JudikaturJustiz1Ob303/01t

1Ob303/01t – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ.Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga W*****, vertreten durch Kolarz Donnerbauer Rechtsanwaltspartnerschaft in Stockerau, wider die beklagte Partei Land Niederösterreich, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OEG in St. Pölten, wegen 59.752,10 S sA infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. August 2001, GZ 14 R 85/01z-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 6. März 2001, GZ 1 Cg 190/00w-12, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Begründung:

Am 10. 8. 1999 um 2 Uhr 10 geriet die Klägerin als Lenkerin ihres PKWs im Kreuzungsbereich zweier Bundesstraßen in Tulln in eine Wasseransammlung auf der Fahrbahn mit einer Tiefe von etwa 60 bis 80 cm, deren tiefste Stelle jedoch rund 1,5 m betrug. Das über den Luftansaugstutzen des PKWs angesaugte Wasser verursachte schließlich einen Motorschaden, der die Weiterfahrt mit dem Fahrzeug unmöglich machte.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch von 59.752,10 S sA und brachte vor, der Straßenpolizeibehörde sei die am Unfallort durch Wasseransammlungen nach stärkeren Regenfällen wegen einer offenkundig fehlenden Kanalisation immer wieder auftretende Gefahrenlage bekannt gewesen. Das gelte auch für die Unpassierbarkeit der Kreuzung in der Nacht vom 9. auf den 10. 8. 1999. Die Behörde und deren Straßenaufsichtsorgane hätten Handlungspflichten verletzt, weil die "Absicherung der (späteren) Unfallstelle entgegen den Vorschriften insbesondere der §§ 94 ff, 96, und 97 StVO" unterblieben sei. Dort sei es bereits vor dem 10. 8. 1999 "des öfteren zu Fahrzeugschäden" infolge von "Überflutungen" gekommen. Am Unfalltag sei die Wasseransammlung dort, wo die Klägerin die Kreuzung übersetzt habe, 60 bis 80 cm tief gewesen. An der tiefsten Stelle habe sie 1,5 m erreicht. Dieser Zustand habe schon mehr als zwei Stunden vor dem Unfall bestanden. Er sei von Passanten dem ÖAMTC und dem Gendarmerieposten Tulln "geraume Zeit" vor dem Unfall wiederholt gemeldet worden.

Die beklagte Partei wendete ein, nicht Straßenerhalter zu sein. Das Aufstellen von Gefahrenzeichen sei nicht hoheitlich zu besorgen. Die Klägerin habe den geltend gemachten Schaden durch unaufmerksame Fahrweise selbst verschuldet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil das Land Niederösterreich nicht Straßenerhalter von Bundesstraßen sei. Es sei vielmehr der Bund mit der Haftung als Wegehalter gemäß § 1319a ABGB belastet. Die Straßeninstandhaltung werde im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes wahrgenommen. Dazu gehöre auch die Absicherung von Gefahrenstellen.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, und erwog in rechtlicher Hinsicht, Angelegenheiten der Straßenpolizei seien in Vollziehung Landessache. Darunter fielen auch Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs vor dem Hintergrund der erforderlichen Verkehrsregelung. Die Klägerin habe ihr Begehren darauf gestützt, dass der Unfallort als gefährlich bekannt gewesen sei, die Straßenpolizeibehörde jedoch entgegen § 96 Abs 1 StVO keine Maßnahmen zur Verhütung weiterer Unfälle ergriffen und die Gendarmerie keine Verkehrsbeschränkungen gemäß § 44b StVO angeordnet habe. Solche straßenpolizeiliche Unterlassungen seien der beklagten Partei zuzurechnen. Damit hätte die beklagte Partei in sinngemäßer Anwendung des § 97 Abs 1 und des § 94b Abs 1 lit a StVO eine Handlungspflicht verletzt. Die pflichtwidrige Unterlassung der Anordnung notwendiger Verkehrsbeschränkungen im Dienste der Verkehrssicherheit könne einen Amtshaftungsanspruch begründen. Daher sei im fortgesetzten Verfahren zu prüfen, ob die Unfallstelle als gefährlich bekannt gewesen und der zuständige Gendarmerieposten so rechtzeitig vor dem Unfall verständigt worden sei, um noch "Abwehrmaßnahmen im Sinne von Verkehrsbeschränkungen (§ 44b StVO)" ergreifen zu können. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil "eine höchstgerichtliche Entscheidung über einen gleichartigen Sachverhalt" nicht vorliege.

Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig; er ist jedoch, soweit darin die Wiederherstellung des Ersturteils beantragt wird, nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die beklagte Partei verweist zutreffend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach § 44b StVO den dort genannten Organen, so auch jenen der Straßenaufsicht, zu welchen insbesondere die Bundesgendarmerie zählt (§ 97 Abs 1 StVO), im Falle der Unaufschiebbarkeit zwar die Handlungsbefugnis nach der erörterten Gesetzesstelle einräumt, nicht jedoch ein Handlungspflicht auferlegt (so zuletzt 1 Ob 1011/94 mwN). Eine rechtmäßige Ermessensausübung könne allenfalls bei außergewöhnlichen und lebensbedrohenden Elementarereignissen eine Handlungspflicht - etwa durch eine Sperre der Straße - indizieren (1 Ob 1011/94). Im Lichte dieser Rechtsprechung kann nach dem Klagegrund nicht auf eine straßenpolizeiliche Handlungspflicht zur Anordnung einer unaufschiebbare Verkehrsbeschränkung gemäß § 44b Abs 1 StVO geschlossen werden. Soweit die klagende Partei Gegenteiliges behauptet, missversteht sie offenkundig die Gesetzesmaterialien (abgedruckt bei Messiner, StVO10 § 44b Anm 1), in denen eine straßenpolizeiliche Verpflichtung zur Anordnung unaufschiebbarer Verkehrsbeschränkungen ausdrücklich verneint wird. Für die Lösung des Streitfalls ist somit nicht von Bedeutung, ob und bejahendenfalls wann die Bundesgendarmerie entweder noch am 9. oder schon am 10. 8. 1999 von der festgestellten Wasseransammlung am Unfallsort Kenntnis erlangte. Damit ist allerdings für die beklagte Partei, wie den nachstehenden Erwägungen zu entnehmen ist, im Ergebnis nichts gewonnen.

2. Die Klägerin behauptete, Organen der Straßenpolizeibehörde sei die am Unfallort immer wieder auftretende Gefahrenlage durch Wasseransammlungen nach starken Regenfällen wegen einer offenkundig fehlenden Kanalisation bekannt gewesen. Sie beruft sich also auf stets wiederkehrende Überflutungen des Kreuzungsbereichs nach stärkeren Regenfällen als Elementarereignisse, die offenkundig jeweils erhebliche Tiefen erreichen sollen, wobei die tiefste Stelle der Überflutung am Unfalltag rund 1,5 m betrug. Eine derartige Gefahrenlage ist durch das Aufstellen eines Gefahrenzeichens (siehe zur rechtlichen Einordnung solcher Zeichen ZVR 1996/109) - in Betracht käme nur jenes nach § 50 Z 16 StVO mit einer auf eine mögliche Wasseransammlung hinweisenden Zusatztafel - nicht mehr beherrschbar, verursacht doch eine nach stärkeren Regenfällen immer wieder auftretende Wasseransammlung im Kreuzungsbereich zweier Straßen, wie sie in der Klage behauptet wurde und (nur) für den Unfalltag auch feststeht, ein hohes Gefahrenpotential für schädigende Einwirkungen auf Personen und Sachen. Der Lenker eines Fahrzeugs könnte sein Fahrverhalten aufgrund eines Gefahrenzeichens nach § 50 Z 16 StVO - unter Bedachtnahme auf die nach den Gegebenheiten des Verkehrsalltags realistischen Anforderungen an Verhaltenspflichten gemäß § 49 Abs 1 StVO - nicht sinnvoll den jeweils herrschenden, ihm unbekannten wahren Verhältnissen anpassen, ist doch während der Annäherungsphase die Tiefe einer Wasseransammlung auf der Fahrbahn - insbesondere des Nachts - sinnlich nicht auslotbar. Ohne erkennbare Verkehrsverbote oder -beschränkungen müsste ein Verkehrsteilnehmer selbst im Falle eines aufgestellten Gefahrenzeichens nach § 50 Z 16 StVO nicht damit rechnen, dass die sich an der bezeichneten Gefahrenstelle nach stärkeren Regenfällen stets wiederholende Wasseransammlung auf der Fahrbahn eine Tiefe von etwa 60 cm bis maximal 1,5 m erreiche. Sollte der Straßenpolizeibehörde die Tatsache solcher, sich stets wiederholender Wasseransammlungen auf der Fahrbahn - so etwa durch das ihr zuzurechnende Wissen der Straßenaufsichtsorgane - bekannt gewesen sein, so wäre sie je nach den konkreten örtlichen Gegebenheiten und Verkehrsbedürfnissen zur Erlassung einer Verordnung gemäß § 43 Abs 1 lit a oder b StVO verpflichtet gewesen, um damit die durch die örtlichen Verhältnisse gebotenen Verkehrsverbote bzw -beschränkungen im Interesse des Schutzes der Straßenbenützer und der allgemeinen Verkehrssicherheit anzuordnen. Wäre also eine solche Handlung nach den örtlichen Verhältnissen und Verkehrsbedürfnissen in Betracht gekommen, so wäre darin eine naheliegende, aber auch verhältnismäßig einfach und rasch umzusetzende Abhilfemaßnahme zur Vermeidung weiterer Unfälle zu erblicken. Unter dieser Voraussetzung hätte die Straßenpolizeibehörde eine solche Maßnahme gemäß § 96 Abs 1 iVm 1a StVO sogar unverzüglich ergreifen müssen, wenn sich im fortgesetzten Verfahren überdies erweisen sollte, dass sich an der Unfallstelle wegen der erörterten Wasseransammlungen vor dem 10. 8. 1999 - wie die Klägerin behauptete - schon mehrmals Unfälle mit Sachschaden ereigneten, die der Behörde bekannt wurden, wäre doch die Wiederholung solcher Unfälle durch die Verordnung eines dauernden oder vorübergehenden, allenfalls auch nur partiellen Verkehrsverbots bzw einer partiellen Verkehrsbeschränkung für den maßgebenden Kreuzungsbereich als eine nach § 96 Abs 1 StVO unverzüglich feststellbare Maßnahme im Dienste der Unfallverhütung vermeidbar gewesen.

2. 1. Soweit die beklagte Partei den Standpunkt vertritt, das Klagevorbringen reiche nicht aus, um den geltend gemachten Amtshaftungsanspruch auf § 96 Abs 1 StVO zu stützen, ist sie darauf zu verweisen, dass die Klägerin unmissverständlich vorbrachte, an der Unfallstelle sei es vor dem 10. 8. 1999 "des öfteren zu Fahrzeugschäden" infolge von "Überflutungen" gekommen sei. Damit wurde die Realisierung eines der alternativen Tatbestandsmerkmale, die für die Anwendbarkeit des § 96 Abs 1 iVm 1a StVO erfüllt sein müssen, nämlich wiederholte Unfälle mit "Sachschaden", mit hinreichender Deutlichkeit behauptet. Es ist somit auch der gegenüber dem Berufungsgericht erhobene Vorwurf unzutreffend, der Aufhebungsbeschluss diene bloß dem Zweck, der Klägerin die Nachholung eines im Verfahren erster Instanz versäumten Prozessvorbringens oder das Anbot neuer Beweise zu ermöglichen.

Dem Rekurs der beklagten Partei, mit dem sie eine Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils anstrebte, ist somit nicht Folge zu geben.

Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren Feststellungen darüber zu treffen haben, ob und bejahendenfalls, seit wann der Straßenpolizeibehörde eine spezifische Gefährlichkeit der Unfallstelle nach den Tatsachenbehauptungen der Klägerin - so etwa durch das jener zuzurechnende allfällige Wissen der Organe der Straßenaufsicht - bekannt war und ob nach den örtlichen Verhältnissen und Verkehrsbedürfnissen die Verordnung dauernder oder vorübergehender, allenfalls auch nur partieller Verkehrsverbote bzw -beschränkungen in Hinsicht auf die im Anlassfall bedeutsame Straßenkreuzung als Maßnahme zur Vermeidung weiterer, durch tiefe Wasseransammlungen auf der Fahrbahn verursachte Verkehrsunfälle in Betracht gekommen wäre.

3. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei erreichte als Rekurswerberin eine für ihren Prozessstandpunkt günstige Beschränkung der dem Erstgericht für das fortgesetzte Verfahren erteilten Aufträge, weil der Oberste Gerichtshof zufolge der Erwägungen unter 1. der Ansicht des Berufungsgerichts nicht beitritt, dass die beklagte Partei bei Zutreffen der Klagebehauptungen verpflichtet gewesen wäre, unaufschiebbare Verkehrsbeschränkungen nach § 44b StVO anzuordnen. Somit hängt aber der Ausspruch über den Ersatz der Kosten des Rekursverfahrens vom Ausgang der Hauptsache ab, sodass diese Kosten weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz sind.