JudikaturJustiz1Ob214/52

1Ob214/52 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Mai 1952

Kopf

SZ 25/133

Spruch

Zur Bewertung eines Anteiles an einer Siedlungsgenossenschaft im Verlassenschaftsverfahren.

Entscheidung vom 14. Mai 1952, 1 Ob 214/52.

I. Instanz: Bezirksgericht Fünfhaus; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Erblasser war Siedler in der Siedlung R. Das Erstgericht hat das Nutzungsrecht an der Siedlung unter Hinweis auf die Bewertung durch den Sachverständigen Ing. W. mit 15.000 S bewertet.

Das Rekursgericht hat für das Nutzungsrecht überhaupt keinen Betrag eingesetzt mit der Begründung, daß Mitgliedschaft an einer Siedlungsgenossenschaft nur mit dem Wert zu bewerten ist, der in den Büchern als Wert des Genossenschaftsanteils festgestellt ist, daß aber für den Nutzungswert, ebensowenig wie für Mietrechte ein Betrag ins Inventar eingesetzt werden kann.

Der Oberste Gerichtshof hob die Beschlüsse der Untergerichte auf und trug dem Erstgerichte die neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Auffassung, daß der Wert eines Mitgliedschaftsrechts an einer Genossenschaft oder Kapitalgesellschaft mit dem Buchwert des Mitgliedschaftsrechts zu bewerten ist, kann vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt werden. Auch der Betrag, der einem Mitglied beim Ausscheiden ausgezahlt wird, ist nicht unbedingt maßgebend. Ist die Mitgliedschaft veräußerlich, so entscheidet vielmehr der Betrag, der im Verkehr am Stichtag dafür voraussichtlich zu erhalten ist. Dabei kommt es nur auf die faktische Veräußerlichkeit an, nicht auf die rechtliche. Auch Aktienrechte, die nur mit Zustimmung der Gesellschaft veräußert werden dürfen, besitzen einen Verkehrswert, auch wenn die Aktien, weil sie sich im Familienbesitz befinden, oder syndiziert sind, faktisch nicht am Markt gehandelt werden. In diesen Fällen muß der Verkehrswert durch Schätzungen bestimmt werden.

Diese Grundsätze müssen auch auf Genossenschaftsanteile angewendet werden. Stimmt die Genossenschaftsleitung, wenn sie auch dazu nicht verpflichtet ist, der Veräußerung von Genossenschaftsanteilen zu, und gibt es demzufolge einen Verkehrswert, zu dem die Anteile gehandelt werden, so muß auch der Verkehrswert in das Verlassenschaftsinventar eines verstorbenen Siedlers aufgenommen werden. Werden die Anteile faktisch nicht gehandelt, so muß ihr Wert durch Vergleich mit ähnlichen Geschäftsanteilen vergleichsweise durch Schätzung ermittelt werden. Die Bewertung kann natürlich nicht schematisch erfolgen. Der Wert eines Siedleranteils hängt von der Lage der Siedlung, der Größe und dem Zustand des zu veräußernden Siedlungshauses ab. Es kann daher nicht schlechthin gesagt werden, ein Siedleranteil ist so und so viel wert, weil eine gleichartige Wohnung so und so viel kostet. Es muß im Einzelfall, womöglich unter Heranziehung vorangegangener Verkäufe ähnlicher Anteile, der Wert festgestellt werden.

Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 504/51 und 849/51, auf die sich das Rekursgericht beruft, stehen mit der vorliegenden Entscheidung nicht im Widerspruch, da in den vorangeführten Fällen nicht in der Sache selbst entschieden, sondern die Beschwerden als unzulässig nach § 16 AußstrG. zurückgewiesen wurden, der Oberste Gerichtshof sich also nur mit der Frage zu beschäftigen hatte, ob die entgegengesetzte Auffassung offenbar gesetzwidrig ist, was er verneint hat, während er diesmal darüber hinaus zu entscheiden hatte, welche der Difformatentscheidungen der Unterinstanzen richtig ist.

Da die nach der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes erforderlichen Feststellungen des konkreten Wertes des Genossenschaftsanteils fehlen, mußten beide untergerichtlichen Beschlüsse aufgehoben werden.