JudikaturJustiz27Ds2/17a

27Ds2/17a – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Februar 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Mag. Vas, LL.M., und Dr. Hausmann als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 1. Dezember 2016, AZ D 9/16, nach nichtöffentlicher mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter, LL.M., des Kammeranwalts Dr. Roehlich und des Disziplinarbeschuldigten ***** zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und ***** von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 5. Oktober 2015 in W***** ohne erforderliche Vorprüfung eine Strafanzeige gegen Rechtsanwältin ***** hinsichtlich des Verdachts auf §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht und er habe hiedurch die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 1. Dezember 2016, AZ D 9/16, wurde ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt, weil er am 5. Oktober 2015 in W***** ohne erforderliche Vorprüfung eine Strafanzeige gegen Rechtsanwältin ***** hinsichtlich des Verdachts auf §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht hatte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten, der Berechtigung zukommt.

Der Berufungswerber weist in seiner inhaltlich als Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) im Ergebnis zutreffend darauf hin, dass die Konstatierungen des Disziplinarrats weder die rechtliche Annahme einer Verletzung von Berufspflichten (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt) noch die einer Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) zu tragen vermögen.

Nach den Feststellungen des Disziplinarrats hat Rechtsanwältin ***** als Vertreterin der D***** Kft in ihrem direkt an die G***** GmbH gerichteten, als „letzte Mahnung“ titulierten Schreiben vom 25. September 2015 deren (mit Schreiben vom 2. Juni 2015 erhobene) Ansprüche abgelehnt und eine Gegenforderung von 19.788 Euro sA geltend gemacht, wobei als einer der Gründe für dieses Zahlungsbegehren „die mangels Gewerbeberechtigung unterbliebene Erfüllung der im Vertrag vom 24. 02. 2015 übernommenen Verpflichtung“ genannt und eine Zahlungsfrist bis zum 12. Oktober 2015 eingeräumt wurde. Anschließend heißt es in diesem Schreiben: „Bitte halten Sie diesen Termin unbedingt ein. Wenn Sie ihn nicht einhalten, werden wir das gerichtliche Verfahren unverzüglich einleiten und mit der BH bezüglich ihrer Gewerbeberechtigung kontaktieren. Ganz abgesehen von den Unannehmlichkeiten würde dieser Schritt für Sie mit zusätzlichen Kosten verbunden sein.“

Hinsichtlich des Bedeutungsinhalts dieser Äußerung ging der Disziplinarrat auf Sachverhaltsebene (vgl RIS Justiz RS0092588) davon aus, dass die für den Fall der Nichteinhaltung des Zahlungstermins bekundete Absicht einer Kontaktierung der Bezirkshauptmannschaft vom Adressaten als unzulässige Druckausübung (Drohung) verstanden werden konnte, von ***** aber lediglich als Hinweis darauf gemeint war, dass dies für die (in der Folge tatsächlich eingebrachte) Zahlungsklage erforderlich sein würde.

Zur Reaktion des ***** als (ständiger) Rechtsvertreter der G***** GmbH hielt der Disziplinarrat fest, dass der Disziplinarbeschuldigte in seinem Antwortschreiben vom 1. Oktober 2015 jede Zahlung ablehnte und ***** darüber informierte, dass er ihr Schreiben vom 25. September 2015 an die Staatsanwaltschaft und an die Rechtsanwaltskammer zur Überprüfung weitergeleitet habe, weil ihr „Vorgehen der Junktimierung einer Nichtzahlung mit der Anzeige bei einer Behörde […] den Versuch einer Nötigung dar[stellt]“. Der Disziplinarrat nahm dazu an, dass ***** sofort nach Kenntniserhalt eine Disziplinaranzeige und eine Strafanzeige gegen Rechtsanwältin ***** erstattet hatte, ohne dieser vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Das Verfahren gegen ***** wegen §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB wurde von der Staatsanwaltschaft Wien am 12. November 2015 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt.

Der gefestigten Standesauffassung entspricht es, dass ein Rechtsanwalt eine Strafanzeige gegen einen anderen Rechtsanwalt erst nach gewissenhafter Prüfung der Sach- und Rechtslage erstatten darf (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO 9 § 1 DSt Rz 51 und Rz 66; Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 RAO § 9 Rz 15). Eine insoweit leichtfertig erstattete Anzeige macht den Rechtsanwalt disziplinär verantwortlich ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 RAO § 9 Rz 15; RIS Justiz RS0056158).

Nach den Konstatierungen des Disziplinarrats konnte die von Rechtsanwältin ***** in ihrem, direkt an die Mandantin des Disziplinarbeschuldigten gerichteten Schreiben für den Fall der Nichteinhaltung des Zahlungstermins angekündigte Kontaktierung der Bezirkshauptmannschaft bezüglich der Gewerbeberechtigung vom Adressaten als unzulässige Druckausübung (Drohung) verstanden werden. Der Einsatz von Drohungen zur Erreichung eines an sich erlaubten Zwecks – wie vorliegend zur Durchsetzung eines (tatsächlich oder wenigstens vermeintlich bestehenden) zivilrechtlichen Anspruchs (vgl Schwaighofer in WK² StGB § 105 Rz 76) – ist nur zulässig (vgl § 105 Abs 2 StGB), sofern das angekündigte Übel an sich erlaubt ist und zwischen diesem und dem angestrebten Zweck ein sachlicher Zusammenhang besteht (vgl Kienapfel/Schroll StudB Bd I 4 § 105 Rz 67 ff; Schwaighofer in WK 2 StGB § 105 Rz 79 ff). Die Ankündigung der Kontaktierung der Gewerbebehörde ist zwar – ebenso wie die (auch hier erfolgte) Androhung einer Klagsführung – an sich erlaubt (vgl Schwaighofer in WK² StGB § 105 Rz 78; Kienapfel/Schroll StudB Bd I 4 § 105 Rz 71), zur Durchsetzung eines Zahlungsbegehrens jedoch nur dann zulässig, wenn zwischen dem (behaupteten) zivilrechtlichen Anspruch und der Einschaltung der Gewerbebehörde ein sachlicher Zusammenhang besteht.

Nach den Konstatierungen des Disziplinarrats kann ein solcher Zusammenhang nicht angenommen werden; zumindest aber war ein solcher Konnex für ***** nicht erkennbar. Entsprechende Feststellungen in einem weiteren Rechtsgang sind nach der Aktenlage aber auch nicht indiziert (vgl RIS Justiz RS0100239). Solcherart ist die vom Disziplinarbeschuldigten bei der Anzeigenerstattung vertretene Rechtsansicht, wonach die Androhung einer Verständigung der Gewerbebehörde für den Fall der Nichtzahlung der geltend gemachten Forderung zumindest den objektiven Tatbestand der Nötigung erfülle, jedenfalls vertretbar.

Im Hinblick darauf, dass Rechtsanwalt ***** der Staatsanwaltschaft durch Übermittlung des von Rechtsanwältin ***** verfassten Schreibens den vollständigen Wortlaut sowie den Kontext der inkriminierten Äußerungen mitgeteilt und er ferner eine vertretbare rechtliche Beurteilung des angezeigten Sachverhalts vorgenommen hatte, kann von einer leichtfertigen, kritiklosen Anzeigenerstattung keine Rede sein. Es liegt demnach weder eine Verletzung von Berufspflichten noch eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes vor.

Das angefochtene Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien war daher aufzuheben und der Disziplinarbeschuldigte von dem wider ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt iVm § 54 Abs 3 DSt freizusprechen.