JudikaturJustiz1Nd516/77

1Nd516/77 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. April 1978

Kopf

SZ 51/44

Spruch

Stellt ein ausländischer Staat gegen Österreicher sowohl seine Jurisdiktion als auch eine örtliche Zuständigkeit zur Verfügung, so wird in Österreich gegen Angehörige des ausländischen Staates im Wege des Gegenrechtes sowohl die inländische Gerichtsbarkeit als auch der entsprechende Gerichtsstand begrundet

OGH 12. April 1978, 1 Nd 516/77

Text

Mit ihrer am 2. Juni 1977 beim Landesgericht Salzburg eingebrachten Klage behauptet die Klägerin, der Beklagte habe am 28. Dezember 1975 im Schigebiet der Loferer Alm einen Schiunfall verschuldet, bei dem die Klägerin erheblich verletzt worden sei. Sie begehrt ein Schmerzengeld von 35 000 S. Die inländische Gerichtsbarkeit nahm die Klägerin aus der Tatsache in Anspruch, daß sich der Unfall in Österreich ereignet habe. Da ein örtlich zuständiges Gericht mangels eines die örtliche Zuständigkeit begrundenden Tatbestandes fehle, beantragt die Klägerin, gemäß § 28 JN das Landesgericht Salzburg als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen, da sie im Sprengel des Landesgerichtes Salzburg ihren Wohnsitz habe und auch durch einen Anwalt vertreten sei, der in Salzburg seinen Sitz habe.

Der Oberste Gerichtshof wies den Antrag der Klägerin auf Bestimmung eines Gerichtes gemäß § 28 JN ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Auszugehen ist davon, daß für die Klage der durch den Schiunfall verletzten Österreicherin gegen den in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften und - wie die vom OGH durchgeführten Erhebungen ergaben - auch deren Staatsangehörigkeit besitzenden Beklagten ein allgemeiner Gerichtsstand in Österreich fehlt.

Die Vorschrift des § 101 JN bestimmt unter der Überschrift "Gerichtsstand der Gegenseitigkeit für Klagen gegen Ausländer", daß dem österreichischen Recht unbekannte oder nur beschränkt bekannte Gerichtsstände für Klagen gegen Ausländer in Österreich zugelassen werden, wenn der Heimatstaat des betreffenden Ausländers einen gleichen Gerichtsstand für Klagen gegen Österreicher zuläßt. Ob diese Vorschrift nur die Möglichkeiten der örtlichen Zuständigkeit erweitern wollte oder unmittelbar damit auch eine Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit impliziert, ist bislang nicht näher untersucht worden. Lehre und Rechtsprechung haben jedenfalls unter den Voraussetzungen des § 101 JN stets auch die inländische Gerichtsbarkeit bejaht, ohne dabei offenzulegen, ob dieses Ergebnis aus der Indikationenwirkung des gesetzlichen Gerichtsstandes oder unmittelbar aus der Norm abgeleitet worden war (Scheuche r, JBl. 1959, 223 ff.; SZ 28/180 = ZfRV 1960.40; 8 Ob 172/65).

Uneinheitlich ist der Meinungsstand zur Frage, ob § 101 JN schon dann zur Anwendung kommt, wenn der ausländische Gerichtsstand der inländischen Zuständigkeitsordnung fremd ist "materielle Gegenseitigkeit") oder ob der ausländische Gerichtsstand die Fremden (und somit auch die Österreicher) in dem betreffenden ausländischen Staat schlechter als die eigenen Staatsbürger behandeln muß, mit anderen Worten, ob der betreffende fremde Staat den Gerichtsstand nur gegen Ausländer vorsehen darf ("formelle Gegenseitigkeit"), um § 101 JN wirksam werden zu lassen. Die überwiegende Zahl der Autoren bekennt sich zur materiellen Gegenseitigkeit (Schreiber, GZ 1888/28; Ullmann, Das österreichische Zivilprozeßrecht[2], 89; Rosenblatt, Böhms Z. I, 285 ff.; Trutter, Das Österreichische Zivilprozeßrecht, 130; Walker, Streitfragen aus dem internationalen Civilprozeßrechte, 110; Horten, Die Jurisdiktionsnorm und ihr Einführungsgesetz 308; Ernst Demelius, Der neue Civilprozeß, 114; Canstein, Das Zivilprozeßrecht I[3], 309 f.; Schuster - Bonnott, österreichisches Zivilprozeßrecht[4], 89; Hellmer, GH 1913/18 - JBl. 1913, 52 (Vortragsbericht); Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen I[3], 272 ff.,; Petschek - Stagel, Der österreichische Zivilprozeß, 107; Novak, JBl. 1964, 62; an der formellen Gegenseitigkeit zweifelnd auch Schröder, Internationale Zuständigkeit 767, Anm. 3455).

Andere Autoren treten demgegenüber für die formelle Gegenseitigkeit ein (Wenger, System des österreichischen Civilprozeßrechtes in rechtsvergleichender Darstellung I, 127 ff.; Grünberg, Der Gerichtsstand der Gegenseitigkeit, passim; Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege 1/I, 128 ff.; Pollak, Zivilprozeßrecht[2], 328 f.; Karl Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechtes[2], 104; Scheucher, JBl. 1959, 227; Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 487 ff.; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht[7], 60), begnügen sich jedoch ausnahmslos auch mit solchen ausländischen Gerichtsständen, die der ausländische Staat gegen Ausländer wie Inländer gleichermaßen gewährt, und bekennen sich somit - wie Schwimann in einem Seminar (Sommersemester 1977) darlegte - in Wahrheit gleichfalls zur materiellen Gegenseitigkeit.

Die Rechtsprechung steht einhellig auf dem Boden der materiellen Gegenseitigkeit (GlU 8277, 9563, 10 099, GlUNF 1088, 2409, 4813; SZ 28/180 = ZfRV 1960, 40; 8 Ob 172/65).

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß § 101 JN nach überwiegender Lehre und einheitlicher Rechtsprechung im Sinne der sogenannten materiellen Gegenseitigkeit zu verstehen ist; ein Ausländer kann daher in Österreich vor einem dem österreichischen Recht unbekannten Gerichtsstand geklagt werden, wenn der Heimatstaat des betreffenden Ausländers in der gleichen Sache einen solchen Gerichtsstand gegen einen Österreicher zuläßt.

Wird die Geltung des § 101 JN über die örtliche Zuständigkeit hinaus auf die inländische Gerichtsbarkeit erweitert, so ist unter dem Aspekt der Gegenseitigkeit zu unterscheiden: Gewährt der Heimatstaat des ausländischen Beklagten ("Gegenstaat") seine Jurisdiktion in einem Fall gegen Österreicher, in dem sie der österreichische Staat gegen, Ausländer verneinen würde, und beschränkt sich der Gegenstaat nur auf, die Gewährung der Jurisdiktion ohne Regelung der örtlichen Zuständigkeit (z.B. Art. 14 CC), so bewirkt die Gegenseitigkeit nach § 101 JN in Österreich gleichfalls nur die Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit, ohne konkrete Angaben über die örtliche Zuständigkeit; in diesem Fall käme § 28 JN (also Ordination durch den OGH) zum Tragen. Stellt der Gegenstaat hingegen gegen Österreicher sowohl seine Jurisdiktion als auch eine örtliche Zuständigkeit zur Verfügung, so wird in Österreich im Wege des Gegenrechtes gleichfalls sowohl die inländische Gerichtsbarkeit als auch der entsprechende Gerichtsstand begrundet.

Im vorliegenden Fall trifft letzteres zu. Für die Schadenersatzklage eines bei einem Schiunfall in der Bundesrepublik Deutschland durch einen Österreicher verletzten deutschen Staatsangehörigen würde zufolge der Vorschrift des § 32 dZPO sowohl die internationale Zuständigkeit der bundesdeutschen Gerichte als auch die örtliche Zuständigkeit jenes Gerichtes bejaht werden, in dessen Bezirk sich der Unfall ereignet hat (Thomas Putzo, Zivilprozeßordnung[9], Anm. 1 zu § 32 dZPO). Somit ist für die vorliegende Klage die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes bereits nach § 101 JN bei Bedachtnahme auf § 32 dZPO gegeben.