JudikaturJustiz2Ob516/85

2Ob516/85 – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Juli 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden (kündigenden) Partei A B, reg.Gen.m.b.H., 5020 Salzburg, Schwarzstraße 15, vertreten durch Dr. Wolfgang Zimmermann, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte (gekündigte) Partei prot. Firma C D E F, 1020 Wien, Taborstraße 16, vertreten durch Dr. Adolf Lientscher, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Aufkündigung eines Bestandvertrages, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 14. November 1984, GZ 32 R 328/84-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 23. August 1984, GZ 14 C 285/84-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 3.049,-- (darin S 96,-- Barauslagen und S 268,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Alleineigentümerin des Hauses Salzburg, Schwarzstraße Nr. 9/Franz Josef Hummelstraße 1, in welchem die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbes der Klägerin Mieterin eines Geschäftslokales im Parterre war. Im demnach noch mit einem Voreigentümer abgeschlossenen Mietvertrag vom 27. Februar 1964 ist ein nach dem Verbraucherpreisindex 1958 wertgesicherter monatlicher Nettomietzins von S 3.550,-- zuzüglich Betriebskosten sowie eine Kündigungsmöglichkeit zum 30. Juni oder 31. Dezember eines jeden Jahres unter Einhaltung einer halbjährigen Kündigungsfrist vereinbart.

Die Klägerin kündigte nunmehr die gegenständlichen Geschäftsräumlichkeiten, und zwar einen Verkaufsraum im Ausmaß von ca. 11,20 Meter mal 5,50 Meter und drei dahinter gelegene Lager- bzw. Büroräume sowie die Toilettmitbenützung vorbehaltlich der Anbietung eines Ersatzmietgegenstandes im Sinne des § 32 MRG unter Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG auf. Begründet wurde dies damit, daß die Klägerin in der Schwarzstraße über insgesamt mehrere Objekte verfüge, in denen sie Bankgeschäfte betreibe und deshalb genötigt sei, eine wirksame überwachungszentrale einzurichten, wofür wegen seiner zentralen Lage ausschließlich das Mietobjekt der Beklagten in Frage komme. Im Falle eines Banküberfalles könne aus dem Geschäftslokal der Beklagten ein Fluchtweg von Tätern in verschiedene Richtungen weitgehend beobachtet werden und er sei das von der Kündigung umfaßte Mietobjekt auch von den Sicherheitsbehörden, mit denen der weitere Ausbau der Sicherungsanlagen für die Klägerin wiederholt erörtert worden sei, als bestmöglicher Standort für eine derartige zentrale überwachungsstelle bezeichnet worden.

Die Beklagte bestritt in ihren rechtzeitigen Einwendungen das Kündigungsbegehren, beantragte, die Aufkündigung als unwirksam aufzuheben, und brachte zunächst vor, daß die Klägerin ohne gleichzeitiges Anbot eines Ersatzlokales zur Geltendmachung des herangezogenen Kündigungsgrundes überhaupt nicht berechtigt sei. Der Kündigungsgrund selbst liege jedoch auch gar nicht vor, weil die Klägerin keineswegs einen dringenden Eigenbedarf im Sinne einer unabweislichen Notwendigkeit der alsbaldigen Beseitigung eines bestehenden Notstandes bzw. Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz behauptet habe, darüberhinaus ein solcher Eigenbedarf aber ohnehin nicht anzunehmen wäre. Die Klägerin habe ihre Lage selbst verschuldet, da sie das gegenständliche Bestandsobjekt in Kenntnis der bestehenden Mietverträge erworben habe.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab, wobei es folgende, für das Revisionsverfahren wesentliche Feststellungen traf:

Die von der Beklagten gemieteten Räumlichkeiten im Ausmaß von zusammen rund 117 m 2 befinden sich im Parterre des Objektes der Klägerin zwischen Schwarzstraße und Makartkai, und zwar an der Ecke Schwarzstraße/Hummelstraße. Die Fenster gehen sowohl zu Hummel- wie auch zur Schwarzstraße, zu letzterer geht überdies auch die Eingangstüre. Die übrigen im Parterre dieses Hauses gelegenen Räumlichkeiten sind nicht (mehr) vermietet und stehen mehr oder weniger frei. Hiebei handelt es sich um verschiedene, über einen Hauseingang in der Hummelstraße erreichbare Zimmer mit Fenstern auf die Hummelstraße, die Schwarzstraße und auf einen Verbindungsgang zwischen Makartkai und Schwarzstraße. Außerdem bestehen noch die über einen eigenen Eingang erreichbare ehemalige Hausbesorgerwohnung, deren Fenster ebenfalls auf den Verbindungsgang Makartkai/Schwarzstraße hinausgehen sowie verschiedene weitere an das Objekt der Beklagten angrenzende Räumlichkeiten, welche an die Schwarzstraße grenzen. Die freistehenden Räumlichkeiten weisen somit insgesamt Fenster nach allen vier Seiten des Hauses auf, auf die Hummelstraße jedoch nur eines zwischen dem Hauseingang und der Hausecke Hummelstraße/Makartkai. Die im ersten Stock liegenden Räumlichkeiten stehen ebenfalls leer. Soweit diese auf die Schwarzstraße hinausgehen, sind sie insoferne zurückversetzt, als ihnen - nämlich über den Bestandräumlichkeiten der Beklagten - eine 6 Meter breite Terrasse vorgelagert ist, sodaß von den Fenstern auf dieser Seite lediglich der Makartkai eingesehen werden kann, nicht jedoch die durch die Terrasse völlig verdeckte Schwarzstraße. Die nicht überdachte Terrasse ist bis zur Fluchtlinie des Hauses von der Schwarzstraße begehbar. Daran anschließend - über den derzeitig leerstehenden, an die Bestandräumlichkeiten in der Schwarzstraße angrenzenden Räumen - befindet sich keine begehbare Terrasse, sondern nur ein abgeschrägtes Dach. Von den auf die Hummelstraße hinausgehenden Fenstern der Räumlichkeiten im ersten Stock ist die Kreuzung Hummelstraße/Schwarzstraße nur teilweise und von der Hummelstraße selbst nur die Fahrbahn und der gegenüberliegende Gehsteig, nicht jedoch der an das Haus selbst angrenzende, unter den Fenstern gelegene Gehsteig einsehbar, weil zwischen den Fenstern der Parterreräumlichkeiten und jenen im ersten Stock ein ca. 30 cm über die sonstige Fluchtlinie des Hauses hinausragendes Gesims vorhanden ist. Neben dem Haus Schwarzstraße Nr. 9/Hummelstraße Nr. 1 befindet sich in Richtung stadtauswärts gesehen neben dem erwähnten Verbindungsgang ein nicht im Eigentum der Klägerin stehendes Haus und anschließend folgen weitere der Klägerin gehörige Objekte, welche der Durchführung des Bankbetriebes dienen. Bei Einrichtung des Bankbetriebes in den Gebäuden der Schwarzstraße wirkte bei der Installierung der Sicherheitsanlagen auch der Beratungsdienst der Kriminalpolizei mit. Im Zuge der Betriebserweiterung wurde auch seitens der Sicherheitsbehörden ein Ausbau der vorhandenen Sicherheitseinrichtungen für notwendig erachtet. Vom zuständigen Beamten, dem Zeugen Oberstleutnant Karl G wurden sowohl schriftlich wie auch mündlich jeweils die streitgegenständlichen Räumlichkeiten zur Installierung einer überwachungszentrale wegen ihrer Beobachtungsmöglichkeiten im Hinblick auf präsumtive Fluchtwege von Bankräubern für besonders günstig vorgeschlagen.

Durch eine derartige Sicherheitszentrale könnten überfälle wohl nicht grundsätzlich verhindert werden, es ergäbe sich hingegen eine bessere Aufklärungsmöglichkeit von derartigen Straftaten, was im Umweg über die generalpräventive Wirkung wiederum zu einer Erhöhung der Sicherheit führen würde. Schließlich sei durch dislociert angebrachte Sicherheitsanlagen allgemein - etwa wegen der geringeren Ausschaltungsmöglichkeiten durch Straftäter - eine erhöhte Sicherheit gegeben.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu einer Aufhebung des Kündigungsbeschlusses. Wohl könne sich ein Vermieter entgegen der Auffassung der Beklagten gemäß § 32 MRG vorbehalten, ein Ersatzobjekt erst im Zuge des Kündigungsverfahrens anzubieten; im übrigen liege jedoch der Kündigungsgrund als solcher nicht vor. Dieser sei vielmehr nur dann gegeben, wenn der Vermieter den Mietgegenstand für sich selbst oder für Verwandte in gerader Linie dringend benötige und dem Mieter Ersatz beschafft werde. Als vom Vermieter dringend benötigt sei jedoch nach ständiger Rechtsprechung ein Mietgegenstand nur dann anzusehen, wenn auf Seiten des Vermieters die unabweisliche Notwendigkeit vorliege, wegen einer bereits bestehenden Situation - und nicht etwa wegen künftiger Ereignisse - den derzeitigen Zustand sobald als möglich zu beseitigen, wofür als einzige Möglichkeit nur die Aufkündigung des Mietverhältnisses in Frage kommen dürfe. Für die Klägerin bestehe derzeit keine Situation, die eine dringende Abhilfe durch sofortige Installation der von ihr geplanten Sicherheitsanlage erfordere, zumal es professionell ausgeübte Einbrüche sowie überfälle internationaler Profibanden - wie sie die Klägerin in Begründung ihres Begehrens angeführt habe - immer schon gegeben habe und eine nunmehr größere Gefährdung der Klägerin durch derartige überfälle insbesondere im Raume Salzburg nicht objektivierbar sei. Andererseits seien die von der Klägerin geplanten Abhilfsmaßnahmen nicht ausschließlich in den streitgegenständlichen Räumlichkeiten möglich, sie könnten aus technischer Sicht auch in anderen Örtlichkeiten untergebracht werden, und überdies könne eine bloß 'bessere Eignung' einen Eigenbedarf im Sinne des herangezogenen Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG nicht begründen. Es liege daher kein dringender Eigenbedarf der Klägerin im Sinne des angeführten Kündigungsgrundes vor.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Erstgerichtes blieb erfolglos.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Streitgegenstand, über den es entschieden hat, S 300.000 übersteigt. Es erachtete das erstgerichtliche Verfahren für mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und vollständig und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Aufrechterhaltung der Aufkündigung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin führt in ihrem Rechtsmittel aus, es sei ohne Zweifel richtig, daß ein Banküberfall in der von der Klägerin befürchteten Größenordnung mit entsprechender Schadenssumme ein in der Zukunft liegendes Ereignis sei dessen Eintritt oder Nichteintritt derzeit noch völlig ungewiß bleibe. Sei dieser Fall jedoch eingetreten, dann sei es zu spät. Dann könne die sodann sicherlich bestehende Notstandssituation im Sinne einer Gefährdung der Existenzfähigkeit der Klägerin nicht mehr durch Installierung einer überwachungszentrale in den von der Beklagten gemieteten Räumlichkeiten begegnet werden. Diese Möglichkeit bestehe nur jetzt, d. h. vor Eintritt eines derartigen, von der Klägerin befürchteten Ereignisses. Daraus folge, daß die unabweisliche Notwendigkeit, den derzeit bestehenden Zustand zu ändern, nämlich der Klägerin die Möglichkeit zu geben, in den von der Beklagten gemieteten Räumlichkeiten die von ihr geplante überwachungszentrale einzurichten, jetzt bestehe, wo die Möglichkeit zum Handeln noch gegeben und ein derartiges Handeln sinnvoll sei. Die bloße Gefahr des Eintrittes des Ereignisses stelle nämlich die notstandsähnliche Situation dar, deren Behebung unabweislich die Änderung des bestehenden Zustandes erfordere, da im Fall des tatsächlichen Eintrittes des befürchteten Ereignisses die wirtschaftliche Existenzfähigkeit eines Bankunternehmens vom Rahmen der Klägerin aufs Höchste in Frage gestellt und der Schade auch durch keinerlei Maßnahmen mehr reparabel sei.

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern: Gemäß § 19 Abs 2 Z 6 MG war als wichtiger Grund für die Kündigung eines Mietvertrages anzusehen, wenn der Vermieter den Mietgegenstand (Wohnräume, Geschäftsräumlichkeiten) für sich selbst oder für Verwandte in gerader Linie dringend benötigte und dem Mieter bei Geschäftsräumlichkeiten einen nach Lage und Beschaffenheit angemessenen, bei Wohnräumen einen entsprechenden Ersatz beschaffte. Gemäß § 30 Abs 2 Z 9 MRG ist als wichtiger Grund für die Kündigung des Mietvertrages anzusehen, wenn der Vermieter dend Mietgegenstand für sich selbst oder für Verwandte in gerader Linie dringend benötigt und dem Mieter Ersatz beschafft wird.

Aus der Gegenüberstellung der beiden Bestimmungen ergibt sich, daß die den Eigenbedarf betreffenden ersten Halbsätze der zitierten Gesetzesstellen gleichlautend sind (lediglich die nähere Bezeichnung des Mietgegenstandes nämlich Wohnräume und Geschäftsräumlichkeiten in § 19 Abs 2 Z 6 MG wurde in die Z 9 des § 30 Abs 2 MRG nicht übernommen). Damit entspricht aber § 30 Abs 2 Z 9 MRG inhaltlich dem § 19 Abs 2 Z 6 MG, wobei lediglich die schon dort vorgesehene Ersatzbeschaffung an § 21 a MG, nunmehr § 32 MRG, angeglichen wurde (vgl. Würth-Zingher MRG 106 f, Anm. 12 zu § 30 MRG und 108, RV zu Z 9). Die Rechtsprechung zum Begriff des Eigenbedarfes im § 19 Abs 2 Z 6 MG - der jenem nach § 19 Abs 2 Z 5 MG entspricht - ist daher auch zur Auslegung des Eigenbedarfsbegriffes im § 30 Abs 2 Z 9 MRG heranzuziehen. Nach ständiger Rechtsprechung mußte es sich beim dringenden Eigenbedarf im Sinne des § 19 Abs 2 Z 6 MG um einen Bedarf handeln, der so stark war, daß die wirtschaftliche Existenz desjenigen, der Räume für Geschäftszwecke in Anspruch nahm, bedroht war (vgl. MietSlg. 20.405 = NZ 1969, 74, ImmZ 1974, 139 uva.). Ein dringender Eigenbedarf setzt einen Notstand voraus, nämlich die unabweisliche Notwendigkeit, den vorhandenen Zustand so bald als möglich zu beseitigen, wobei dies nicht anders als durch die Aufkündigung des bestehenden Mietverhältnisses möglich ist (vgl. MietSlg. 35.371, 34.432 uva.). An die Erfordernisse des dringenden Eigenbedarfes ist ein strenger Maßstab anzulegen; hiebei ist von den Verhältnissen des Einzelfalles auszugehen (MietSlg. 20.396, 7 Ob 510/85 ua.). Werden diese Grundsätze auf den vorliegend festgestellten Sachverhalt angewendet und wird berücksichtigt, daß nach den Feststellungen die Einrichtung einer überwachungszentrale im aufgekündigten Bestandobjekt allfällige künftige Banküberfälle nicht besser oder wirksamer verhindern könnte, sondern lediglich eine bessere Aufklärungsmöglichkeit von derartigen Verbrechen für den Fall erreicht werden könnte, daß allfällige Täter stadteinwärts flüchten sollten, kann entgegen der Auffassung der Revision in der vom Berufungsgericht dargelegten Ansicht, daß unter Anlegung der von der Judikatur geforderten strengen Maßstabes die Voraussetzungen für das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfes der Klägerin im Sinn des § 30 Abs 2 Z 9 MRG an den aufgekündigten Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten nicht gegeben sind, keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.