JudikaturJustiz15Os44/14f

15Os44/14f – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Juli 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Juli 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer in der Strafsache gegen Morgan Clinton O***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Dezember 2013, GZ 63 Hv 15/13f 162, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem schuldig sprechenden Teil, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Ausspruch des Verfalls aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von weiteren Vorwürfen enthält, wurde Morgan Clinton O***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (B), jeweils teils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Amsterdam und an anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung

A.) zur vorschriftswidrigen Ausfuhr von Suchtgift in einer insgesamt das 25 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus den Niederlanden und anderen Ländern und zur anschließenden teilweise über Deutschland erfolgten Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich beigetragen, indem er zusammen mit Mittätern die Suchtgiftlieferungen und die Verteilung des Suchtgifts organisierte, und zwar

1.) „Ende Jänner 2012 zur Ausfuhr von 600 Gramm Heroin mit zumindest 3 % Reinsubstanz Heroin aus einem nicht mehr festzustellenden Land und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich durch den Suchtgiftkurier Afam A*****, der das Suchtgift am 26. Jänner 2012 aus Belgien über Deutschland nach Österreich transportierte;

2.) Anfang Februar 2012 zur Ausfuhr von 610 Gramm Heroin mit zumindest 3 % Reinsubstanz Heroin aus einem nicht mehr festzustellenden Land und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich durch den Suchtgiftkurier Afam A*****, der das Suchtgift am 7. Februar 2012 aus Belgien über Deutschland nach Österreich transportierte;

3.) Mitte Februar 2012 zur Ausfuhr von 752 Gramm Kokain mit zumindest 162 Gramm Reinsubstanz Cocain aus einem nicht mehr festzustellenden Land und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich durch den Suchtgiftkurier Afam A*****, der das Suchtgift am 18. Februar 2012 aus Belgien über Deutschland nach Österreich transportierte;

4.) Anfang März 2012 zur Ausfuhr von zumindest 790 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 20 % Cocain aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts über Deutschland nach Österreich durch den Suchtgiftkurier Benjamin Ok*****, der das Suchtgift am 6. und am 7. März 2012 aus den Niederlanden über Deutschland nach Österreich transportierte;

5.) Mitte März 2012 zur Ausfuhr von 867,4 Gramm Kokain mit zumindest 194 Gramm Reinsubstanz Cocain aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts über Deutschland nach Österreich durch den Suchtgiftkurier Benjamin Ok*****, der das Suchtgift am 12. und am 13. März 2012 aus den Niederlanden über Deutschland nach Österreich transportierte;

6.) Ende März 2012 zur Ausfuhr von zumindest 900 Gramm Kokain mit zumindest 20 % Reinsubstanz Cocain aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts über Deutschland nach Österreich durch einen unbekannten Suchtgiftkurier, der das Suchtgift am 31. März 2012 und am 1. April 2012 aus den Niederlanden über Deutschland nach Österreich transportierte;

7.) Anfang April 2012 zur Ausfuhr von zumindest 470 Gramm Kokain mit zumindest 20 % Reinsubstanz Cocain aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich durch einen unbekannten Suchtgiftkurier, der das Suchtgift sodann am 7. und am 8. April 2012 aus den Niederlanden nach Österreich transportierte;

8.) Mitte April 2012 zur Ausfuhr von zumindest 1.100 Gramm Kokain mit zumindest 20 % Reinsubstanz Cocain aus den Niederlanden und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich durch einen unbekannten Suchtgiftkurier, der das Suchtgift sodann am 20. und am 21. April 2012 aus den Niederlanden nach Österreich transportierte;

9.) Mitte Mai 2012 zur Ausfuhr von 1.145 Gramm Kokain mit zumindest 205 Gramm Reinsubstanz Cocain aus einem nicht mehr festzustellenden Land und zur anschließenden Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich durch den Suchtgiftkurier Daniel Ab*****, der das Suchtgift sodann am 13. Mai 2012 aus den Niederlanden nach Österreich transportierte;“

B.) vorschriftswidrig Suchtgift in einer insgesamt das 25 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen bzw verschafft, und zwar

1.) „Ende Jänner 2012 dem Suchtgiftkurier Afam A***** 600 Gramm Heroin mit zumindest 3 % Reinsubstanz Heroin verschafft, indem er den Transport des Suchgifts nach Österreich sowie die Verteilung des Suchtgifts in Österreich mitorganisierte;

2.) Anfang Februar 2012 dem Suchtgiftkurier Afam A***** bzw den Abnehmern in Wien 610 Gramm Heroin mit zumindest 3 % Reinsubstanz Heroin verschafft, indem er den Transport des Suchtgifts nach Österreich sowie die Verteilung des Suchtgifts in Österreich mitorganisierte;

3.) Mitte Februar 2012 dem Suchtgiftkurier Afam A***** 752 Gramm Kokain mit zumindest 162 Gramm Reinsubstanz Cocain verschafft, indem er den Transport des Suchtgifts nach Österreich sowie die Verteilung des Suchtgifts in Österreich mitorganisierte;

4.) Anfang März 2012 dem Suchtgiftkurier Benjamin Ok***** zumindest 790 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 20 % Cocain verschafft, indem er den Transport des Suchtgifts nach Österreich mitorganisierte;

5.) Mitte März 2012 dem Suchtgiftkurier Benjamin Ok***** 867,4 Gramm Kokain mit zumindest 194 Gramm Reinsubstanz Cocain verschafft, indem er den Transport des Suchtgifts nach Österreich mitorganisierte;

6.) Ende März 2012 einem unbekannten Suchtgiftkurier 900 Gramm Kokain mit zumindest 20 % Reinsubstanz Cocain überlassen, indem er diesem das Suchtgift zum Transport nach Österreich übergab;

7.) Anfang April 2012 einem unbekannten Suchtgiftkurier zumindest 470 Gramm Kokain mit zumindest 20 % Reinsubstanz Cocain überlassen, indem er diesem das Suchtgift zum Transport nach Österreich übergab;

8.) Mitte April 2012 einem unbekannten Suchtgiftkurier zumindest 1.100 Gramm Kokain mit zumindest 20 % Reinsubstanz Cocain überlassen, indem er diesem das Suchtgift zum Transport nach Österreich übergab;

9.) Mitte Mai 2012 dem Suchtgiftkurier Daniel Ab***** 1.145,6 Gramm Kokain mit zumindest 205 Gramm Reinsubstanz Cocain verschafft, indem er den Transport des Suchtgifts nach Österreich mitorganisierte.“

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch wendet sich die auf Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.

Zutreffend zeigt die Mängelrüge nämlich auf, dass die den Schuldspruch tragenden Feststellungen entscheidender Tatsachen unzureichend begründet sind (Z 5 vierter Fall).

Die schriftliche Darlegung der Begründung im Urteil darf keine bloße Nacherzählung des Inhalts von Zeugenaussagen oder anderen Beweisergebnissen sein, vielmehr muss aus der Beweiswürdigung klar zu erkennen sein, welche Beweise konkreten Feststellungen zugrunde gelegt worden sind ( Danek , WK StPO § 270 Rz 38). Soweit sich die Tatrichter dabei auf gerichtsnotorisches Wissen berufen, bedarf dieses zwar keiner Begründung, aber einer Feststellung in den Gründen (RIS Justiz RS0124169; Ratz , WK StPO § 281 Rz 463; Fabrizy , StPO 11 § 258 Rz 13). Keine oder eine nur offenbar unzureichende Begründung liegt dann vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Gesetzen logischen Denkens und nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS Justiz RS0099413).

Vorliegend begnügten sich die Tatrichter bei der Beweiswürdigung zu den einzelnen Tatvorwürfen im Wesentlichen mit der unkommentierten Wiedergabe des Inhalts von überwachten Telefongesprächen und der daran anschließenden „Schlussfolgerung“: „Aufgrund der vorhandenen Beweisergebnisse steht mit der erforderlichen Sicherheit fest, …“ bzw „Es steht daher fest ….“ (US 15, 17, 24, 28, 31, 34). Solcherart wird aber das Vorliegen entscheidender Tatsachen nur behauptet, nicht aber begründet (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 446).

Die Erwägungen des Erstgerichts stellen nämlich keinen konkreten Bezug zwischen den angeführten Telefonaten und den daraus abgeleiteten Feststellungen her. Der Beweiswürdigung lässt sich nicht entnehmen, welcher Gesprächsinhalt oder welche vernetzt betrachtete Passagen der ersichtlich verschlüsselt und mit Hilfe von Codewörtern geführten Gespräche als Beleg für welche konkrete Tathandlungen („organisieren“, „überlassen“, „verschaffen“) dienen sollen. Auch ein Konnex zwischen einem Beweisergebnis (telefonische Äußerung) und den im Urteil konstatierten Suchtgiftmengen wird nicht hergestellt.

Aus den Gesprächen selbst, deren Bedeutung rein auf Grundlage des Textes und ohne interpretatorischen Zwischenschritt weder klar noch eindeutig ist, lässt sich jedenfalls nicht ableiten, welche Mengen welchen Suchtgifts ein und ausgeführt bzw anderen überlassen und verschafft wurden und welchen Tatbeitrag der Angeklagte konkret dazu geleistet haben soll.

Soweit sich die Tatrichter bei der Interpretation der Gespräche ersichtlich auf Gerichtsnotorietät stützten (vgl zB ON 145 S 5: „es herrscht Frieden“ als Code dafür, dass die Lieferung eingetroffen sei), haben sie diese empirischen Prämissen ihrer Beweiswürdigung nicht offengelegt (mit Ausnahme der dann nicht in Anschlag gebrachten -Ausführungen zu Bezeichnungen für Heroin und Kokain auf US 15). Ihre Erwägungen entziehen sich so einer nachprüfenden Kontrolle und erweisen sich somit als willkürlich.

Die erstgerichtlichen Konstatierungen finden auch in der leugnenden Verantwortung des Angeklagten keine Stütze. Zu dieser führten die Tatrichter aus, er habe „an sich auch nie“ bestritten, dass es sich bei den Gesprächen um Suchtgiftlieferungen handelte, er sei aber darin nicht involviert gewesen, lediglich „eine einzige Lieferung von 200 Gramm wäre sein Suchtgift gewesen“ (US 35; vgl aber ON 131 S 12: „120 Gramm“, ON 145 S 5: „8 Kugeln“, ON 161 S 4: „8 Kugeln, … also diese 135 Gramm“). Eine Lieferung oder Übergabe von 200 Gramm (Heroin oder Kokain?) war weder Gegenstand der Anklage (ON 117) noch liegt eine solche den Schuldspruchfakten zugrunde.

Indem die vom Erstgericht angegebenen Gründe insgesamt keine verlässliche Basis für eine nachvollziehbare Überprüfung der Beweiswürdigung der Tatrichter abgeben, leiden die Feststellungen an einem Begründungsdefizit (Z 5 vierter Fall), das zur Aufhebung der Schuldsprüche zwingt.

Auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde (Z 10) war daher nicht mehr einzugehen.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.