JudikaturJustiz15Os48/08k

15Os48/08k – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Peter-Wilhelm H***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, AZ 214 U 167/07k des Bezirksgerichtes Graz-Ost, über die von der Generalprokurator gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht vom 29. Jänner 2008, AZ 1 Bl 10/08m, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nordmeyer, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 214 U 167/07k des Bezirksgerichts Graz-Ost verletzt der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht vom 29. Jänner 2008, AZ 1 Bl 10/08m (ON 13), § 90 l Abs 3 StPO iVm § 90f Abs 3 (§ 90b) StPO aF.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieser Beschluss aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen wird.

Text

Gründe:

1. Im Verfahren 214 U 167/07k des Bezirksgerichts Graz-Ost beantragte die Staatsanwaltschaft Graz die Bestrafung des am 2. Oktober 1991 geborenen, somit im Tatzeitpunkt noch 15-jährigen Peter-Wilhelm H***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, weil er am 31. Mai 2007 in S***** durch Einschlagen der Frontscheibe, der Seitenscheibe und der Scheinwerfer am Traktor des Gerhard L***** einen Schaden von etwa 800 Euro verursacht habe (ON 3). Das Bezirksgericht Graz-Ost beabsichtigte ein diversionelles Vorgehen nach § 90f iVm § 90b StPO aF, abhängig von der Bereitschaft des Beschuldigten, den Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung nachzuweisen und die mit 30 Euro bestimmten Verfahrenskosten zu bezahlen. Das an den Beschuldigten adressierte, mit „Mitteilung nach § 90f Abs 3 StPO" überschriebene Diversionsangebot entsprechenden Inhalts vom 12. November 2007 (ON 9) wurde zunächst der Staatsanwaltschaft gemäß § 90 l Abs 2 StPO aF zur Einsichtnahme übermittelt (S 1a verso).

Die Anklagebehörde, welche dieses Schreiben als Beschluss iSd § 90f Abs 1 iVm § 90b StPO aF auffasste, erhob dagegen Beschwerde, weil ihrer Ansicht nach mangels Schuldeinsicht des Beschuldigten (S 19 und 89) kein hinreichend geklärter Sachverhalt vorgelegen sei (ON 11). Das Diversionsangebot wurde dem Beschuldigten, seiner Mutter und dem Verteidiger samt der Beschwerde der Staatsanwaltschaft am 21. Dezember 2007 zugestellt.

Am 4. Jänner 2008 wurden die Verfahrenskosten von 30 Euro bezahlt (S 1a verso). Die Aufnahme einer psychologischen Behandlung bereits mit 3. Dezember 2007 wurde dem Gericht erst mit einem am 25. Februar 2008 eingelangten Schriftsatz nachgewiesen (ON 14).

Das Landesgericht für Strafsachen Graz gab der Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 29. Jänner 2008, AZ 1 Bl 10/08m, Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf (ON 13).

Dabei ging es ohne nähere Begründung und entgegen der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (zuletzt 13 Os 93/07m) davon aus, dass die erstgerichtliche Mitteilung vom 12. November 2007 als „Beschluss gemäß § 90f Abs 1 StPO" aF aufzufassen sei. Es teilte die Ansicht der Staatsanwaltschaft, dass die Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen, insbesondere ein „ausreichend geklärter Sachverhalt und eine gewisse Verantwortungsübernahme durch den Verdächtigen", nicht vorlägen.

Rechtliche Beurteilung

2. Dieser Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht steht, wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu Recht ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Der Formulierung des Schreibens des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 12. November 2007 (ON 9) ist eindeutig zu entnehmen, dass es sich dabei erst um eine „Mitteilung" iSd § 90f Abs 3 iVm § 90b StPO aF und nicht bereits um den Beschluss auf vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 90f Abs 1 iVm § 90b StPO aF handelte. Dies verdeutlicht auch die gesetzeskonforme Verfügung vom 15. November 2007, welche die gebotene (§ 90 1 Abs 2 StPO aF) Anhörung der Staatsanwaltschaft vor Zustellung des Diversionsangebotes an den Beschuldigten gewährleistete (S 1a verso).

Dem klaren Wortlaut der Abs 2 und 3 des § 90 1 StPO aF zufolge, die nunmehr - ohne inhaltlich substantielle Änderung in Bezug auf die hier relevante Frage der Rechtsmittellegitimation des öffentlichen Anklägers - in der Bestimmung des § 209 Abs 2 StPO zusammengefasst sind, steht dem Staatsanwalt eine Beschwerde nur gegen den (vorläufigen) Einstellungsbeschluss nach § 90f Abs 1 iVm § 90b StPO aF, nicht jedoch gegen eine iSd § 90f Abs 3 iVm § 90b StPO aF getroffene Verfügung offen (RIS-Justiz RS0119663; vgl Schroll, WK-StPO § 90f Rz 12 und § 90 l Rz 4, 6 und 8). Daher kann dem Beschuldigten ein Diversionsangebot auch gegen den (nach zwingender Anhörung) erklärten Willen des Staatsanwaltes unterbreitet werden (zuletzt 15 Os 42/07a), dem in Ansehung des Einstellungsbeschlusses ohnehin - ungeachtet des Inhalts seiner zuvor abgegebenen Stellungnahme - die uneingeschränkte Beschwerdemöglichkeit offen steht (RIS-Justiz RS0117071).

Durch den gesetzwidrigen Beschluss des Beschwerdegerichts wurde dem Beschuldigten die Möglichkeit genommen, noch vor Beginn der Hauptverhandlung durch Annahme des Diversionsangebotes die Übernahme der Verantwortung für das Tatgeschehen in ausreichender Form zu erklären, zumal ein Geständnis keine allgemeine Diversionsvoraussetzung darstellt (RIS-Justiz RS0119093) und die in der Anzeige noch dokumentierte mangelnde Bereitschaft für eine Verantwortungsübernahme ein Vorgehen nach dem IXa. Hauptstück der StPO (alt) nicht ausschloss (Schroll, aaO § 90a Rz 36 mwN). Daher war der dem Beschuldigten nachteilige Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht zu kassieren und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Dem Bezirksgericht Graz-Ost steht trotz des dem Beschuldigten bereits gestellten Diversionsangebotes, das Bindungswirkung nur zu dessen Gunsten entfaltet (Schroll, aaO § 90h Rz 2), weiterhin die Möglichkeit offen, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs 2 (Z 1 oder 2) JGG, insbesondere durch Untersuchung des Beschuldigten iSd § 43 Abs 1 letzter Satz JGG, zu prüfen (vgl S 19, 23 f).

Rechtssätze
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