JudikaturJustiz21R11/05h

21R11/05h – LG St. Pölten Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2005

Kopf

Das Landesgericht St. Pölten hat durch die Richter des

Landesgerichtes Dr. Schramm (Vorsitzender) sowie Dr. Hintermeier und

Dr. Steger in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Friedrich

S*****, Pensionist, ***** Weißenbach am Attersee, *****, vertreten durch Dr. Johannes Riedl, Dr. Gerold Ludwig, Mag. Jörg Tockner, Rechtsanwälte in Stadt Haag, wider die beklagte Partei Rosa Maria S*****, Angestellte, ***** Waidhofen/Ybbs, *****, vertreten durch Dr. Christoph Haffner, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Herausgabe (Streitwert € 3.000,--), über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Waidhofen/Ybbs vom 16.11.2004, 1 C 44/04g-6, gemäß § 473 Abs. 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Urteil sowie das gesamte erstinstanzliche Verfahren ab Klagszustellung für n i c h t i g erklärt.

Die Klage wird wegen Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs dem Bezirksgericht Waidhofen/Ybbs als zuständigem Außerstreitgericht im Aufteilungsverfahren (1 C 7/04s) überwiesen, das auf die im streitigen Verfahren aufgelaufenen Kosten erster Instanz bei seiner Entscheidung Bedacht zu nehmen haben wird.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte in seiner am 4.5.2004 beim Erstgericht eingelangten Klage, die Beklagte zur Herausgabe der für das Haus *****straße 10 auf der Liegenschaft EZ 3 KG Zell Markt, BG Waidhofen/Ybbs, passenden Schlüssel zu verurteilen. Der Kläger sei grundbücherlicher Eigentümer dieser Liegenschaft und sei mit Urteil des BG Waidhofen/Ybbs vom 3.4.2002, rechtskräftig geworden am 30.5.2003, von der Beklagten geschieden worden. Ein Aufteilungsverfahren zwischen ihnen behänge bereits zu 1 C 7/04s des BG Waidhofen/Ybbs. Die Beklagte versuche in unzulässiger und unrechtmäßiger Weise ihre Vorstellungen im Aufteilungsverfahren vorwegzunehmen und habe den Kläger aus dem Haus ausgesperrt bzw. die Schlösser getauscht.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, das Alleinverschulden an der Scheidung (§ 61 Abs. 3 EheG) habe den Kläger getroffen, der bereits vor mehr als 4 Jahren seinen Wohnsitz von Waidhofen/Ybbs nach Weißenbach verlegt habe. Seitdem sei die Wohngemeinschaft beendet, der Kläger habe der Beklagten die eheliche Wohnung und das Haus zur Alleinbenützung überlassen.

Der Kläger verwies ergänzend darauf, dass es sich um die Ehewohnung handle, die auch Gegenstand des Aufteilungsverfahrens sei und die er regelmäßig mitbenützt habe. Dass das Haus Burgfriedstraße 10 in Waidhofen/Ybbs ehemals die Ehewohnung gewesen war, stellten die Parteien dann auch noch außer Streit.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete der Erstrichter die Beklagte im Sinne des Klagebegehrens zur Herausgabe der Schlüssel sowie zum Kostenersatz. Der Erstrichter ging dabei von den auf den Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung wiedergegebenen Sachverhaltsfeststellungen aus, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden darf. Rechtlich vertrat er die Auffassung, der Kläger sei nach wie vor Mitbesitzer an der Ehewohnung, die auch ins Aufteilungsverfahren einzubeziehen sei. Bis zur Aufteilung habe daher auch der Kläger ein Recht auf Besitz an der Ehewohnung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger hat beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben. Aus Anlass des Rechtsmittels hat das Berufungsgericht von Amts wegen wahrzunehmen, dass beim angefochtenen Urteil samt dem vorangegangenen Verfahren der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z 6 ZPO (Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs) vorliegt (MGA JN/ZPO15, E. 104 zu § 477 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Nach dem bis 31.12.2004 geltenden - und daher im erstinstanzlichen Verfahren an sich (das Urteil datiert vom 16.11.2004) anzuwendenden - § 235 Abs. 1 und 2 AußStrG aF galt folgendes:

Machte ein Ehegatte binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe Ansprüche an den anderen Ehegatten hinsichtlich ehelichen Gebrauchsvermögens oder ehelicher Ersparnisse, soweit sie der Aufteilung unterliegen, im streitigen Verfahren geltend, so hatte das Prozessgericht mit Beschluss die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs auszusprechen und die Rechtssache dem zuständigen Außerstreitgericht zu überweisen; war beim Ablauf des Jahres ein Verfahren über die Aufteilung ehelichen Gebrauchsvermögens oder ehelicher Ersparnisse bereits anhängig, so endete die Frist mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung in diesem Verfahren (§ 235 Abs. 1 AußStrG aF). Für die Überweisung galten die §§ 44 und 46 Abs. 1 JN sinngemäß. Das Gericht, an das die Sache überwiesen wurde, hatte das Verfahren unter Benützung der Akten des Prozessgerichts durchzuführen und bei der Entscheidung im Kostenpunkt die im Verfahren vor dem Prozessgericht aufgelaufenen Kosten zu berücksichtigen (§ 235 Abs. 2 AußStrG aF). Dass das Haus ***** 10 in Waidhofen/Ybbs die Ehewohnung war, war im Verfahren nicht strittig und hat der Erstrichter festgestellt, dies behauptet der Kläger selbst. Die Ehewohnung ist auch Gegenstand des ohnedies bereits eingeleiteten Aufteilungsverfahrens vor dem Erstgericht zu 1 C 7/04s.

Nach der bisherigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS 0008568) waren von der aus § 235 Abs. 1 AußStrG aF abzuleitenden Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs nicht nur sämtliche Leistungsklagen hinsichtlich ehelichen Gebrauchsvermögens bzw. ehelicher Ersparnisse betroffen, sondern etwa auch Ansprüche auf einen Anteil an dem aus einer zum ehelichen Gebrauchsvermögen gehörigen Sache erzielten Nutzen bzw. auf Rückersatz zur Erhaltung einer solchen Sache getätigter Aufwendungen (9 ObA 356/98p), ebenso Rechtsgestaltungsansprüche (wie etwa Zivilteilungsklagen - 1 Ob 767/83) und sogar Feststellungsklagen, soweit das festzustellende Recht oder Rechtsverhältnis einer Rechtsgestaltung im Zug der noch ausstehenden nachehelichen Aufteilung unterworfen war (SZ 54/126):

„Zusammenhangsaufgabenkreis des Außerstreitrichters". Hier begehrt der Kläger nicht primär eine rechtsgestaltende Aufteilungsentscheidung in Bezug auf die Ehewohnung (das diesbezügliche Aufteilungsverfahren läuft ja sogar), sondern die Herausgabe von Schlüsseln zur Ehewohnung; von der Art des Rechtsschutzbegehrens her wäre die Sache also auf den ersten Blick nicht in das außerstreitige Verfahren verwiesen. Der Hauptaufgabenkreis des Außerstreitrichters - die rechtsgestaltende Aufteilungsentscheidung - wurde vom Verfahrensgesetzgeber aber durch den „Zusammenhangsaufgabenkreis des Außerstreitrichters" erweitert. Solange die rechtsgestaltende Anordnung im anhängigen Aufteilungsverfahren nämlich noch aussteht oder auch bloß die Einleitung eines derartigen Verfahrens noch möglich ist, bewirkt dies für die materielle Rechtslage - soweit eine gerichtliche Rechtsgestaltung noch möglich ist - eine Art Schwebezustand. Jeder Rechtsstreit, der auf der Grundlage einer in der erwähnten Art „unsicheren Rechtslage" zu entscheiden ist, ist davon bedroht, dass sein Ergebnis durch eine rechtsgestaltende Aufteilungsentscheidung umgestoßen und überholt würde. In diesem Sinn war somit die positive Anordnung des Verfahrensgesetzgebers in § 235 AußStrG aF über den dem Prozessgericht aufgetragenen Ausspruch der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs unter Überweisung an das zuständige Außerstreitgericht zu verstehen. Nach der bisherigen Rechtslage kann aber kein Zweifel bestehen, dass die Klage auf Herausgabe von Schlüsseln zur ehemaligen Ehewohnung in den „Zusammenhangsaufgabenkreis des Außerstreitrichters" fällt, ist doch die Berechtigung des Klägers, aus dem Eigentum die Herausgabe von Schlüsseln zu dieser Wohnung zu verlangen, von der rechtsgestaltenden Anordnung des Außerstreitrichters (Zuweisung der Ehewohnung) abhängig. Nach der bis zum 31.12.2004 geltenden Rechtslage hätte der Erstrichter daher im Sinn des § 235 Abs. 1 und 2 AußStrG aF mit Beschluss die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs auszusprechen und die Rechtssache der zuständigen Außerstreitabteilung zu überweisen gehabt.

Seit 1.1.2005 ist nun aber das Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (AußStrG), BGBl I Nr. 111/2003, in Kraft getreten. Gemäß § 199 AußStrG nF ist es - soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird - auch auf Verfahren anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten anhängig geworden sind. Das Berufungsgericht hat nach ständiger Rechtsprechung (MGA JN/ZPO15, E. 30 zu § 482 ZPO) auf eine Änderung der Rechtslage in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen. Im 4. Abschnitt des II. Hauptstücks des neuen AußStrG sind die Eheangelegenheiten geregelt, dort finden sich die besonderen Vorschriften für das Verfahren über die Scheidung im Einvernehmen, über die Abgeltung der Mitwirkung im Erwerb sowie über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse. Dort bestehen im Wesentlichen die Regelungselemente, die im 4. Hauptstück des vorher geltenden AußStrG (§§ 220 bis 235 AußStrG aF) enthalten waren. Der alte § 235 AußStrG wurde in diesen Abschnitt aber nicht übernommen. Eine Bestimmung mit auch nur annähernd ähnlichem Regelungsgehalt findet sich auch im allgemeinen Teil des AußStrG nF nirgendwo, sodass ab 1.1.2005 davon auszugehen ist, dass die Bestimmung des § 235 Abs. 1 und 2 AußStrG aF nicht mehr gilt. Die erläuternden Bemerkungen enthalten keinerlei Begründung für die ersatzlose Aufhebung des § 235 AußStrG aF. Dass der Gesetzgeber des AußStrG nF mit dem Entfall dieser Bestimmung bewirken hätte wollen, dass nunmehr Leistungs-, Feststellungs- und Rechtsgestaltungsansprüche von den geschiedenen Ehegatten während der Jahresfrist ab der Scheidung bzw. während eines laufenden Aufteilungsverfahrens uneingeschränkt im streitigen Verfahren geltend gemacht werden können, ist den Materialien nicht zu entnehmen. Gegenteilig wurde betont, dass die Praxis im Außerstreitverfahren keinen rechtsstaatlichen Bedenken begegnet und sich gut bewährt habe, sodass diese gefestigten und allseits praktizierten Maximen nicht aufgegeben, sondern im Gesetz festgeschrieben hätten werden sollen. „Praktizierte Vernunft" sollte zur „kodifizierten Vernunft" werden. Demgemäß hält das Berufungsgericht es für geboten, den Entfall der Bestimmung des § 235 AußStrG aF nicht so zu interpretieren, dass derartige Ansprüche betreffend Sachen im Aufteilungsverfahren nun im Streitverfahren zu erledigen wären; diese bleiben vielmehr nach wie vor im Außerstreitverfahren, wobei die Rechtsgrundlage für die Überweisung nunmehr mangels einer Grundlage im § 235 AußStrG aF im § 40 a JN zu finden ist (so auch Fucik in ecolex 2004,920 - Außerstreitverfahren in Abstammungs-, Adoptions-, Ehe- und Sachwalterschaftssachen; Mayr/Fucik, Das neue Verfahren außer Streitsachen [2004] Rz 396). Nach dieser Bestimmung richtet sich die Frage, in welchem Verfahren eine Rechtssache zu behandeln und zu erledigen ist, nicht nach der Bezeichnung durch die Partei, sondern nach dem Inhalt des Begehrens und des Vorbringens der Partei. Ist zweifelhaft, welches Verfahren anzuwenden ist, so hat das Gericht darüber zu entscheiden. Nach Auffassung es Berufungsgerichts muss dem § 40 a JN - in erweiternder Auslegung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung (MGA JN/ZPO15, E. 4 ff zu § 40 a JN) - nun ein Regelungsgehalt unterstellt werden, der im Zusammenhang mit dem Aufteilungsverfahren dem bisherigen § 235 Abs. 1 und 2 AußStrG entspricht. Alles andere würde das deklarierte Ziel des Gesetzgebers, von „praktizierter Vernunft" zu „kodifizierter Vernunft" zu kommen, geradezu konterkarieren.

Das Berufungsgericht hält daher ungeachtet der nach der Entscheidung erster Instanz erfolgten Rechtsänderung hier die Nichtigerklärung wegen Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs aus Anlass der Berufung und die Überweisung dieses Anspruchs in das Aufteilungsverfahren für geboten.

Die Kostenentscheidung gründet sich, was die Verfahrenskosten erster Instanz betrifft, auf § 235 Abs. 2 AußStrG aF, hinsichtlich der Kosten im Berufungsverfahren auf § 51 Abs. 2 ZPO. Weder die Berufungswerberin noch der Berufungsgegner haben auf die Nichtigkeit des Verfahrens hingewiesen, beide trifft auch ein Verschulden an der Einleitung bzw. Fortführung des für nichtig erklärten Verfahrens, was zur Kostenaufhebung führt.

Ein Zulassungsausspruch erübrigt sich im Hinblick auf § 519 Abs. 1 Z 1 ZPO; die Überweisung ist einer Klagszurückweisung aus formellen Gründen gleichzuhalten (MGA JN/ZPO15, E. 44 zu § 519 ZPO). Landesgericht St. Pölten

3100 St. Pölten, Schießstattring 6