JudikaturJustiz2Ob149/12v

2Ob149/12v – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. September 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** und 2. D*****, beide vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei O*****, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr, Rechtsanwalt in Linz, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 11. Juni 2012, GZ 6 R 93/12g 10, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 24. April 2012, GZ 3 Cg 28/12s 4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 1.308,17 EUR (darin 218,03 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Zurückweisung eines Rekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a ZPO).

Das Rekursgericht hat den Revisionsrekurs zugelassen, weil keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob die Verteidigung eines Krankenanstaltenträgers zu im Raum stehenden „Kunstfehlervorwürfen“ mittels Bekanntgabe von Details aus Krankenunterlagen im öffentlichen Interesse gelegen sein könne.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wird ausgeführt:

Nach § 20 Abs 2 OÖ KAG 1997 besteht die in Abs 1 leg cit umschriebene Verschwiegenheitspflicht eines Krankenanstaltenträgers nicht, soweit die Offenbarung des Geheimnisses durch Gesetz geboten ist oder soweit die öffentlichen Interessen an der Offenbarung des Geheimnisses, insbesondere die Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege die privaten Interessen an der Geheimhaltung überwiegen.

Die vom Rekursgericht gestellte Frage ist daher schon durch das Gesetz bejahend beantwortet: Auch die Verteidigung eines Krankenanstaltenträgers gegenüber im Raum stehenden „Kunstfehlervorwürfen“ kann im Einzelfall ein öffentliches Interesse an der Offenbarung des Geheimnisses im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege begründen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn durch einen in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Fall von angeblichen Kunstfehlern in einem bestimmten Spital in der Bevölkerung (zu Unrecht) Befürchtungen entstehen, in diesem Spital werde man (regelmäßig) nicht nach den Regeln der ärztlichen Heilkunst behandelt.

Wie zur ähnlich normierten (vgl § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG) ärztlichen Verschwiegenheitspflicht judiziert (RIS Justiz RS0117236), ist die vom Gesetz (hier von § 20 Abs 2 OÖ KAG 1997) aufgetragene Interessenabwägung jeweils im Einzelfall vorzunehmen. Sie begründet daher von krassen Fehlbeurteilungen abgesehen in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage.

Angesichts der festgestellten Berichterstattung in mehreren Printmedien und der Website des Parlaments über den konkreten Fall vor der hier inkriminierten Pressemitteilung der Beklagten auf ihrer Website ist die Ansicht des Rekursgerichts, im vorliegenden Fall überwiege das Veröffentlichungsinteresse, weshalb keine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach § 20 Abs 1 OÖ KAG 1997 vorliege, jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung.

Das Rekursgericht hat somit keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

Die Rechtsmittelwerber führen als weitere erhebliche Rechtsfrage sinngemäß an, es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob § 20 Abs 2 OÖ KAG 1997 auch die Preisgabe der Identität eines Patienten rechtfertigen und dessen Anonymitätsinteresse überwiegen könne.

Die Antwort auf diese Frage lässt sich ebenfalls bereits aus § 20 Abs 2 OÖ KAG 1997 ableiten: Die dort angeordnete Interessenabwägung kann im Einzelfall auch die Preisgabe der Identität erfordern oder rechtfertigen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn bereits vor der „Offenbarung des Geheimnisses“ durch den Krankenanstaltenträger über den Fall in den Medien identifizierend berichtet wurde und daher die Bezugnahme auf die bereits veröffentlichten identifizierenden Fakten notwendig ist, um wie hier Vorwürfen gegen den Krankenanstaltenträger entgegentreten zu können.

Auch der von den Rechtsmittelwerbern aufgezeigte Aspekt der gebotenen Interessenabwägung ist einzelfallbezogen zu beurteilen und wirft daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf. Im vorliegenden Fall enthält die inkriminierte Pressemitteilung der Beklagten nicht mehr identifizierende Elemente über die Patientin als einige bereits früher erfolgte Veröffentlichungen in Printmedien und auf der Website des Parlaments. Daher ist auch insoweit dem Rekursgericht eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht unterlaufen.

Die von den Rechtsmittelwerbern ins Treffen geführten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 17. 1. 2012, 33497/07 [Krone gegen Österreich]; 19. 6. 2012, 1593/06 [Kurier gegen Österreich]), sind mit dem vorliegenden Fall schon deshalb nicht hinreichend vergleichbar, weil dort in Zeitungen die Identität von Personen, die keine solchen des öffentlichen Lebens (public figures) waren, ohne Notwendigkeit insbesondere durch Veröffentlichung von Fotos, auf denen die Personen abgebildet waren, preisgegeben wurde.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 402 Abs 4, § 78 EO, §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

Rechtssätze
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