JudikaturJustiz1R79/96b

1R79/96b – LG Steyr Entscheidung

Entscheidung
26. August 1996

Kopf

Das Landesgericht Steyr hat als Berufungsgericht durch den Richter des Landesgerichtes Dr. Lammer als Vorsitzenden und die Richter des Landesgerichtes Dr. Baumschlager und Mag. Wojakow als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** L*****, vertreten durch Dr. F***** R*****, wider die beklagten Parteien 1. T***** L*****, 2. E***** A***** V*****, beide vertreten durch Dr. R***** G*****, wegen S 16.079,93 infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Kremsmünster vom 20. Mai 1996, 1 C 81/94h-36, nach mündlicher Berufungsverhandlung beschlossen:

Spruch

Aus Anlaß der Berufung wird das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung - nach allfälliger Verfahrensergänzung - zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall. Er fuhr mit seinem PKW aus Richtung Kremsmünster kommend in Richtung Bad Hall. Unweit des Beginnes des Ortsgebiets von Rohr hatte er eine Rechtskurve zu durchfahren. Ihm kam der Erstbeklagte mit seinem Motorrad (Haftpflichtversicherer die Zweitbeklagte) entgegen. Es kam zu einer Kollision.

Der Kläger geht von einem ein Drittel Mitverschulden des Erstbeklagten aus und begehrt ein Drittel seines Schadens ersetzt. Der Erstbeklagte sei ebenso wie der Kläger in Fahrbahnmitte gefahren. Der Erstbeklagte habe überdies eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und verspätet reagiert.

Die Beklagten beantragen Abweisung. Die Geschwindigkeit des Erstbeklagten habe nur 40 km/h betragen. Der Erstbeklagte habe eine Fahrlinie etwa in der Mitte seiner Fahrbahnhälfte eingehalten. Die Geschwindigkeit des Klägers sei überhöht gewesen, hiedurch sei er auf die Fahrbahnhälfte des Erstbeklagten geraten. Dieser habe auf das Fahrverhalten des Klägers nicht mehr reagieren können. Den Kläger treffe das Alleinverschulden.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Seiner Entscheidung legte es den auf Seite 4 bis 6 des Urteiles (AS 219 bis 223) dargestellten Sachverhalt zugrunde, auf den ver- wiesen wird. In seiner rechtlichen Beurteilung lastete das Erstge- richt dem Kläger eine überhöhte Geschwindigkeit und das Einhalten eines zu großen Abstandes zum rechten Fahrbahnrand an. Dem Erstbeklagten könne ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden. Den Kläger treffe das Alleinverschulden.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er ficht das Urteil zur Gänze an, macht als Berufungsgründe unrichtige Tatsachenfeststellung "bzw." unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt Abänderung im Sinne einer Klagestattgebung. Hilfsweise ist ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten haben Berufungsbeantwortung erstattet. Sie treten den Berufungsausführungen entgegen und beantragen, das Berufungsgericht "möge die Berufung der Gegenseite als unberech- tigt verwerfen und den Kläger auch in den Ersatz der Kosten des Berufungsverfahren verfällen unter gleichzeitiger Bestätigung des erstinstanzlichen Urteiles". Die Beklagten begehren auch eine Feststellung dahin, daß "die Bedarfbreite für die in der Kurve vorliegende Schräglage des Erstbeklagten" 1 bis 1,3 m betrug. Zu Ende der Stellungnahme zur Tatsachenrüge des Klägers führen die Beklagten aus: "Es ergibt sich daher zusammenfassend, daß die gerügten Tatsachenfeststellungen nicht zu Unrecht erfolgten und daher die Tatsachenrüge der beklagten Partei aus zweierlei Gründen, nämlich einerseits, da sie im Akteninhalt keine Deckung und andererseits, da sie entscheidungsunterheblich sind, nicht zum Zug kommen können".

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung des Klägers ist in formeller Hinsicht korrekt ausgeführt, unbeschadet zur Frage, ob sie berechtigt sein mag oder nicht. Aus Anlaß dieser Berufung ist das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben. Das Ersturteil leidet nämlich an einer Anzahl so schwerwiegender Fehler, daß deren Massierung zur Folge hat, daß von einem Mindestanforderungen gerecht werdenden Urteil nicht mehr gesprochen werden kann, nicht anders wie im vergleichbaren Fall einer Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO.

Zunächst kann schon der Streitwert nach dem Urteilsinhalt nicht erklärt werden. In der Wiedergabe des Parteienvorbringens (Seite 2 und 3 des Urteiles - AS 215 und 217) ist das Begehren des Klägers nach Ersatz eines Drittels seines Schadens an Reparaturkosten von S 47.530,80 und an Spesen von S 500,-- dargestellt, das seien S 16.076,93. Danach betrüge aber die Summe der Schäden des Klägers S 48.030,80, und ein Drittel davon wären S 16.010,27, und nicht S 16.076,93. Der Streitwert wird allerdings erklärlich, wenn vom wahren Parteienvorbringen und nicht der Darstellung im angefochtenen Urteil ausgegangen wird. Nach dem Inhalt der Klage begehrt der Kläger nämlich nebst dem Ersatz der Spesen von S 500,-- auch den Ersatz der Reparaturkosten von S 47.730,80 (und nicht wie in der Klage verfehlt beziffert S 47.530,80), zusammen also S 48.230,80, und hievon ein Drittel, das sind eben S 16.076,93.

Auf Seite 4 des Urteiles (AS 219) befindet sich folgende Feststellung: "Die Sichtweite ist durch die Rechtskrümmung stark eingeschränkt und beträgt vom Scheitelpunkt in beide Fahrtrichtungen gesehen ca. 17 m". Darauf kommt es aber nicht an. Wenn das Erstgericht schon die Frage der Sichtmöglichkeiten in seine Überlegungen einbeziehen will, ist es unvermeidlich festzustellen, welche Gesamtsicht sich für jeden der beiden unfallsbeteiligten Lenker in den einzelnen Phasen bei Annäherung an die Kollisionsstelle bot.

Auf Seite 5 des Urteiles (AS 221) ist weiters festgestellt: "Der Kläger fuhr in die Rechtskrümmung ein, konnte die rechtseitige Fahrlinie nicht mehr beibehalten und überfuhr mindestens 0,7 m weit die Mittellinie". Mit "Mittellinie" meint das Erstgericht wohl die auf der Fahrbahn aufgebrachte Leitlinie. Möglicherweise meint das Erstgericht auch, die linke Begrenzung des PKW sei, gesehen in einem rechten Winkel zur Fahrbahnlängsrichtung, 0,7 m über die Leitlinie hinweg in den linken Fahrstreifen eingedrungen und es sei in dieser Position zur Kollision gekommen, verläßlich kann dies aber nicht gesagt werden.

Auf derselben Seite spricht das Erstgericht von "sofortiger Reaktion des Klägers". Es ist schon möglich, daß dem Erstgericht dabei vorschwebt, der Kläger hätte eine Bremsreaktion im Hinblick auf das entgegenkommende Motorrad und/oder die vom Kläger zu befahrende Rechtskrümmung eingeleitet. Verläßlich festgestellt ist dies aber nicht, sodaß der Anlaß für die Reaktion des Klägers offen bleibt.

Die folgende Darstellung noch auf derselben Seite: "Bei einer Reaktionszeit von 1 Sekunde ... des Klägers ca. 15 m vor der Kollisionsstelle" ist lediglich die Wiedergabe eines Teiles des Gutachtens des KFZ-Sachverständigen (Seite 8 - AS 109), ohne daß verläßlich gesagt werden kann, die hier angeführten Daten seien auch in urteilsförmlicher Weise festgestellt.

In seiner Beweiswürdigung (Seite 6 ff des Urteiles - AS 223 ff) spricht das Erstgericht unter anderem von Schilderungen des Klägers betreffend seine Fahrlinie, welche Schilderung vom Erstbe- klagten und vom Zeugen Salzinger bestätigt worden sei. Dem ge- genüber steht die Tatsache, daß weder der Kläger noch der Erstbe- klagte vor dem Erstgericht als Partei vernommen wurden. Lediglich der Erstbeklagte deponierte Angaben allerdings nur "informativ be- fragt" und ausschließlich zur Schadenshöhe (Protokoll der Tagsat- zung vom 07.06.1994, AS 39). Der Zeuge Salzinger wieder hat zwar verschiedene Details der von ihm allerdings erst nach der Kollision vorgefundenen Situation deponiert, Angaben über die Fahrlinie des Klägers hat er aber nicht gemacht (dasselbe Tagsatzungsprotokoll, AS 41 f).

Auf Seite 8 des Urteiles (AS 227) spricht das Erstgericht von seiner Überzeugung, wonach der Kläger "die Fahrbahnhälfte um mindestens 0,7 m überfahren hatte. Der KFZ-Sachverständige könnte sich sogar ein noch weiteres Einfahren auf die linke Fahrbahnhälfte vorstellen, da das Splitterfeld bis an den linken Fahrbahnrand reichte. Diese Vorstellungen konnten aber durch den Sachverständigen nicht objektiv bewiesen werden". Ungeachtet des Umstandes, daß einen Sachverständigen selbstverständlich keine Beweislast trifft, lassen diese Darlegungen des Erstgerichtes nicht erkennen, ob es nun von einer Kollisionsposition des PKW 0,7 m links von der Leitlinie ausgeht oder doch ausdrücken will, daß eine Kollisionsposition des PKW noch weiter links möglich ist (aber: "durch den Sachverständigen nicht objekt bewiesen"), mindestens aber 0,7 m über der Leitlinie.

Da der Erstbeklagte über informatives Befragen lediglich An- gaben zur Schadenshöhe machte, bedeuten die weiteren Ausfüh- rungen des Erstgerichtes auf Seite 8 des Urteiles "der Erstbeklagte wirkte vor Gericht glaubwürdig und er konnte den Unfallshergang ohne Widersprüchlichkeiten schildern" und die "vom Erstbeklagten angegebenen Ausführungen" über den Unfallshergang stimmten mit anderen Beweisergebnissen überein, eine unverständliche und massive Aktenwidrigkeit.

In seiner rechtlichen Beurteilung auf Seite 9 des Urteiles (AS 229) lastet das Erstgericht dem Kläger an, er habe "in einer unübersichtlichen Kurve sowohl eine überhöhte Geschwindigkeit wie auch einen zu großen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand eingehalten. Dieses äußerste Linksfahren erfolgte vollkommen grundlos". Allerdings fehlen Feststellungen über den Abstand des PKW des Klägers zu seinem rechten Fahrbahnrand während der Annäherung an den eigentlichen Kollisionsbereich und es ist nicht erkennbar, ob das Erstgericht vermeint, der Kläger habe gegen das sogenannte Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen oder eine Ge- schwindigkeit eingehalten, die ihm in der zu befahrenden Rechts- krümmung eine kontrollierte Fahrweise nicht mehr erlaubte. Im letzten Fall würde es aber wieder an einer Feststellung fehlen, mit welcher Geschwindigkeit denn diese Rechtskrümmung vom Kläger noch hätte befahren werden können.

Schließlich setzt sich das Erstgericht noch in seiner rechtli- chen Beurteilung auf Seite 10 des Urteiles (AS 231) mit der Fahrli- nie des Erstbeklagten auseinander. Dabei ist aber wieder nicht auf die Bedarfsbreite des Motorradfahrers Bedacht genommen und es ist auch nicht erkennbar, was denn nun das Erstgericht unter dem "Fahren des Erstbeklagten 1 m vom Fahrbahnrand entfernt" ver- steht, ob es sich bei dieser Distanz von 1 m um die Distanz der Aufstandsfläche der Reifen vom rechten Fahrbahnrand des Erstbe- klagten handelt oder um die rechte Begrenzung des jedenfalls mit durch die Bedarfsbreite definierten Fahrraumes des Erstbeklagten.

Zu Recht rügt übrigens die Berufung des Klägers die vom Erstgericht festgestellte (mutmaßlich so gemeint) Fahrbahnbreite von 6 m im Unfallstellenbereich (Seite 4 des Urteiles, AS 219). Auf welcher Grundlage das Erstgericht diese Feststellung getroffen hat, sagt es selbst nicht. Die Ergebnisse der fotogrammetrischen Aus- wertung erlauben diese Feststellung jedenfalls nicht. Gerade nach der fotogrammetrischen Auswertung ergäbe sich ja eine Fahrbahn- breite im Kollisionsbereich von mindestens etwa 8 m.

Seine neuerliche Entscheidung wird das Erstgericht frei von Undeutlichkeiten, Widersprüchlichkeiten und Aktenwidrigkeiten zu treffen haben. Wie weit es dabei auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsmittelschriften Bedacht nehmen will oder auch vor neuerlicher Entscheidung eine Verfahrensergänzung für erforderlich erachtet, ist vorerst ihm anheim gestellt.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.