JudikaturJustiz1Ob228/18p

1Ob228/18p – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** N*****, vertreten durch die GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG, Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Wien 2, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 57.058,50 EUR sA und Rente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. Oktober 2018, GZ 4 R 121/18v 14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 26. Juli 2018, GZ 31 Cg 31/17w 10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist eine rumänische Staatsangehörige; sie bezieht eine Pension aus Rumänien. Sie reiste am 4. 10. 2014 in Österreich ein, um ihre Tochter zu besuchen, und erlitt in der Nacht auf den 7. 10. 2014 einen massiven Schlaganfall samt Hirnblutung. Sie stellte im November 2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Pflegegeld, der dort verloren ging.

Am 29. 1. 2015 stellte ihre Tochter für sie neuerlich einen solchen Antrag, der mit – in der Folge unbekämpftem – Bescheid vom 15. 6. 2015 abgewiesen wurde. Vom 22. 4. 2016 datiert ihr dritter Antrag auf Gewährung von Pflegegeld. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 2. 5. 2016 abgewiesen. Die dagegen erhobene Klage wurde in erster Instanz im Wesentlichen abgewiesen, lediglich für den Zeitraum 1. 12. 2014 bis 31. 1. 2015 wurde der Klägerin (letztlich) Pflegegeld der Stufe 7 zugesprochen. Ihre gegen den abweisenden Teil des Urteils erhobenen Rechtsmittel an das Oberlandesgericht und den Obersten Gerichtshof (10 ObS 3/17i) blieben erfolglos.

Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten aus dem Titel der Amtshaftung zum Ersatz des ihr von Februar 2015 bis November 2017 entgangenen Pflegegeldes der Stufe 7 von insgesamt 57.058,50 EUR sA; weiters sei die Beklagte verpflichtet, ihr ab Dezember 2017 bis zu ihrem Ableben Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß gemäß § 5 BPGG zu zahlen. Wäre über ihren Pflegegeldantrag vom November 2014 ordnungsgemäß entschieden worden und hätte sie infolge wahrheitswidriger Behauptung von Mitarbeitern der Beklagten, diesen Antrag nicht erhalten zu haben, nicht im Jänner 2015 einen weiteren Antrag auf Gewährung von Pflegegeld gestellt, stünde ihr ab Februar 2015 das begehrte Pflegegeld zu.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab, weil die Klägerin die Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verletzt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und führte zusammengefasst aus, sie hätte bei rechtlich einwandfreiem Verhalten der Beklagten, also bei Behandlung des ersten Antrags vom November 2014 auf Zuerkennung von Pflegegeld, ab Februar 2015 bis laufend keinen Anspruch auf Pflegegeld gehabt. Es erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil es hinsichtlich der maßgeblichen Frage der Auslegung der Übergangsbestimmung des § 48f Abs 1 und 3 BPGG auf höchstgerichtliche Rechtsprechung zurückgreifen habe können.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Das Berufungsgericht ist ohne Fehlbeurteilung davon ausgegangen, dass die Klägerin auch dann, wenn ihr Antrag vom November 2014 auf Zuerkennung von Pflegegeld ordnungsgemäß bearbeitet worden wäre, ab Februar 2015 bis zuletzt keinen Anspruch auf Pflegegeld gehabt hätte.

2. Nach dessen nicht zu beanstandender Beurteilung hatte die Klägerin ab ihrer Einreise nach Österreich am 4. 10. 2014 für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts gemäß § 3a Abs 3 Z 2 BPGG keinen Anspruch auf Pflegegeld. Anspruch auf Pflegegeld hätte sie erst nach den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts und damit erst im Jahr 2015 gehabt. Aus der Übergangsbestimmung des § 48f Abs 1 und 3 BPGG ergebe sich im Fall einer Stichtagsverschiebung infolge Eintritts der Voraussetzungen für die Zuerkennung von Pflegegeld nach Außerkrafttreten der (günstigeren) alten Regelung, dass der Pflegegeldanspruch zum dadurch ausgelösten Stichtag im Jahr 2015 bereits nach der neuen Rechtslage zu beurteilen sei (vgl 10 ObS 129/15s). Diese „Stichtagsverschiebung“ bedeute im vorliegenden Fall, dass erst eine nach dem 1. 1. 2015 eingetretene Voraussetzung auf Zuerkennung des Pflegegeldes wegen Wegfalls des Ausschlusses nach § 3a Abs 3 Z 2 BPGG nach der ab 1. 1. 2015 geltenden neuen Rechtslage zu beurteilen sei. Der Klägerin sei im Zeitpunkt ihrer Antragstellung im November 2014 und damit nach der „alten“ Rechtslage nach § 3a Abs 3 Z 2 BPGG kein Anspruch auf Pflegegeld zugestanden, sondern erst im Jahr 2015, sodass § 3a Abs 1 BPGG idF BGBl I 2015/12 anzuwenden gewesen wäre und ihr nach dieser Bestimmung kein Anspruch gebühre, weil ein anderer Mitgliedstaat (Rumänien) für Pflegeleistungen zuständig sei. Die Klägerin vermag keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzuzeigen.

3. In § 3a Abs 3 BPGG werden Personengruppen aufgezählt, für die der Gesetzgeber klarstellen wollte, dass sie ausdrücklich vom Bezug von Pflegegeld ausgeschlossen sind (10 ObS 81/18m). § 3a Abs 3 Z 2 BPGG bewirkt einen Ausschluss nicht erwerbstätiger (ausländischer) Staatsangehöriger einer Vertragspartei des EWR Abkommens von Pflegegeldansprüchen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP, 9 [zum Pflegegeldreformgesetz 2012, BGBl I 2011/58]; Pfeil in Resch / Wallner , Handbuch Medizinrecht 2 [2015], XVIII. Recht der Pflege Rz 34, S 617; Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 4 Rz 3.65); Rumänien ist seit 2011 Partei dieses Abkommens (vgl BGBl III 2012/46). Da die Klägerin am 4. 10. 2014 in Österreich eingereist war, hätte sie – wovon das Berufungsgericht zutreffend ausging – erst nach den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts und damit erst Anfang 2015 Anspruch auf Pflegegeld gehabt. Entgegen ihrer Meinung ruhte ihr Anspruch in dieser Zeit nicht, sondern sie hatte gar keinen (ErläutRV aaO). Damit ist eine Voraussetzung für den Anspruch erst im Jänner 2015 eingetreten.

Die von ihr behauptete „unionsrechtswidrige Auslegung der entsprechenden Gesetze“ führt sie nicht näher aus; sie liegt auch nicht vor. Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl L 158 vom 30. 4. 2004, S 77–123; Unionsbürger Richtlinie) erlaubt es dem Aufnahmemitgliedstaat, wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staats nicht unangemessen in Anspruch nehmen (10 ObS 15/16b [Punkt 3.]). Aus dem Wortlaut des Art 24 Abs 2 der Unionsbürger Richtlinie geht ausdrücklich hervor, dass der Aufnahmemitgliedstaat anderen Personen als Arbeitnehmern, Selbständigen oder Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts jegliche Sozialhilfeleistungen verweigern darf (EuGH García-Nieto ua , C 299/14, ECLI:EU:C:2016:114, Rn 43 f).

Dass die Klägerin ein Aufenthaltsrecht in Österreich in der Dauer von mehr als drei Monaten hat, hat keinen Einfluss auf ihren behaupteten Pflegegeldanspruch. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Pflegegeldanspruch der Klägerin erst im Jahr 2015 entstanden sein konnte und ihr dieser entsprechend der Übergangsbestimmung des § 48f Abs 1 und 3 BPGG nach der anzuwendenden „neuen“ Rechtslage des § 3a Abs 1 BPGG idF BGBl I 2015/12 (iVm mit ihrer Gleichstellung nach § 3a Abs 2 Z 3 leg cit) nicht zustehe, ist nicht korrekturbedürftig. Ebenso wie sich nach der genannten Übergangsbestimmung in einem zum 1. 1. 2015 noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen (Gerichts )Verfahren – ungeachtet des Wortlauts von § 48f Abs 1 und Abs 3 BPGG – eine erst nach dem 1. 1. 2015 eingetretene Verschlechterung und die daraus resultierende Veränderung (Erhöhung) im Ausmaß des Pflegebedarfs nach der ab dem 1. 1. 2015 geltenden („neuen“) Rechtslage richtet (10 ObS 129/15s = RIS Justiz RS0130558), gilt dies auch für eine erst nach dem 1. 1. 2015 eingetretene sonstige Voraussetzung für die Zuerkennung von Pflegegeld. Zwar gebührt das Pflegegeld gemäß § 9 Abs 1 BPGG grundsätzlich mit Beginn des auf die Antragstellung folgenden Monats, doch wäre dieser Stichtag nur dann maßgeblich, wenn zu diesem Zeitpunkt alle Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung von Pflegegeld erfüllt wären, was hier aber nicht der Fall war, bestand doch auch nach der „alten“ Rechtslage auch am 1. 1. 2015 wegen des Ausschlusses nach § 3a Abs 3 Z 2 BPGG noch kein Anspruch.

Die Klägerin ist auch – entgegen ihrer Ansicht – mit einer subsidiär Schutzberechtigten nicht vergleichbar. Dass ihr im Pflegegeldverfahren für den Zeitraum 1. 12. 2014 bis 31. 1. 2015 Pflegegeld der Stufe 7 zuerkannt wurde, hängt (nur) damit zusammen, dass dort die Gerichte erster und zweiter Instanz von ihrem gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich im gesamten Jahr 2014 ausgingen und nicht – wie nunmehr feststeht – von einem Aufenthalt erst ab 4. 10. 2014.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).