JudikaturJustiz2Ob11/93

2Ob11/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Lucia B*****, vertreten durch ihren Vater Friedrich B*****, dieser vertreten durch Dr.Gerhard Folk und Dr.Gert Folk, Rechtsanwälte in Kapfenberg, wider die beklagten Parteien 1.) Franz S*****, und 2.) W***** Versicherungs-AG, Landesdirektion *****, beide vertreten durch Dr.Gottfried Eisenberger und Dr.Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wegen 1.000 S und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14.Mai 1992, GZ 6 R 270/91-38, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 8.April 1991, GZ 22 Cg 8/91-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß die Entscheidung als Endurteil insgesamt zu lauten hat:

1.) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 1.000 S samt 4 % Zinsen seit 8.4.1991 zu bezahlen sowie die mit 21.926,52 S bestimmten Prozeßkosten erster Instanz (darin 3.654,42 S an Umsatzsteuer) zu ersetzen.

2.) Die beklagten Parteien haften zusätzlich zu dem am 26.1.1991 ergangenen Anerkenntnisurteil der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle künftigen Unfallsfolgen aus dem Verkehrsunfall vom 12.7.1989, bei welchem die Mutter der klagenden Partei getötet wurde, im weiteren Ausmaß von 50 %, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Höhe der Versicherungssumme aus dem mit dem Erstbeklagten bezüglich des PKW Opel Ascona mit dem amtlichen Kennzeichen ***** abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrages begrenzt ist.

3.) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand weiters schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 11.788,38 S (darin 1.964,72 S an Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 4.783,68 S (darin 797,28 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 12.7.1989 gegen 19.45 Uhr ereignete sich auf der Gemeindestraße von St.Kathrein am Hauenstein ein Verkehrsunfall, an dem die Mutter der Klägerin mit ihrem PKW Ford Escort ***** und der Erstbeklagte mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Opel Ascona ***** beteiligt waren und bei dem die Mutter der Klägerin tödliche Verletzungen erlitt und die im PKW ihrer Mutter mitfahrende Klägerin verletzt wurde. Die Mutter der Klägerin fuhr auf der Gemeindestraße von Süden kommend nach Norden und befand sich auf dem Weg in den "Kolonie" genannten Ortsteil von St.Kathrein. An den - in Fahrtrichtung des Fahrzeuges der Mutter der Klägerin gesehen - linken Fahrbahnrand schließt eine abfallende Böschung an, die zu einem Bachbett überleitet. Am rechten (östlichen) Fahrbahnrand liegt das Wohnhaus des Erstbeklagten, von dem eine 5 m breite Ausfahrt annähernd rechtwinkelig zur Gemeindestraße führt und im nördlichen Teil ansteigt. Zur Unfallszeit befand sich vor dieser Liegenschaft ein Zaun mit Ribiselstauden, wodurch die Sicht bei Benützung der Ausfahrt vom Wohnhaus kommend eingeschränkt war. Die in diesem Bereich in Richtung Norden mit durchschnittlich 10 % ansteigende Gemeindestraße verläuft in einer flachen Linkskurve und kann aus Anfahrtsrichtung des Fahrzeuges der Mutter der Klägerin aus einer Entfernung von etwa 100 m südlich der nördlichen Gebäudekante des Wohnhauses des Erstbeklagten über eine Strecke von mehr als 250 m übersehen werden. Der Unfall ereignete sich dadurch, daß der Erstbeklagte mit seinem Fahrzeug auf die Gemeindestraße in der Absicht, nach links in Richtung Süden einzubiegen, hinausfuhr und dabei die rechte vordere Flanke des PKW der Mutter der Klägerin streifte, wodurch dieser in eine Drehbewegung nach rechts versetzt wurde, sodaß das Heck nach links rückwärts in Richtung Westen ausbrach und in der Folge nach einer Drehung mit seiner linken Flanke mit etwa 30 km/h gegen einen zirka 25 m nördlich der nördlichen Gebäudekante des Wohnhauses des Erstbeklagten außerhalb des östlichen Fahrbahnrandes der Gemeindestraße befindlichen Baum stieß. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeuges der Mutter der Klägerin betrug 61,8 km/h, jene des PKW des Erstbeklagten, der sich bei der Ausfahrt nicht hinausgetastet hatte, 10 km/h. Im Zeitpunkt der Kollision hatte der PKW des Erstbeklagten mit dem gesamten Vorbau den östlichen Fahrbahnrand überschritten und ragte 2 m in die Gemeindestraße hinein. Der PKW des Erstbeklagten kam hinter dem abgedeckten Zaun derart hervor, daß die Kollision innerhalb der Reaktionssekunde der Mutter der Klägerin erfolgte. Eine mögliche Gegenreaktion der Mutter der Klägerin könnte erst etwa 1 Sekunde nach dem Primärkontakt eingetreten sein, zu einer Zeit, als der PKW bereits zumindest mit 45 Grad nach rechts verdreht war; zu diesem Zeitpunkt war eine weitere Gegenreaktion praktisch wirkungslos. Hätte der PKW der Mutter der Klägerin auf Höhe der ersten Streifung eine Geschwindigkeit von 54 km/h oder weniger eingehalten, wären die Streifung wie die Verdrehung des Fahrzeuges der Mutter der Klägerin auch erfolgt, die Bewegungsenergie ihres Fahrzeuges hätte jedoch nicht mehr ausgereicht, um den Baum zu erreichen. Die Klägerin erlitt bei diesem Unfall eine Schädelprellung, Rißquetschwunden am Kopf, eine Bißverletzung an der Zunge sowie einen Bruch des fünften Mittelfußknochens; sie wurde nach dem Unfall im Landeskrankenhaus Mürzzuschlag stationär aufgenommen; es entstanden Pflegekosten von 1.000 S.

In Erledigung der von der Klägerin in ihrer Berufung erhobenen Tatsachenrüge traf das Berufungsgericht noch folgende Feststellungen:

Zur Unfallszeit befand sich im Ortsgebiet St.Kathrein am Hauenstein in Fahrtrichtung Kolonie, also der Fahrtrichtung der Mutter der Klägerin am rechten (östlichen) Straßenrand ein Vorschriftszeichen nach § 52 lit a Z 10 a StVO, nämlich das Verbots- oder Beschränkungszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubte Höchstgeschwindigkeit 35 km/h". Nach dieser Stelle, an der das mittlerweile entfernte, oben erwähnte Verkehrzeichen stand, befindet sich das Hinweiszeichen "Ortsende" (§ 53 Z 17 b StVO). 500 m nördlich des Vorschriftszeichens nach § 52 lit a Z 10 a StVO liegt die Unfallstelle. Ein Vorschriftszeichen "Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung" (§ 52 lit a Z 10 b StVO) war nicht aufgestellt. Etwa 2,5 km nach dem erwähnten Vorschriftszeichen (nach § 52 lit a Z 10 a StVO) befand sich am linken (westlichen) Fahrbahnrand ein gleiches Verkehrszeichen für den nach Süden führenden Gegenverkehr. Auch diesem Verkehrszeichen fehlte ein korrespondierendes, die Geschwindigkeitsbegrenzung aufhebendes Vorschriftszeichen. Zusatztafeln nach § 54 Abs 5 lit b StVO und Wiederholungszeichen nach § 51 Abs 1 StVO waren nicht angebracht. Wann die in Rede stehenden Vorschriftszeichen (§ 52 lit a Z 10 a StVO, Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubte Höchstgeschwindigkeit) aufgestellt worden sind, ist nicht feststellbar. Eine Verordnung für die in Rede stehenden Geschwindigkeitsbeschränkung existierte nicht. Von Süden nach Norden, also in Fahrtrichtung der Mutter der Klägerin betrachtet, ergibt sich demnach nachstehende Reihenfolge: a) Vorschriftszeichen Geschwindigkeitsbegrenzung erlaubte Höchstgeschwindigkeit 35 km/h (ostwärts der Fahrbahn), b) Hinweiszeichen Ortsende - c) Unfallstelle, d) Baum (Endlage des von der Mutter der Klägerin gelenkten Kraftfahrzeuges), e) Vorschriftszeichen Geschwindigkeitsbegrenzung erlaubte Höchstgeschwindigkeit 35 km/h (westlich der Fahrbahn) für den Gegenverkehr.

Mit der am 5.11.1990 erhobenen Klage begehrte die mj.Klägerin von den Beklagten vorerst die Bezahlung eines Betrages von 24.176,80 S s.A. für Schmerzengeld (25.000 S) und Ersatz des von ihr bezahlten Selbstbehaltes für ihren stationären Aufenthalt im Landeskrankenhaus abzüglich des ihr im Strafverfahren zugesprochenen Teilbetrages von 1.000 S, sowie die Feststellung, daß ihr die Beklagten für alle weiteren Unfallsfolgen aus dem genannten Verkehrsunfall, bei welchem ihre Mutter getötet wurde, zur ungeteilten Hand zur Gänze zu haften hätten, die Zweitbeklagte jedoch nur bis zur Höhe der Versicherungssumme aus dem mit dem Erstbeklagten abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag. Nachdem die Beklagten das Leistungsbegehren zur Gänze und ihre Haftung für alle künftigen Unfallsfolgen aus dem Verkehrsunfall, bei dem die Mutter der Klägerin getötet wurde, zur ungeteilten Hand im Ausmaß von 50 % - die Haftung der Zweitbeklagten mit der Höhe der Versicherungssumme aus dem mit dem Erstbeklagten bezüglich des unfallsgegenständlichen PKWs abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag begrenzt - anerkannt hatten und dementsprechend auf Antrag das Anerkenntnisurteil ergangen war, modifizierte die Klägerin ihr Feststellungsbegehren dahin, daß die beklagten Parteien für alle "künftigen Unfallsfolgen" auch hinsichtlich der restlichen 50 % zu haften hätten. Schließlich dehnte die Klägerin das Klagebegehren auf Bezahlung weiterer 1.000 S als Ersatz für Pflegekosten aus dem Titel des entgangenen Unterhaltes für die ersten zwei Monate nach dem Unfall aus. Der Erstbeklagte habe den Verkehrsunfall allein verschuldet. Infolge des Todes ihrer Mutter, die nicht berufstätig gewesen sei und sie zur Gänze versorgt habe, habe sie Anspruch im Sinne des § 1327 ABGB für entgangene Pflege- und Erziehungsleistungen, und zwar auch für die Zukunft, weshalb sie das Feststellungsbegehren stelle.

Die Beklagten bestritten das restliche Klagebegehren, weil die Klägerin ein Mitverschulden ihrer Mutter, das mit jenem des Erstbeklagten gleichzusetzen sei, gegen sich gelten lassen müsse. Während für den Erstbeklagten im Einmündungsbereich ungünstige Sichtverhältnisse bestanden hätten, er sich deshalb mit geringer Geschwindigkeit in die Gemeindestraße hineinbewegt habe und daher das Fahrzeug der Mutter der Klägerin erst im letzten Moment vor der Kollision wahrgenommen habe, hätte für die Mutter der Klägerin eine wesentlich bessere Sicht bestanden; außerdem sei sie mit 70 km/h statt der verordneten 35 km/h unterwegs gewesen; es sei daher von einer Verschuldensteilung von 1 : 1 auszugehen.

Demgegenüber brachte die Klägerin vor, daß die gegenständliche Geschwindigkeitsbegrenzung keine rechtliche Bedeutung erzeuge, da jede korrespondierende Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung gefehlt habe und außerdem diesen Verkehrstafeln keine Zusatztafeln zugeordnet worden seien. Es sei daher auf dieser Freilandstraße eine Geschwindigkeit von 100 km/h zulässig gewesen. Außerdem müßte im Hinblick auf die massive Vorrangverletzung durch den Erstbeklagten ein geringfügiges Fehlverhalten ihrer Mutter bei der Schadensaufteilung unberücksichtigt bleiben.

Mit seinem Endurteil sprach das Erstgericht der Klägerin den Betrag von 1.000 S samt Anhang zu und stellte die Haftung der (richtig wohl) zwei beklagten Parteien zusätzlich zu dem bereits ergangenen Anerkenntnisurteil für alle künftigen Unfallsfolgen aus dem gegenständlichen Verkehrsunfall, bei dem die Mutter der Klägerin getötet wurde, zur ungeteilten Hand im weiteren Ausmaß von 25 % - die Haftung der Zweitbeklagten mit der Höhe der Versicherungssumme aus dem gegenständlichen Haftpflichtversicherungsvertrag begrenzt - fest. Das die Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Unfallsfolgen zu weiteren 25 % betreffende Mehrbegehren wies es ab.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Erstbeklagte sich einer Vorrangverletzung gemäß § 19 Abs 6 StVO schuldig gemacht haben, weil er trotz der gegebenen Sichtbehinderung es unterlassen haben, sich eines Einweisers zu bedienen und sich mit seinem Fahrzeug vorzutasten. Bei Beurteilung der Frage eines Mitverschuldens der Mutter der Klägerin ging das Erstgericht davon aus, daß sich der Verkehrsunfall außerhalb des Ortsgebietes auf einer Freilandstraße ereignet habe und die höchstzulässige Fahrgeschwindigkeit für das von der Mutter der Klägerin gelenkte Kraftfahrzeug bei 100 km/h gelegen wäre. § 20 Abs 1 StVO schreibe jedoch vor, daß der Fahrzeuglenker die Geschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sicherheitsverhältnissen anzupassen habe; außerdem sei ein Kraftfahrer verpflichtet, während der Fahrt die vor ihm liegende Fahrbahn in ihrer ganzen Breite einschließlich der Fahrbahnränder und etwa anschließender Verkehrsflächen im Auge zu behalten. Da die Unfallsstrecke der Mutter der Klägerin sehr wohl bekannt gewesen sei und sie daher die Hausausfahrt des Erstbeklagten habe kennen müssen, hätte sie besondere Sorgfalt walten lassen müssen. Außerdem habe auch die Geschwindigkeitsbeschränkung von 35 km/h auf eine besondere Verkehrssituation hingewiesen. Auch wenn es keine sachliche Rechtfertigung für diese Verkehrsbeschränkung gegeben habe, hätte die Mutter der Klägerin auf Grund der Unüberschaubarkeit des Fahrbahnrandes und der daran angrenzenden Flächen ihre Geschwindigkeit mindern müssen. Es sei auch nicht anzunehmen, daß sich die Verunglückte über die rechtliche Wirkung der Verkehrstafel erkundigt habe. Eine Abwägung der den beteiligten Fahrzeuglenkern vorzuwerfenden Verfehlungen rechtfertige eine Verschuldensteiung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten der beklagten Parteien.

Zu dem letztlich erhobenen Leistungsbegehren führte das Erstgericht aus, daß die Pflegekosten in der Höhe von 1.000 S der Klägerin aus dem Titel des entgangenen Unterhaltes gebührten.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin, mit der diese die gänzliche Stattgebung des Klagebegehrens anstrebte, nicht, der Berufung der beklagten Parteien jedoch teilweise Folge und änderte das erstinstanzliche Endurteil dahin ab, daß es - von einem gleichteiligen Verschulden der Fahrzeuglenker ausgehend - der Klägerin 500 S samt Anhang unter Abweisung des Zahlungsmehrbegehrens sowie des restlichen Feststellungsbegehrens zusprach. Schließlich sprach es aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei.

Das Berufung traf die bereits wiedergegebenen ergänzenden Feststellungen, übernahm im übrigen den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt und nahm davon ausgehend zu den in den Berufungen erhobenen, von der Klägerin im Sinne des Alleinverschuldens des Erstbeklagten und den Beklagten im Sinne eines gleichteiligen Verschuldens der beteiligten Kraftfahrzeuglenker ausgeführten Rechtsrügen wie folgt Stellung:

Geschwindigkeitsbeschränkungen würden durch Verordnung der Behörde erlassen (§ 43 Abs 1 Z 1 StVO). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entfalteten Straßenverkehrszeichen, denen keine Verorndung zugrundeliegt, keinerlei Rechtswirkungen (VwGH vom 24.4.1981, Zl 02/3254/80-7; MGA StVOA8 § 43 E 10; ZVR 1992, 104 insbesondere FN 1; VwGH vom 19.10.1988, Zl 87/03/0196 = SlgNr 12792[A]). Dies gelte nicht nur für Vorschriftszeichen nach § 52 StVO, sondern auch für das Fehlen von Zusatztafeln (§ 54 Abs 5 lit b) bzw allfälliger Wiederholungszeichen (§ 51 Abs 1 StVO) (ZVR 1992, 104 mwN; VwGH vom 24.2.1988, 8703/01/60 = Slg 12656(A)). Soweit überblickbar habe der Oberste Gerichshof nur in seiner Entscheidung vom 30.5.1963, 2 Ob 121/63, die Meinung vertreten, daß die Nichtbeachtung einer durch keine Verordnung im Sinne des § 43 Abs 1 StVO gedeckten Verkehrsbeschränkung keine zivilrechtliche Haftung begründe (EvBl 1963/359 = MGA StVO8 § 43 E 3). In der Folge habe der Oberste Gerichtshof hingegen mehrfach entschieden, daß ein nicht zufolge einer Verordnung aufgestelltes Verkehrszeichen zwar ungültig sei, sich jedoch aus Gründen der Rechts- und Verkehrssicherheit jedermann auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen könne. Selbst ein Kraftfahrer, der die Ungültigkeit eines aufgestellten Verkehrszeichens kenne, habe dieses insofern zu beachten, als er damit rechnen könne, daß andere Verkehrsteilnehmer dessen Ungültigkeit nicht kennen (ZVR 1971/30; ZVR 1978/129; ZVR 1983/168). Diese Entscheidungen beträfen die Vekehrszeichen "Achtung Vorrangverkehr" (nun § 52 lit c Z 23 StVO), "Halt vor Kreuzung" (nun § 52 lit c Z 24 StVO) und "Vorrang geben" (§ 52 lit c Z 23 StVO). Diese - nur scheinbare - Divergenz der Ansicht der Höchstgerichte werde verständlich, wenn man bedenke, daß im Verwaltungsstrafverfahren, in dem der Bürger der Behörde gegenübersteht, die "Antragsteller und Richter" in einem sei (Fasching ZPR2 Rdz 17), ein Strafbedürfnis gegenüber einem Verkehrsteilnehmer, der ein nicht durch eine Verordnung gedecktes und somit ungültiges Verkehrszeichen nicht beachtet habe, somit wohl nicht bestehe, zumal es der Behörde ja frei stehe, bei Bedarf eine entsprechende Verordnung zu erlassen, hingegen im Schadenersatzprozeß zu beurteilen sei, ob und inwieweit die Haftung eines Verkehrsteilnehmers, der ein wenngleich nicht durch Verordnung gedecktes Verkehrzeichen mißachtet habe, im Falle einer Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers gegeben sei. Straßenverkehrszeichen (§§ 50, 52, 53 StVO) vermittelten den Verkehrsteilnehmern bestimmte Vorstellungen bezüglich wesentlicher auf das Verkehrsgeschehen bezughabender Umstände; das könnten Gefahrenzeichen (§ 50 StVO), Vorschriftszeichen (§ 52 StVO) oder Hinweiszeichen (§ 53 StVO) sein. Mit Hilfe dieser Zeichen würden den normunterworfenen Verkehrsteilnehmern auf leicht faßliche Art bestimmte erwartete Verhaltensweisen eindeutig und zweifelsfrei kundgemacht. Diese Verkehrszeichen signalisierten somit eine bestimmte, für das Verkehrsgeschehen wesentliche Verhaltenserwartung. Zufolge der symbolhaften und demnach einfachen Mitteilung bestimmter Verhaltensweisen könne es auch nicht einem Verkehrsteilnehmer überlassen sein, zu beurteilen, bei welcher Sachlage er die durch das Verkehrszeichen angeordnete Verhaltensweise nicht einzuhalten brauche (MGA StVO8 § 48 E 14, § 51 E 1,3 = ZVR 1989/66, ZVR 1975/268). Die Verkehrs- und Rechtssicherheit könne nur dann erreicht werden, wenn eine generelle Verpflichtung besteht, Verkehrszeichen zu befolgen. Wollte man die Wirkung eines Verkehrszeichen im Straßenverkehr im Verhältnis zwischen den Beteiligten davon abhängig machen, ob dem Verkehrszeichen auch eine Verordnung zugrundeliegt, so wäre die Verkehrssicherheit im höchsten Maße beeinträchtigt. Da sich den zitierten jüngeren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes - die Vorrangsituationen betroffen hätten - eine Einschränkung des Grundsatzes, daß sich jedermann auf die Gültigkeit aufgestellter Verkehrszeichen verlassen können müsse, auf Vorrangfälle nicht entnehmen lasse, sei im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß trotz Fehlen einer Verordnung das aufgestellte Verkehrszeichen von der Mutter der Klägerin habe beachtet werden müssen, zumal es, möge es auch keine Zusatztafel und kein Wiederholungszeichen aufgewiesen haben, im Verkehrsgeschehen seine volle Wirksamkeit entfaltet habe, worauf sich auch andere Verkehrsteilnehmer haben verlassen können. In zivilrechtlicher Hinsicht habe somit die durch das genannte Vorschriftszeichen ausgedrückte Geschwindigkeitsbeschränkung für die Mutter der Klägerin gegolten. Demnach erwiesen sich Überlegungen hinsichtlich der Wiederholungszeichen und Zusatztafeln in Ansehung der Frage, auf welche Distanz denn die ersichtliche Geschwindigkeitsbeschränkung, auf die das Hinweiszeichen nach § 53 Abs 1 Z 17 a, b (Ortstafel, Ortsende) keinen Einfluß habe, nun tatsächlich gegolten habe, als entbehrlich (MGA StVO § 52 Anm 19, E 40, 55, 55a, § 51 E 6).

Die Mutter der Klägerin habe somit durch Einhaltung der unbekämpft festgestellten Geschwindigkeit von 61,8 km/h gegen die damals für sie geltende Geschwindigkeitsbeschränkung von 35 km/h verstoßen, worauf sich die Beklagten auch ausdrücklich berufen hätten (AS 34). Der eklatanten Vorrangverletzung durch den Erstbeklagten stehe somit die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung der Mutter der Klägerin gegenüber. Der Grundsatz, daß ein Verstoß gegen die Vorrangregelung als eine der Grundlagen des Vekehrrechtes schwerer wiege als die Geschwindigkeitsüberschreitung, gelte nur so lange, als die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht als besonders schwerwiegend zu qualifizieren sei. Eine solche erhebliche Verletzung einer bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung, die zum Ausspruch eines gleichteiligen Verschuldens führe, sei bei Überschreitung um 50 % bis 100 % anzunehmen (ZVR 1983/188; ZVR 1982/51 ua). Die von der Mutter der Klägerin eingehaltene Fahrgeschwindigkeit von rund 61 km/h sei also um rund 76 % über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h gelegen gewesen. Den Beklagten sei daher beizupflichten, daß beide beteiligten Kraftfahrzeuglenker ein gleichteiliges Verschulden am Zustandekommen des Unfalles treffe. Die von der Klägerin nach § 1327 ABGB erhobenen Leistungs- und Feststellungsansprüche bezüglich der ihr durch den Unfallstod ihrer Mutter entgangenen bzw. künftig entgehenden Pflege- und Erziehungsleistungen erführen somit durch das Mitverschulden der Mutter der Klägerin eine entsprechende Reduzierung

(MGA ABGB33 § 1327/22; Schwimann Praxiskommentar, Rdz 57; Koziol I2, 255 f, II2 145 ff, 151 ff).

Aus diesen Gründen sei der Berufung der Klägerin nicht, hingegen jener der Beklagten teilweise Folge zu geben und in der Hauptsache wie im Spruche zu entscheiden gewesen.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Frage der Verbindlichkeit von Verkehrszeichen, die nicht auf einer Verordnung beruhen, insbesondere ob dies auch für nicht auf Verordnung beruhende Vorschriftszeichen nach § 52 lit a Z 10a StVO gelte, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ingesamt nicht völlig einheitlich beantwortet worden sei.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Beklagten beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

In ihrer Revision hält die Klägerin an ihrem Rechtsstandpunkt fest, den Erstbeklagten treffe das alleinige Verschulden an dem Unfall, ein Mitverschulden ihrer Mutter bestünde nicht, weil für sie mangels Geltung der kundgemachten Geschwindigkeitsbeschränkung die für Freilandstraßen allgemein maßgebliche Geschwindigkeitsbeschränkung gegolten habe und diese von ihrer Mutter nicht überschritten worden sei. Die vom Berufungsgericht wiedergegebene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes über die Verpflichtung zur Einhaltung von nicht durch Verordnung gedeckte Verkehrszeichen treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu. Die Verpflichtung zur Beachtung auch ungültiger Verkehrszeichen diene lediglich dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer, die sich auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen (können) sollen. Der gegenständliche Verkehrsunfall habe sich nicht deshalb ereignet, weil sich der Erstbeklagte auf die Gültigkeit der Geschwindigkeitsbeschränkung verlassen habe, der Erstbeklagte habe vielmehr überhaupt nicht damit gerechnet, daß ein Verkehrsteilnehmer herannahe, der Unfall wäre für ihre Mutter auch dann unvermeidbar gewesen, wenn diese nur eine Fahrgeschwindigkeit von 35 km/h eingehalten hätte. Es bestehe daher kein Grund, zugunsten der Beklagten davon auszugehen, daß ihre Mutter durch die Nichteinhaltung einer ungesetzlichen Verkehrsbeschränkung ein zivilrechtliches Mitverschulden zu verantworten habe. Dem ist im wesentlichen zuzustimmen.

Das Berufungsgericht hat die zu der hier in erster Linie zu beantwortenden Frage, ob ein Verkehrszeichen, das ohne entsprechende Verordnung aufgestellt wurde, von Verkehrsteilnehmern zu beachten ist, ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes richtig dargestellt. Es hat auch ausführlich dazu Stellung genommen, aus welchen Gründen es der vom Obersten Gerichtshof seit 1970 vertretenen Rechtsansicht (ZVR 1971/30; ZVR 1978/129; ZVR 1983/168) gefolgt ist, wonach sich jedermann auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen und damit rechnen können muß, daß andere Verkehrsteilnehmer sich dem Verkehrszeichen entsprechend verhalten werden. Dieser Grundsatz wurde sowohl in Ansehung von Vorrangzeichen (nunmehr § 52 lit c Z 23 und 24 StVO; dazu weiters 2 Ob 198/77; ZVR 1981/263; 2 Ob 217/82; 2 Ob 264/82; ZVR 1985/91) zum Ausdruck gebracht, als auch im Zusammenhang mit dem Verbots- oder Beschränkungszeichen "Wartepflicht bei Gegenverkehr" nach § 52 lit a Z 5 StVO vertreten (2 Ob 64/72).

All diese Straßenverkehrszeichen sind aber Vorschriftszeichen, bei welchen neben der Vermittlung einer bestimmten Verhaltenspflicht an ihre Adressaten ein dem gebotenen Verhalten entsprechendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers zum Ausdruck kommt, ein Vorrang des die Fahrtrichtung des Benachrangten kreuzenden Verkehrsteilnehmers gegenüber dem durch die Vorrangzeichen nach § 52 lit c Z 23 und Z 24 StVO Benachrangten, bzw ein Vorfahrtsrecht desjenigen Kraftfahrzeuglenkers, in dessen Fahrtrichtung der schwarze Pfeil weist gegenüber demjenigen, für den der auf dem Verbots- oder Beschränkungszeichen nach § 52 lit a Z 5 StVO abgebildete rote Pfeil gilt. Bei dem hier in Rede stehenden Verbots- oder Beschränkungszeichen nach § 52 lit a Z 10a StVO ist dies hingegen nicht der Fall; dem durch dieses Verkehrzeichen zum Ausdruck gebrachten Verbot, eine bestimmte Fahrgeschwindigkeit zu überschreiten, entspricht kein korrespondierendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers. Wenngleich Geschwindigkeitsbeschränkungen sämtlichen auf überhöhter Geschwindigkeit beruhenden Gefahren des Straßenverkehrs vorbeugen sollen, ist diesem Verkehrzeichen doch kein Hinweis auf einen konkret in Frage kommenden Verkehrsteilnehmer zu entnehmen, von dem der zufolge dieses Straßenverkehrszeichen Verpflichtete annehmen können müßte, er werde sich auf dessen Geltung verlassen. Die zur Rechtfertigung der Beachtlichkeit an sich ungültiger Verkehrszeichen bei Beurteilung der zivilrechtlichen Ersatzpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen herangezogenen Argumente treffen bei der Mißachtung eines ohne zugrundeliegender Verordnung aufgestellten Verkehrszeichens nach § 52 lit a Z 10a StVO jedenfalls dann nicht zu, wenn es zu einem Unfall kommt, der - wie im vorliegenden Fall - dadurch ausgelöst wird, daß eine anderer Verkehrsteilnehmer entgegen seiner Verpflichtung, sich beim Ausfahren aus einer Grundstückseinfahrt mangels Sicht auf die Straße vorzutasten, in einem Zug in die Straße einfährt, zumal einem solchen Verkehrsteilnehmer auch nicht ein Vertrauen iS des § 3 StVO darauf zugebilligt werden kann, Verkehrsteilnehmer auf der Straße würden sich der Geschwindigkeitsbeschränkung entsprechend verhalten, zumal ein Verkehrsteilnehmer, der selbst - zu erhöhter Aufmerksamkeit verhalten - die ihm im Straßenverkehr obliegenden Pflichten nicht erfüllt, sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen darf (vgl MGA StVO8 § 3 StVO E.33 f; Dittrich-Stolzlechner, StVO3, § 3 Anm 27b). Es kann aber auch nicht gesagt werden, der Erstbeklagte hätte sich auf die Gültigkeit der Geschwindigkeitsbeschränkung verlassen, denn bei seiner Fahrweise wäre es auch dann zu einem Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge gekommen, wenn die Mutter der Klägerin sich an das Verkehrszeichen gehalten hätte. Die Nichtbeachtung des hier aufgestellten Verkehrszeichens durch die Mutter der Klägerin kann für diese daher keine zivilrechtliche Haftung begründen.

Da sich der Unfall bereits außerhalb des Hinweiszeichens "Ortsende" und damit im Freilandgebiet ereignet hat, kann der Mutter der Klägerin die Überschreitung einer absoluten Begrenzung der Fahrgeschwindigkeit (§ 52 lit a Z 10a StVO bzw § 20 Abs 2 StVO) nicht zum Vorwurf gemacht werden. Insoweit die der Klägerin von den Beklagten angelastete Geschwindigkeitsüberschreitung auch als Verstoß gegen § 20 Abs 1 StVO aufzufassen wäre - ein konkretes Vorbringen wurde dazu nicht erstattet - könnte dieses Fehlverhalten gegenüber der dem Erstbeklagten zur Last liegenden groben Vorrangverletzung (§ 19 Abs 7 StVO) jedenfalls kein meßbares Mitverschulden begründen.

Damit erweist sich aber die Revision der Klägerin als berechtigt, weshalb ihr - ohne daß es notwendig wäre, auf die übrigen Rechtsmittelausführungen einzugehen - Folge zu geben und bei der Endentscheidung von der alleinigen Haftung der Beklagten für die (aus § 1327 ABGB abgeleiteten) Unfallsfolgen auszugehen war.

Es mußten daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des (restlichen) Klagebegehrens abgeändert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.