JudikaturJustiz15Os79/08v

15Os79/08v – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juni 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Wannenmacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Nastase S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall und 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 151 Hv 58/08v (früher 323 HR 63/08y) des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Nastase S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 28. April 2008, AZ 21 Bs 207/08g (ON 34 der Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Nastase S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Über Nastase S***** wurde am 4. März 2008 - dem Antrag der Staatsanwaltschaft Wien folgend - die Untersuchungshaft verhängt (ON 10).

Nach der mittlerweile eingebrachten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom 7. Mai 2008 (ON 45) liegen ihm das (in acht Fällen vollendete, in acht Fällen versuchte) Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall und 15 StGB (I.), die Vergehen der Urkundenunterdrückung (III.A.) und das Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (III.B.) zur Last. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien einer Beschwerde des Angeklagten gegen den Fortsetzungsbeschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. April 2008 (ON 27) nicht Folge und setzte seinerseits die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG fort.

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner Grundrechtsbeschwerde bekämpft Nastase S***** die Annahme des Vorliegens von Haftgründen und bestreitet die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft.

Soweit die Beschwerde einleitend den ihrer Ansicht nach „mangelnden reformatorischen Charakter des Beschlusses" moniert, kann sie nicht nachvollzogen werden, enthält doch die angefochtene Entscheidung alle in § 174 Abs 3 Z 1 bis 5 StPO genannten Elemente eines Fortsetzungsbeschlusses. Dass sich das Beschwerdegericht dabei sprachlich auch auf die Argumentation des Erstgerichts bezog und dessen Erwägungen identifizierend bestätigte, ändert nichts am meritorischen Charakter der Entscheidung, weil das Oberlandesgericht ersichtlich - nach Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt - selbständige Annahmen zu den entscheidungsrelevanten Umständen getroffen hat (vgl die Textierung der von der Beschwerde ins Treffen geführte Passage: „... sodass das Erstgericht völlig zu Recht vom Vorliegen des Haftgrundes des § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO ausging").

Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar („willkürlich") angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806).

Eine solch willkürliche Annahme der Tatbegehungsgefahr vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, denn das Oberlandesgericht hat seine - der Beschwerde zuwider nicht nur in einem einzigen Satz niedergelegte - Einschätzung, der Angeklagte werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen oder eine solche mit einer Strafdrohung von mehr als 6-monatiger Freiheitsstrafe begehen, die wie die ihm angelastete gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, auf das „massiv getrübte Vorleben" des Beschwerdeführers, den Verdacht mehrerer gewerbsmäßig begangener Einbruchsdiebstähle und auf sein geringes Einkommen gestützt.

Damit wurden - entgegen dem Beschwerdevorbringen - zur Prognosebegründung bestimmte Tatsachen angeführt, die nach den Grundsätzen folgerichtigen Denkens und allgemeinen Erfahrungssätzen geeignet sind, die daraus abgeleitete Befürchtung zu tragen. Inwiefern der Beschluss dabei „in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise undeutlich geblieben" wäre, vermag die Beschwerde nicht darzulegen, hat doch das Oberlandesgericht deutlich und in einer Missverständnisse ausschließenden Weise jene sich aus dem konkreten Einzelfall ergebenden Tatsachen (vgl Kirchbacher/Rami WK-StPO § 180 Rz 28; 11 Os 31/08f), aus denen sich der herangezogene Haftgrund ergibt (§ 174 Abs 3 Z 4 StPO), die es somit seiner Prognoseentscheidung zugrunde gelegt hat, benannt (S 5 der Entscheidung).

Im Übrigen übersehen die Ausführungen der Beschwerde zu den Einkommensverhältnissen des Angeklagten, die sich zudem auf das (Nicht )Vorliegen einer vom Oberlandesgericht gar nicht angenommenen sozialen Notlage beziehen, dass damit nur einer von mehreren, die Tatbegehungsgefahr in ihrer Gesamtheit begründenden Umstände von ihr in Zweifel gezogen wird. Der Hinweis auf das massiv getrübte Vorleben in der Beschwerdeentscheidung blieb keinesfalls vage, hat das Oberlandesgericht doch dezidiert auf vier aktenkundige Vorverurteilungen, darunter zwei einschlägiger Natur (nicht eine, wie die Beschwerde aktendifform behauptet) verwiesen, wobei es insbesondere den Umstand hervorhob, dass der Angeklagte bereits einmal zu einer (teil-)unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Zwar ist es richtig, dass Vorstrafen „aus sich heraus den gegenständlichen Haftgrund nicht verwirklichen" können. Die Vorstrafenbelastung kann aber sehr wohl eine bestimmte und konkrete Tatsache darstellen, die die Möglichkeit weiterer Tatbegehung in greifbare Nähe rückt.

Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zunächst auf die Bedeutung der Sache und die zu erwartende Strafe abzustellen (§ 173 Abs 1 zweiter Satz StPO). Mit Blick auf die dem Beschwerdeführer angelastete, wiederholte Delinquenz und auf den in Frage kommenden Strafrahmen (Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren; § 130 zweiter Strafsatz StGB) kann bei einer im Beschwerdezeitpunkt knapp acht Wochen dauernden Untersuchungshaft von einer Unverhältnismäßigkeit nicht die Rede sein.

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (§ 46a Abs 2 JGG) ist überdies auf die mit der Untersuchungshaft verbundenen Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung und für das Fortkommen des Jungendlichen Bedacht zu nehmen (§ 35 Abs 1 JGG). Dieser strengeren Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt allerdings mit fortschreitendem Alter (die inkriminierten Tatzeitpunkte liegen deutlich nach dem 20. Geburtstag des Angeklagten) weniger Bedeutung zu (Schroll in WK2 JGG § 35 Rz 10). Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Oberlandesgericht diese gesetzlichen Vorgaben bei seiner Entscheidung berücksichtigt und hiebei den einschlägigen Vorverurteilungen besondere Bedeutung zugemessen. Die somit rechtsfehlerfreie Beurteilung wird auch durch die unbelegten Behauptungen, der Angeklagte bemühe sich um eine Anstellung, Spekulationen über die gegenwärtige günstige Wirtschaftslage in Österreich sowie die persönlichen Eindrücke des Verteidigers von der psychischen Befindlichkeit des Inhaftierten nicht erschüttert.

Gelindere Mittel wurden - entgegen der dies behauptenden Argumentation - in der Haftbeschwerde (und im Übrigen auch im Enthaftungsantrag ON 23) nicht konkret angeboten, sodass auch dieses Vorbringen mangels Ausschöpfung des Instanzenzuges erfolglos bleiben muss.

Abschließend sei bemerkt, dass die wiederholte Bezugnahme in Haft- und Grundrechtsbeschwerde darauf, dass der Angeklagte österreichischer Staatsbürger und nur in Haft genommen worden sei, weil man ihn fälschlicherweise für einen Ausländer gehalten habe, - will man sie nicht als Forderung nach der Privilegierung inländischer Beschuldigter (miss)verstehen - unverständlich bleibt. Somit wurde der Angeklagte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.