JudikaturJustiz21R98/18x

21R98/18x – LG St. Pölten Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2018

Kopf

Das Landesgericht St. Pölten hat durch die Richter des Landesgerichtes HR Dr. Schramm (Vorsitzender), Mag. M. Fischer und Mag. Mazzolini-Stöckl in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ihsan Y***** , Hilfsarbeiter, ***** St. Pölten-*****, 2. Sevgi Y***** , Hausfrau, wohnhaft ebendort, und 3. mj. Asiye Y***** , *****, Schülerin, wohnhaft ebendort, letztere vertreten durch den Vater Ihsan Y*****, sämtliche vertreten durch Dr. Thomas Trixner, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1. W***** Versicherung AG , ***** Wien, *****, und 2. Reinhard Z***** , Produktionsmitarbeiter, ***** Herzogenburg, *****, beide vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch, Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen € 7.618,00 s.A., über den Rekurs des Zweitbeklagten gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 30.03.2018, 4 C 985/15w-62, den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird a u f g e h o b e n und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Der Antrag des Zweitbeklagten auf Zuspruch von Rekurskosten wird z u r ü c k - g e w i e s e n .

B e g r ü n d u n g :

Text

Gegenstand dieses Zivilverfahrens ist ein Verkehrsunfall. Das Beweisverfahren wurde bereits durchgeführt. Das Erstgericht hat auch bereits ein – größtenteils klagsstattgebendes – Urteil ausgefertigt. Dieses datiert vom 26.02.2018 und wurde den Parteien bzw. den Parteienvertretern jeweils am 27.02.2018 zugestellt (ON 58). Binnen offener Berufungsfrist, und zwar einlangend am 22.03.2018, stellte der Zweitbeklagte einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes zur weiteren Führung dieses Verfahrens, also offenkundig zur Einbringung einer Berufung. Nach den Angaben im Vermögensverzeichnis bezieht der Zweitbeklagte ein Taggeld des AMS in Höhe von € 28,18 sowie eine Leistung der PVA in Höhe von € 481,39. Nach diesen Angaben dürfte sich das Einkommen des Zweitbeklagten daher monatlich auf rund € 1.300,00 belaufen. Auf Seite 6 des Antragsformulares ZPForm 1 gab der Zweitbeklagte an, es bestehe eine Rechtsschutzversicherung, die den konkreten Fall umfasse, bei der W***** Versicherung zu Vertragsnummer *****-U*****.364-9. Des weiteren bezifferte der Zweitbeklagte die Ausgaben, welche er für Wohnkosten zu tragen hat, er bezeichnete ein Kraftfahrzeug der Marke Kia, bezifferte einen geringfügigen Kontostand auf seinem Girokonto und listete diverse Verbindlichkeiten/Schulden auf. Dem Vermögensbekenntnis angeschlossen wurden eine Vorschreibung der A***** Wohnungsgenossenschaft mbH, die Polizze (Nachtrag) zu einer Lebensversicherung und ferner die Polizze (Ergänzung) zu einer Rechtsschutzversicherung. Diese Polizze trägt die Nummer *****-U*****.964-9. Aus dem Text der elften Ergänzung zu dieser Polizze ergibt sich, dass mit dieser Versicherung ein Fahrzeugrechtsschutz gewährt wird für einen PKW/Kombi/KFZ-Klasse L2 mit dem Kennzeichen PL-*****.

Mit dem nun angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht den Antrag des Zweitbeklagten auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen und in der Begründung darauf hingewiesen, dass die Bewilligung der Verfahrenshilfe in diesem Falle deshalb nicht in Betracht komme, weil der Zweitbeklagte in seinem Vermögensbekenntnis angegeben habe, dass er eine Rechtsschutzversicherung habe, welche den konkreten Fall umfasste. Damit sei dann klar, dass eine Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts im Zusammenhang mit der weiteren Prozessführung nicht denkbar sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Zweitbeklagten, welcher im Rekursverfahren wiederum durch jene Anwaltskanzlei vertreten wird, welche im bisherigen erstinstanzlichen Verfahren für beide Beklagte (W***** Versicherung AG und Zweitbeklagter) aufgetreten ist. Im Rekurs wird eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine unrichtige rechtliche Beurteilung gerügt. Die Angaben des Zweitbeklagten im Vermögensbekenntnis seien unrichtig gewesen. Es bestehe zwar eine Rechtsschutzversicherung, diese decke allerdings einen Passivprozess nicht ab. Auch die Haftpflichtversicherung gewähre in diesem Fall keine weitere Deckung mehr. Der Rekurswerber meint, das Erstgericht habe übersehen, dass es fehlerhafte oder unvollständige Verfahrenshilfeanträge zur Verbesserung zurückzustellen bzw. zu überprüfen habe, wenn es Bedenken gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Vermögensbekenntnisses habe. Der Antrag des Zweitbeklagten hätte jedenfalls zu Bedenken führen müssen, da der Zweitbeklagte zwar eine Rechtsschutzversicherung mit Polizzennummer angeschlossen habe, aber hierzu keine korrespondierende Deckungszusage oder -ablehnung vorgelegt habe. Hier hätte das Erstgericht weitere Erhebungen vornehmen müssen. Als sekundärer Feststellungsmangel wird im Rahmen der Rechtsrüge geltend gemacht, es hätte sich bei weiteren Erhebungen ergeben, dass keine Rechtsschutzdeckung vorliege, weshalb dann die Verfahrenshilfe zu bewilligen gewesen wäre.

Dem Rekurs angeschlossen wurde ein Schreiben der W***** AG, V*****, vom 04.04.2018 betreffend die Polizze U-*****.964, in welchem mitgeteilt wird, dass kein Versicherungsschutz bestehe, weil gegenständliches Passivverfahren nicht Gegenstand der Rechtsschutzversicherung sei. Des weiteren wurde dem Rekurs angeschlossen ein E-Mail der erstbeklagten Partei an den Beklagtenvertreter, in welchem bekanntgegeben wird, dass wegen Aussichtslosigkeit keine Kostendeckung für das Verfahren zweiter Instanz in diesem Gerichtsverfahren übernommen werde. Die Erstbeklagte werde daher auch die Pauschalgebühr für ein Rechtsmittelverfahren nicht überweisen.

Rechtliche Beurteilung

Nun ist festzuhalten, dass die Rekursausführungen in weiten Teilen selbstverständlich gegen das Neuerungsverbot verstoßen. Von den ergänzenden Ausführungen und Urkundenvorlagen im Rahmen des Rekurses konnte das Erstgericht bei seiner eigenen Beschlussfassung ja nicht ausgehen. Diese Urkunden lagen ihm nicht vor. Davon, dass die Erstbeklagte keine weitere Deckung übernehmen würde, konnte das Erstgericht mangels entsprechenden Vorbringens im Antrag nichts wissen. Soweit in diesem Zusammenhang ein sekundärer Verfahrensmangel geltend gemacht wird, liegt ein solcher nicht vor.

Nichts desto trotz sind die Rekursausführungen im Ergebnis dennoch im Recht, wenn sie darauf hinweisen, dass dem Erstgericht bei Durchsicht des Verfahrenshilfeantrages Zweifel hätten verbleiben müssen und eine Ergänzung bzw. Verbesserung des Antrages aufzutragen gewesen wäre, dies aus folgendem Grund:

Es wurde weiter oben bereits dargestellt, welche Erklärungen im Vermögensbekenntnis durch den Zweitbeklagten abgegeben wurden und welche Urkunden dem Vermögensbekenntnis ZPForm 1 angeschlossen wurden. Von besonderer Relevanz ist der Begründung des Erstgerichtes entsprechend natürlich das Anführen des Bestehens einer Rechtsschutzversicherung, welche im konkreten Fall Deckung gewähren würde. Bei genauer Durchsicht stellt sich gerade in diesem Zusammenhang allerdings tatsächlich eine Unklarheit dar. Die im ZPForm 1 selbst angegebene Polizzennummer stimmt in einer Ziffer, und zwar in der ersten Ziffer nach dem Punkt (3 bzw. 9) nicht mit der angeschlossenen Polizzenausfertigung (Ergänzung) überein. Nun ist es zwar möglich, dass es sich hier schlichtweg um einen Schreibfehler handelt, dennoch ist dieser Umstand aber aufzuklären und zwar deshalb, weil sich die vorgelegte Polizze (Ergänzung) mit der Nummer *****-U*****.964-9 auf einen PKW mit dem Kennzeichen PL-***** bezieht. Diese Rechtsschutzversicherung kann mit dem konkreten Unfall an und für sich nicht in Verbindung stehen, denn der konkrete Unfall ereignete sich ja mit dem Motorrad des Zweitbeklagten mit dem Kennzeichen PL-*****MAB, einem Motorrad der Marke Yamaha FZS 600. Diese Unklarheit dürfte das Erstgericht übersehen haben und deshalb ohne weiteres davon ausgegangen sein, dass im vorliegenden Fall eine Rechtsschutzversicherung besteht. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Zweitbeklagte selbst, welcher den Verfahrenshilfeantrag ja ohne Rechtsbeistand einbrachte, diesbezüglich einem Irrtum unterlegen sein könnte. Genaueres ist hierzu freilich nicht bekannt. Insofern bestehen tatsächlich Unklarheiten und Bedenken an der Richtigkeit oder Vollständigkeit des vorgelegten Vermögensbekenntnisses und der angeschlossenen Urkunden, welche in einem fortgesetzten Verfahren durch Verbesserung zu klären sein werden. Da insofern eine Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens erforderlich ist, kommt eine sofortige Beschlussfassung in der Verfahrenshilfesache selbst durch das Rekursgericht derzeit nicht in Betracht.

Der angefochtene Beschluss musste vielmehr aufgehoben werden.

Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass im konkreten Fall nur die Ansprüche des Erstklägers den Schwellenwert des § 517 Abs. 1 ZPO übersteigen. Die Ansprüche der Zweit- und Drittklägerinnen erreichen diesen Betrag nicht. Grundsätzlich entspricht es ständiger Rechtsprechung u.a. auch des erkennenden Rekursgerichtes, dass in jenen Fällen, in welchen der Streitgegenstand den Betrag von € 2.700,00 nicht übersteigt, auch Beschlüsse in Angelegenheiten der Verfahrenshilfe nicht anfechtbar sind (vgl. beispielsweise hg. 21 R 16/17m, 17/17h sowie 21 R 207/17z u.v.a.). Damit würde sich im konkreten Fall die Frage stellen, ob die Ablehnung der Verfahrenshilfe durch das Erstgericht durch den Zweitbeklagten nur im Hinblick auf die Möglichkeit einer Berufungserhebung bekämpfbar wäre, soweit sie sich gegen die Klagsstattgebung zu den Ansprüchen des Erstklägers richtet, nicht jedoch hinsichtlich der Ansprüche der Zweit- und Drittklägerinnen. Nach Auffassung des Rekursgerichtes hat aber eine derartige Unterteilung zu unterbleiben. So wie Verfahrenshilfe grundsätzlich nicht nur für einzelne in einer Klage geltend gemachte Ansprüche bewilligt werden soll oder kann (vgl. MGA JN/ZPO 17 E. 5 zu § 64 ZPO), soll dies umgekehrt auch für die Abwehr von Klagsansprüchen nicht zu einer Unterteilung der Verfahrenshilfe führen. Auch soll die Verfahrenshilfe stets für das ganze Verfahren bewilligt werden und nicht auf bestimmte Prozesshandlungen oder Verfahrensschritte beschränkt werden (MGA a.a.O., E. 6). Aus diesen Grundsätzen kann abgeleitet werden, dass auch zur Abwehr der Klagsansprüche die Frage der Bewilligung der Verfahrenshilfe als Einheit behandelt und betrachtet werden soll. Dementsprechend wurde auch der Rekurs des Zweitbeklagten als Einheit betrachtet und behandelt und keine Unterteilung im Hinblick auf die abzuwehrenden Ansprüche vorgenommen.

In Bezug auf die im Rekurs verzeichneten Kosten ist auf § 72 Abs. 3 letzter Satz ZPO zu verweisen, wonach ein Kostenersatz im Verfahren über die Verfahrenshilfe nicht stattfindet. Der Rekurswerber hat daher seine Kosten selbst zu tragen.