläger die mit S 4.464,76 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 744,12, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 7.5.1995 ereignete sich ein Unfall, an dem der Erstkläger als Lenker seines Mopeds, auf dem er die Zweitklägerin mitgeführt hatte, und die Erstbeklagte als Lenkerin eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren.

Der Erstkläger begehrt die Zahlung einer kapitalisierten Rente von S

29.419 sA, einer monatlichen Rente von S 2.263 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für zukünftige unfallskausale Schäden. Die Zweitklägerin begehrt die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 25.000 sA und ebenfalls die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für zukünftige unfallskausale Schäden.

Die Kläger brachten zur Begründung ihres Schadenersatzanspruches vor, der Erstkläger sei in Wolfurt auf der Dornbirner-Straße Richtung Ortsmitte gefahren. Obwohl er sich bereits zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet habe, um nach links einzubiegen, habe die Erstbeklagte, die im Ortsgebiet eine Geschwindigkeit von 70 km/h eingehalten habe, zum Überholen angesetzt und sei dabei gegen sein Moped geprallt. Beide Kläger seien dadurch schwer verletzt worden.

Die beklagten Parteien wendeten ein, den Erstkläger treffe ein gleichteiliges Mitverschulden, weil er ohne sich einzuordnen und ein Handzeichen zu geben und ohne zurückzuschauen plötzlich nach links eingebogen sei. Die Ansprüche auf Ersatz der Sachschäden und auf Schmerzengeld seien erfüllt worden, Dauerfolgen lägen nicht vor, die Feststellungsbegehren seien nicht berechtigt.

Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung einer monatlichen Rente von S 858,50 von Juni 1997 bis 20.März 2033 an den Erstkläger und stellte fest, daß sie verpflichtet seien, diesem alle künftigen aus dem Unfall vom 7.5.1995 entstehenden Schäden zur Hälfte zu ersetzen, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme beschränkt sei; das Mehrbegehren des Erstklägers und das Feststellungsbegehren der Zweitklägerin wurde abgewiesen; über das Begehren der Zweitklägerin auf Zahlung von S 25.000 sA wurde nicht entschieden.

Dabei wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Erstkläger bog mit seinem Moped, auf dem er die Zweitklägerin auf dem Beifahrersitz mitführte, in Wolfurt von der Bahnhofstraße nach links in die Dornbirner-Straße ein und fuhr mit ca 20 km/h in der Mitte von deren rechter Fahrbahnhälfte weiter. Die Dornbirner-Straße weist eine Breite von 6,5 m auf, sie ist in der Mitte mit einer Leitlinie versehen, gerade und übersichtlich. Ca 14 m bis 15 m vor der späteren Kollisionsstelle bzw 2,6 sec vor der Kollision begann er sich gegen die Fahrbahnmitte hin einzuordnen und überfuhr diese ca 4 m vor der späteren Unfallstelle, ohne den PKW wahrzunehmen, der zu diesem Zeitpunkt bereits auf der für ihn linken Fahrbahnhälfte von der Erstbeklagten gelenkt wurde. Der Erstkläger hat ein Handzeichen zum Linksabbiegen selbst nicht gegeben, ob und allenfalls wann die Zweitklägerin ein solches gegeben hat, läßt sich nicht feststellen.

Unmittelbar vor dem Überfahren der Fahrbahnmitte hat der Erstkläger nicht mehr zurückgeschaut, um sich über den Nachfolgeverkehr zu orientieren. Zu dieser Zeit wäre für ihn bereits erkennbar gewesen, daß das Fahrzeug der Erstbeklagten auf der linken Fahrbahnseite herannaht.

Die Erstbeklagte fuhr trotz der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h mit ihrem PKW mit einer Geschwindigkeit von ca 72 km/h auf der für sie rechten Fahrbahnhälfte der Dornbirner-Straße Richtung Ortsmitte. Der Beginn des Einordnens des Erstklägers von der Mitte der rechten Fahrbahnhälfte zur Fahrbahnmitte nach links veranlaßte sie zu einer Vollbremsung, mit der sie ca 1,6 sec vor der späteren Kollision begann. Zu diesem Zeitpunkt fuhr der PKW bereits in einer Schräglage nach links ca in der Mitte der Straße. Hätte die Erstbeklagte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten, wäre es möglich gewesen, das Fahrzeug noch vor der späteren Kollision anzuhalten.

Der Erstkläger erlitt durch den Unfall eine Prellung der rechten Schulter, die zu einer Resorption des schulterblattnahen Anteils des Schlüsselbeines führte. Es besteht zur Zeit keine konkrete Absicht, den Erstkläger zu kündigen. Unfalls- und verletzungsbedingte Spätfolgen sind bei ihm nicht auszuschließen, wohl aber bei der Zweitklägerin.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, der Erstkläger habe sich verspätet gegen die Fahrbahnmitte hin eingeordnet und es unterlassen, sich unmittelbar vor dem Abbiegen durch einen Blick zurück zu überzeugen, ob das Abbiegemanöver gefahrlos möglich sei. Der Erstbeklagten sei hingegen vorzuwerfen, eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten zu haben. Beide Fahrzeuglenker hätten somit ein gleichteiliges Verschulden am Zustandekommen des Unfalls zu vertreten. Da der Erstkläger nur unter vermehrten Anstrengungen in der Lage sei, seine Arbeitsleistung weiterhin zu erbringen und ein Arbeitsverlust wahrscheinlich sei, seien die Voraussetzungen für den Zuspruch einer abstrakten Rente gegeben. Im Hinblick auf die möglichen Spätfolgen sei auch die Haftung der beklagten Parteien für zukünftige unfallskausale Schäden des Erstklägers festzustellen. Bei der Zweitklägerin seien hingegen Dauerfolgen auszuschließen.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Zweitklägerin keine Folge, wohl aber teilweise den Berufungen des Erstklägers und der beklagten Parteien, und änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß festgestellt wurde, daß die beklagten Parteien dem Erstkläger zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 7.5.1995 zu haften haben, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme beschränkt wurde. Die Begehren des Erstklägers auf Zahlung von S 29.419 sA und einer monatlichen Rente von S 2.263 wurde abgewiesen, die Abweisung des Begehrens der Zweitklägerin auf Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle zukünftigen Schäden wurde bestätigt. Es sprach aus, daß der Entscheidungsgegenstand hinsichtlich des Erstklägers S 50.000 und hinsichtlich der Zweitklägerin nicht S 50.000 übersteigt. Hinsichtlich des Erstklägers erachtete das Berufungsgericht die ordentliche Revision für nicht zulässig, hinsichtlich der Zweitklägerin sprach es aus, daß die Revision jedenfalls unzulässig ist.

Das Rechtsmittelgericht vertrat die Ansicht, dem Erstkläger könne der Vorwurf des verspäteten Einordnens zur Fahrbahnmitte hin nicht gemacht werden, weil er bereits ca 14 m bis 15 m vor der späteren Kollisionsstelle bzw 3 bis 3,5 sec vor der Kollision begonnen habe, sich von der Mitte seines Fahrstreifens zur Fahrbahnmitte hin einzuordnen, während die Erstbeklagte 2,6 sec vor der Kollision mit Sicherheit noch auf ihrem Fahrstreifen gewesen sei und den Überholvorgang noch nicht begonnen hatte. Soweit dem Erstkläger vorgeworfen werde, die Abbiegeabsicht nicht angezeigt zu haben, so treffe die beklagten Parteien dafür die Behauptungs- und Beweislast. Es sei daher bei der Beurteilung des dem Erstkläger von den beklagten Parteien angelasteten Verschuldens davon auszugehen, daß die Abbiegeabsicht rechtzeitig angezeigt wurde. Habe der Erstkläger rechtzeitig die Abbiegeabsicht angezeigt und durch das Einordnen zur Straßenmitte hin vor dem Linksabbiegen diese Absicht verdeutlicht, so sei er nicht "zu einem zweiten Blick in den Rückspiegel" verpflichtet gewesen, um sich vor dem Abbiegen neuerlich zu vergewissern, ob er nicht unvorschriftsmäßig links überholt werde (ZVR 1985/24 ua).

Der Erstbeklagten sei aber eine eklatante Geschwindigkeitsüberschreitung anzulasten. Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte der Unfall bereits durch eine mittelstarke Bremsbetätigung verhindert werden können. Das Alleinverschulden am Unfall treffe daher die Erstbeklagte.

Der Zuspruch einer abstrakten Rente sei aber nicht berechtigt, weil eine konkrete Gefahr, daß der Erstkläger aufgrund seiner unfallsbedingten Dauerfolgen seinen Arbeitsplatz verlieren werde, nicht festgestellt worden sei. Das Feststellungsbegehren des Erstklägers sei aber berechtigt, weil künftige Schäden nicht ausgeschlossen werden könnten.

Die ordentliche Revision hinsichtlich des Erstklägers erachtete das Berufungsgericht für nicht zulässig, weil die Frage der Teilung des Verschuldens keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darstelle.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Feststellungsbegehren des Erstklägers abgewiesen werde.

Die beklagten Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Parteien ist zulässig, weil es keine Rechtsprechung zur Frage gibt, ob die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung (§ 11 Abs 2 StVO) vom Lenker des Fahrzeuges persönlich angezeigt werden muß oder ob es ausreicht, daß das Zeichen durch Mitfahrer gegeben wird, sie ist aber nicht berechtigt.

Die beklagten Parteien vertreten in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, nach Wortlaut und Zweck des § 11 Abs 2 StVO habe der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung anzuzeigen. Im hier zu beurteilenden Fall habe der Erstkläger dies unterlassen, ein allfälliges Handzeichen der Zweitklägerin, die auf dem Moped mitfuhr, hätte ihn seiner Verpflichtung als Lenker nicht enthoben. Er hätte daher unmittelbar vor dem Linksabbiegen den nachfolgenden Verkehr beobachten müssen, um sich davon zu überzeugen, daß niemand zum Überholen angesetzt habe.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Richtig ist, daß gemäß § 11 Abs 2 StVO "der Lenker eines Fahrzeuges" die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen hat, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können. Dem Gesetzeswortlaut läßt sich aber nicht entnehmen, daß es sich dabei um eine höchstpersönliche Pflicht des Lenkers handelt. Vielmehr ergibt sich aus dem Schutzzweck dieser Bestimmung, nämlich die rechtzeitige Information anderer Straßenbenützer über ein bevorstehendes Fahrmanöver nach § 11 StVO, um diese in die Lage zu versetzen, durch das Ergreifen entsprechender Maßnahmen dazu beizutragen, eine Behinderung, Gefährdung oder gar einen Verkehrsunfall zu vermeiden (Dittrich/Stolzlechner, StVO3 Rz 65 zu § 11 mwN), daß der Lenker die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens nicht unbedingt persönlich anzeigen muß. Wenngleich Handzeichen in der Regel vom Fahrzeuglenker selbst gegeben werden, ist auch eine Zeichengebung durch andere Personen (hier eben die auf dem Beifahrersitz des Mopeds sitzende Zweitklägerin) zulässig (Dittrich/Stolzlechner, aaO Rz 105 § 11).

Zutreffend ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß den Erstkläger nicht deshalb ein Mitverschulden trifft, weil er selbst kein Handzeichen gegeben hat. Daß dies auch nicht durch die Zweitbeklagte geschehen ist, konnten aber die dafür beweispflichtigen beklagten Parteien nicht beweisen, weshalb ihrer Revision nicht Folge zu geben war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.