JudikaturJustiz15Os89/00

15Os89/00 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Habl, Dr. Zehetner, Dr. Ratz und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Janitsch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Michael C***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über den Antrag des Generalprokurators auf Erneuerung des Verfahrens über die Berufung des Angeklagten zu AZ 20 Vr 827/93 des Landesgerichtes Innsbruck sowie über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 18. November 1993, GZ 20 Vr 827/93 199, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Lehner zu Recht erkannt:

Spruch

Auf Antrag des Generalprokurators wird das Verfahren über die Berufung des Angeklagten im Strafverfahren zu AZ 20 Vr 827/93 des Landesgerichtes Innsbruck erneuert, gemäß § 363c Abs 2 StPO wird das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 17. Februar 1994, GZ 15 Os 189/93 15, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem die Berufung des Angeklagten betreffenden Ausspruch aufgehoben.

In der Sache selbst erkennt der Oberste Gerichtshof:

Der Berufung des Angeklagten wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 18 Jahre herabgesetzt.

Text

Gründe :

Michael C***** wurde mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 18. November 1993, GZ 20 Vr 827/93 199, des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt, weil er am 10. März 1993 in Alpbach Sandra W***** durch Versetzen eines wuchtigen Stiches mit einem Küchenmesser in die linke Brustseite vorsätzlich getötet hat.

Die dagegen vom Angeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde hat der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 17. Februar 1994, GZ 15 Os 189/93 15, verworfen und seiner Berufung ebenso wie jener der Staatsanwaltschaft nicht Folge gegeben.

Der Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof fand in Abwesenheit des Angeklagten statt; eine Vorführung unterblieb mangels entsprechender Antragstellung (§ 296 Abs 3 StPO aF).

Rechtliche Beurteilung

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkannte mit Entscheidung vom 8. Februar 2000, Beschwerde Nr 25878/94, dass im Fall Michael Edward C***** gegen Österreich durch das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 17. Februar 1994 eine Verletzung nach Art 6 Abs 1 im Zusammenhang mit Art 6 Abs 3 lit c der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten stattgefunden hat, weil der Oberste Gerichtshof seiner positiven Verpflichtung, die Anwesenheit des Beschwerdeführers beim Gerichtstag über die Berufung sicherzustellen, um es ihm zu ermöglichen, "sich selbst persönlich zu verteidigen", nicht nachgekommen ist. Im Hinblick auf die Natur des Hauptstreitpunktes im Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof, nämlich eine neuerliche Prüfung der Persönlichkeit und des Charakters des Beschwerdeführers einschließlich seines Geisteszustandes zur Tatzeit, seines Motivs, seiner Gefährlichkeit und Aggressivität im Allgemeinen durchzuführen, sowie unter Berücksichtigung der Schwere dessen, was für ihn auf dem Spiel stand (eine mögliche Erhöhung der Strafe zu lebenslanger Freiheitsstrafe), vertrat der EGMR die Ansicht, dass der Fall ohne der Gewinnung eines persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers nicht ordnungsgemäß geprüft werden konnte. Es wäre für die Fairness des Verfahrens wesentlich gewesen, dass dieser beim Gerichtstag über die Berufung anwesend gewesen und ihm die Möglichkeit geboten worden wäre, zusammen mit seinem Verteidiger daran teilzunehmen.

Auf Grund dieses Erkenntnisses des EGMR ist eine Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO im Umfang der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten ungeachtet des Umstandes notwendig, dass wegen Verwerfung der Berufung der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten keine Erhöhung der Strafe zu befürchten ist, weil nach der Rechtsansicht des EGMR, von der auszugehen ist, auch wenn sie nicht geteilt wird (EBRV 33. BlgNR 20. GP 65), durch die Vorgangsweise des Obersten Gerichtshofes ein Nachteil für den Betroffenen nicht ausgeschlossen werden kann. Dem darauf zielenden Antrag des Generalprokurators folgend war somit die mit dem vom EGMR bezeichneten Mangel behaftete Entscheidung gemäß § 363a Abs 2 StPO aufzuheben.

Da ein Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof erneuert wird und hiefür mit dem Institut der Verfahrenserneuerung die Zuständigkeit nicht ausdrücklich normiert wurde, ist in analoger Anwendung der sonstigen Zuständigkeitsregelungen zumal nicht nach § 285i StPO vorgegangen wird der Oberste Gerichtshof zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des Angeklagten zuständig.

Mit seinem Rechtsmittel strebt der Berufungswerber eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe an. Diesem kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Grundlage für die Ausmessung der Strafe ist die Schuld des Täters. Die Strafzumessungsschuld im Sinne von § 32 Abs 1 StGB umfasst neben dem Gesinnungs und dem Handlungsunwert auch den verschuldeten Erfolgsunwert. Sie bestimmt sich somit nicht allein nach dem Grad der ablehnenden Einstellung des Rechtsbrechers gegenüber den rechtlich geschützten Werten, sondern auch nach dem Gewicht des rechtsfehlerhaften Verhaltens und der Schwere der verschuldeten Rechtsgutbeeinträchtigung. Die im rechtlich gebundenen Ermessen von den Tatrichtern auszumessende Strafe muss demnach der personalen Täterschuld aber auch dem Unwert der verschuldeten Tat angemessen sein. Die entscheidenden Kriterien für die Bemessung der verwirkten Strafe sind daher der subjektive Vorwurf, der dem Täter wegen seines rechtsfehlerhaften Verhaltens zu machen ist, und die objektive Bedeutung der verschuldeten Tat für die verletzte Rechtsordnung (Leukauf/Steininger Komm3 § 32 RN 6 mwN; Kienapfel AllgTeil7 E 9 Rz 21 ff).

Das Geschworenengericht wertete bei der Strafzumessung als erschwerend keinen Umstand, als mildernd eine verminderte Dispositionsfähigkeit des Angeklagten.

Einen Milderungsgrund der Provokation durch das Opfer Sandra W***** lehnte das Erstgericht "nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens" ab. Auf Grund von aktenkundigen Vorfällen, "insbesondere im Zusammenhang mit der Person des Enid C*****", fand es, dass die verurteilte Tat nicht in einem auffallenden Widerspruch zu seinem sonstigen Verhalten stand. Auch das Vorliegen eines reumütigen Geständnisses wurde verneint.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 17. Februar 1994 ausgeführt hat, ist der Berufungsargumentation insoweit beizupflichten, als der vom Angeklagten zugestandene Verlust der Selbstkontrolle in Kontakt mit Frauen nicht soweit geht, dass er den Ausschluss des Milderungsgrundes eines bisher ordentlichen Lebenswandels rechtfertigen würde. Die in seinem Heimatland über den Berufungswerber verhängte Vorstrafe wegen Sachbeschädigung ist infolge Vorliegens der Tilgungsvoraussetzungen nach österreichischem Recht als unbeachtlich anzusehen. Dem Angeklagten ist daher der weitere Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StPO zuzubilligen.

Aus der Verantwortung des Rechtsmittelwerbers ist ein wenn auch eingeschränkter Beitrag zur Wahrheitsfindung abzuleiten, welcher ihm als mildernd zugutezuhalten ist.

Hingegen liegt nach der Aktenlage eine Provokation durch Sandra W***** nicht vor. Auch die Annahme einer exzeptionellen psychischen oder emotionalen Erregung ist insbesondere nach dem Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. P***** nicht indiziert. Dessen Expertise über den Grad der Minderung der Dispositionsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit lag den Erkenntnisrichtern bei ihrer Entscheidungsfindung vor (vgl insbes S 325 f II und 74 ff V).

Der anlässlich des Gerichtstages vom Angeklagten gewonnene persönliche Eindruck ergab keinen Anlass für Bedenken gegen die Bewertung seiner Persönlichkeit und seines Charakters durch das Geschworenengericht. Für die Beurteilung des Motives zur Tat konnten keine weiteren Erkenntnisse gewonnen werden.

Der Rechtsmittelwerber hat das als Tatwerkzeug verwendete Messer zwei Tage vor der Tat gekauft (Zeugin Maria M***** S 233 I, 60 f V; im Gegensatz zum Angeklagten: einige Stunden vor der Tat vgl S 43 g I, 40 V). Dieser Umstand spricht dafür, dass er sein Vorgehen zur Tötung eines Menschen reiflich überlegt und sorgfältig vorbereitet hat. Der letzte Angriff war schließlich so überraschend und zielstrebig, dass die Getötete keine Vorsicht gegen die Tat gebrauchen konnte und auch der zur Hilfe eilende Gastwirt keine Möglichkeit hatte, die wuchtigen Messerstiche zu verhindern (insgesamt § 32 Abs 3 StGB).

Demgegenüber fallen die zwei zusätzlichen Milderungsgründe des bisher ordentlichen Lebenswandels und des Beitrages zur Wahrheitsfindung ins Gewicht. Dazu kommt, dass die Tat im Jahre 1993 begangen wurde und die Haft von einem Menschen im Alter des Angeklagten, dem erstmals die Freiheit entzogen wird, besonders hart verspürt wird. Trotz des Umstandes, dass der Angeklagte die Zeit seit der Tat (zum größten Teil) in Strafhaft verbracht hat, ist ihm infolge seiner nachgewiesenen Bemühungen um eine positive Lebenseinstellung (Besuch von Bildungsveranstaltungen und Teilnahme an psychologischen Gruppentherapien mit dem Ziel von Konfliktbewältigungen) zusätzlich der Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 18 StGB zu Gute zu halten.

Unter Abwägung aller dieser für die Strafzumessungsschuld maßgebender Komponenten erschien dem Obersten Gerichtshof eine geringfügige Reduktion der Freiheitsstrafe auf 18 Jahre angemessen.