JudikaturJustiz2Ob29/64

2Ob29/64 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 1964

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Pichler, Dr. Höltzel und Dr. Bauer als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Ingolf O*****, vertreten durch Dr. Ernst Szobissek, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters des Minderjährigen Dr. Karl O*****, vertreten durch Dr. Tassilo Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 13. November 1963, GZ 43 R 683/63-268a, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 10. September 1963, GZ 3 P 143/49-259, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß der erstgerichtliche Beschluß, mit welchem der Antrag des Minderjährigen auf Entlassung aus der väterlichen Gewalt abgewiesen wurde, wieder hergestellt wird.

Im übrigen wird der Beschluß des Rekursgerichtes, mit dem die Eltern des Minderjährigen mit ihren Rekursen auf die Entscheidung des Rekursgerichtes verwiesen wurden, aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Rekursgericht zur Entscheidung über diese beiden Rekurse zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der Minderjährige Ingolf O***** ist am 19. 11. 1943 geboren und steht daher derzeit im 20. Lebensjahr. Er ist der eheliche Sohn der Musiklehrerin Elisabeth O***** und des Kunsthistorikers Dr. Karl O*****, deren Ehe im Jahre 1949 rechtskräftig geschieden wurde. In diesem Jahre kam der damals sechsjährige Minderjährige mit einer Kinderhilfsaktion nach Spanien zu einer Pflegemutter. Er hält sich seit dieser Zeit dort auf und besucht auch dort die Schule. Mit dem Schuljahr 1962/1963 hat er die sechste Klasse der Mittelschule und damit das Mittelschulstudium nach dem spanischen Schulsystem absolviert.

Am 19. 3. 1963 stellte der Minderjährige durch einen von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt den Antrag an das Pflegschaftsgericht, ihn für volljährig zu erklären. Er begründete dies damit, daß er sich seit dem Jahre 1949 bei seiner Pflegemutter in Spanien aufhalte und nach Abschluß des Mittelschulstudiums sich durch den Besuch des sogenannten Curso pre Universitario die Möglichkeit zum Besuch einer Universität in Spanien schaffen wolle. Er verwies darauf, daß bisher das Pflegschaftsgericht immer über die einander widerstreitenden Anträge seiner Eltern darüber zu entscheiden hatte, ob er in Spanien bleiben und dort seine Studien fortsetzen dürfe. Er sei bisher immer im ungewissen gewesen, ob er weiter in Spanien studieren dürfe oder ob er nach Österreich zurückkehren müsse. Dies sei für ihn mit einer starken seelischen Belastung verbunden. Nunmehr fühle er sich selbst reif genug, um über seinen weiteren Bildungsgang zu entscheiden. Er könne aber nur dann selbst entscheiden, wenn er als volljährig gelte. Der eheliche Vater sprach sich gegen den Antrag des Minderjährigen aus und beantragte, diesem den Reisepaß abzunehmen, um zu verhindern, daß er sich wieder nach Spanien begebe. Die Mutter unterstützte das Begehren des Minderjährigen und stellte den weiteren Antrag, den Aufenthalt des Minderjährigen in Spanien bei seiner Pflegemutter bis 31. 7. 1964 zu genehmigen, damit der Minderjährige sich in Spanien für den Besuch der Universität vorbereiten könne.

Das Erstgericht wies die Anträge des Minderjährigen und seiner Eltern ab. Es war der Meinung, daß es bei dem vom Obersten Gerichtshof bestätigten Beschluß verbleiben solle, wonach der Minderjährige nach dem 31. 7. 1963 nach Österreich zurückzuführen sei (ON 240, 248). Eine Entlassung des Minderjährigen aus der väterlichen Gewalt hielt das Erstgericht zwar grundsätzlich auch gegen den Willen des ehelichen Vaters für zulässig, war aber der Meinung, daß damit kein besonderer Vorteil für den Minderjährigen verbunden wäre. Durch seinen Antrag wolle dieser lediglich erreichen, den Willen seines Vaters, wonach er nach Österreich zurückkehren und hier seine Studien vollenden solle, zunichte zu machen. Die Rückkehr des Minderjährigen nach Österreich sei in dessen Interesse gelegen, zumal er nunmehr seine Mittelschulstudien in Spanien abgeschlossen habe. Die Abnahme des Reisepasses hielt das Erstgericht nicht für zweckmäßig, da die Folgen einer solchen Maßnahme auf den Minderjährigen nicht abzusehen seien.

Gegen den erstgerichtlichen Beschluß erhoben der Minderjährige und seine Eltern Rekurse.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß der Minderjährige aus der väterlichen Gewalt entlassen werde und mit Rechtskraft dieses Beschlusses die Rechte eines Volljährigen erlange. Die Eltern des Minderjährigen verwies es mit ihren Rekursen auf diese Entscheidung. Das Rekursgericht war der Meinung, daß der Minderjährige berechtigt sei, den vorzeitigen Erwerb seiner vollen Handlungsfähigkeit auch gegen den Willen des Vaters mit Genehmigung des Gerichtes durchzusetzen. Mit der Erreichung der Volljährigkeit seien für den Minderjährigen besondere Vorteile verbunden, weil der Minderjährige, der bereits 20 Jahre alt sei und zur Erfüllung der Wünsche seines Vaters nicht mehr gezwungen werden könne, nunmehr selbst über seine Berufsausbildung entscheiden könne, ohne durch die gegensätzlichen Auffassungen seiner Eltern beeinträchtigt zu sein. Der Minderjährige habe abgesehen von der Selbsterhaltungsfähigkeit die geistige und körperliche Reife, er mache einen sehr gut erzogenen Eindruck und es seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß er die so erlangte Unabhängigkeit mißbrauchen werde.

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des ehelichen Vaters. Er beantragt, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und auch gerechtfertigt.

Mit Recht bekämpft der Rechtsmittelwerber die Ansicht des Rekursgerichtes, daß ein eheliches Kind auch gegen den Willen des Vaters aus der väterlichen Gewalt entlassen werden kann. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit dieser Frage in seiner bisher nicht veröffentlichten Entscheidung 7 Ob 294/63 vom 30. 10. 1963 eingehend auseinandergesetzt. Dort lag der Fall so, daß eine Minderjährige den Antrag stellte, sie unter Nachsicht des Alters gegen den Willen ihres Vaters für volljährig zu erklären. Sie begründete diesen Antrag damit, daß ihr Vater für sie kein Verständnis habe und ihr Verlöbnis mit einem jungen Mann mißbillige. Der Oberste Gerichtshof war in dieser Sache der Meinung und er hält auch daran im vorliegenden Fall fest, daß die Entlassung eines ehelichen Kindes aus der väterlichen Gewalt gemäß § 174 ABGB nur auf Grund einer Erklärung des ehelichen Vaters in diesem Sinn zulässig ist. § 252 ABGB findet auf diesen Fall keine Anwendung. Diese Bestimmung kommt nur in Betracht, wenn einem nicht unter väterlicher Gewalt stehenden Minderjährigen die Nachsicht des Alters gewährt werden soll. Ein eheliches Kind kann immer nur auf Grund einer darauf abzielenden Erklärung des ehelichen Vaters aus der väterlichen Gewalt entlassen werden, es sei denn, daß dieser gemäß §§ 176, 177 und 178 ABGB die väterliche Gewalt nicht ausüben kann oder darf. In diesen Fällen wird entweder für den Minderjährigen ein Vormund bestellt oder es werden die Rechte des ehelichen Vaters den Rechten des Vormundes gleichgestellt. Nur in diesen Fällen kommt die Bestimmung des § 252 ABGB sinngemäß auch für eheliche Kinder zur Anwendung. Würde man anderer Ansicht sein, dann hätte es der Bestimmung des § 174 ABGB überhaupt nicht bedurft.

Die Bestimmung des § 266 Abs 2 AußStrG steht dieser Auffassung nicht entgegen, weil danach das Gericht nur bei Vorliegen der Entlassungserklärung des ehelichen Vaters zu prüfen hat, ob die Entlassung des Minderjährigen aus der väterlichen Gewalt für diesen vorteilhaft und mit keiner Gefahr eines Mißbrauches verbunden ist. Die Erklärung des ehelichen Vaters, den Minderjährigen aus der väterlichen Gewalt zu entlassen, kann auch nach dieser Gesetzesbestimmung durch das Gericht nicht ersetzt werden. Die Auffassung Schwinds im Kommentar zum Eherecht, S 63, daß durch § 266 AußStrG die Funktion des ehelichen Vaters zu einer Antragsbefugnis herabgesetzt worden sei, kann nicht geteilt werden. Auch nach § 174 ABGB reicht die Erklärung des ehelichen Vaters für sich allein zur Entlassung des Minderjährigen aus der väterlichen Gewalt nicht aus, sondern bedurfte und bedarf der "Genehmhaltung" des Gerichtes. Die Bestimmung des § 266 Abs 2 AußStrG bringt somit nichts Neues, sondern zeigt nur die Richtung an, in die sich die Prüfung des Gerichtes zu bewegen hat.

Auch Wentzl-Plessl weisen in ihren Ausführungen zu § 174 ABGB in Klangs Komm2, Band I/2, S 232, darauf hin, daß "der im übrigen aus dem Wesensunterschied zwischen der Erklärung des ehelichen Vaters und der gutächtlichen Äußerung des Vormundes sich ergebende Gegensatz, wonach jene Tatbestandsmoment ist, nicht aber das zustimmende Gutachten des Vormundes" nur gelegentlich von der Rechtsprechung verneint wurde. Sie weisen in diesem Zusammenhang auf die auch vom Rekursgericht herangezogenen, aus dem Jahre 1869 stammenden und daher fast 100 Jahre zurückliegenden Entscheidungen hin, die aber auch nach ihrer Meinung zur Begründung der Ansicht, daß ein ehelicher Minderjähriger auch gegen den Willen des Vaters aus der väterlichen Gewalt entlassen werden kann, nicht herangezogen werden können. Bei der Entscheidung GlU 3469 handelt es sich um eine bereits verehelichte Tochter, die gemäß § 175, 1. Satz, ABGB nicht mehr unter väterlicher Gewalt steht. Die Entscheidung GlU 5965 ist aber mit Rücksicht auf die Änderung des § 174 ABGB durch das Gesetz vom 6. 2. 1919, StGBl Nr 96, überholt.

Im vorliegenden Fall wurde weder behauptet noch ergeben sich aus dem Akteninhalt Anhaltspunkte dafür, daß dem ehelichen Vater des Minderjährigen die Ausübung der väterlichen Gewalt nicht mehr zukommt.

Der Antrag des Minderjährigen, ihn aus der väterlichen Gewalt zu entlassen, ist daher schon deshalb abzuweisen, weil eine Erklärung des ehelichen Vaters in dieser Richtung fehlt. Gegen den Willen seines Vaters kann er aber auch nicht mit Genehmigung des Gerichtes aus der väterlichen Gewalt entlassen werden. Es ist daher in dieser Hinsicht der erstgerichtliche Beschluß wieder herzustellen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes hat zur Folge, daß das Rekursgericht nunmehr über die Rekurse der Eltern des Minderjährigen zu entscheiden hat. In diesem Umfang ist die Sache an das Rekursgericht zurückzuverweisen.