JudikaturJustiz15Os31/02

15Os31/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Reiter als Schriftführer, in der Strafsache gegen Friedrich L***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten (§ 15 StGB) schweren und gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten L***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 28. August 2001, GZ 19 Vr 803/99-96, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten L***** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige Schuldsprüche der Mitangeklagten Gerd H***** und Ing. Christian S***** sowie unbekämpft gebliebene Freisprüche der Angeklagten L***** und H***** enthält, wurde Friedrich L***** (zu I.1.) des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten (§ 15 StGB) schweren und gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB und (zu II.) des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Klagenfurt und anderen Orten Österreichs I.1. von Anfang August 1997 bis Mitte April 1999 teilweise im bewussten Zusammenwirken mit Gerd H***** und Christian S***** als Mittäter mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, 88 angeworbene (spielwillige) Interessenten zur Teilnahme an einem Gruppenroulette-Systemspiel durch Täuschung über Tatsachen, nämlich über die eigenständige Entwicklung eines gewinngarantierenden und verlustminimierenden Spielsystems sowie über die Qualität und den Innovationsgehalt der gebotenen Ausbildung, zur Zahlung von Ausbildungsbeiträgen von insgesamt zumindest 815.000 S verleitet, und zur Zahlung von weiteren zumindest 285.000 S zu verleiten getrachtet, wodurch diese um die angeführten Geldbeträge geschädigt wurden bzw geschädigt werden sollten;

II. zwischen 15. April und 12. Juni 1999 die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch anderen einen Vermögensnachteil zumindest in Höhe von 170.700 S zugefügt, indem er von künftigen Spielteilnehmern für Spielzwecke treuhändig übernommene Pool-Gelder sich zueignete und für private Zwecke verwendete.

Die dagegen vom Angeklagten L***** aus Z 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 4) gegen das in der gemäß § 276a StPO wegen Zeitablaufs neu durchgeführten Hauptverhandlung am 22. August 2001 gefällte Zwischenerkenntnis des Gerichtshofs, mit dem die beantragte Vernehmung von 22 namentlich genannten Zeugen abgelehnt wurde (S 37/III), scheitert schon aus formellen Gründen. Ist nämlich die Hauptverhandlung aus einem der in § 276a StPO genannten Gründen neu durchzuführen, so müssen in der neuerlichen Hauptverhandlung alle Beweisanträge wiederholt werden (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 31 mzJH). Die vom Verteidiger des Beschwerdeführers in der Verhandlung am 22. August 2001 abgegebene Erklärung: "Verteidiger hält sämtliche Beweisanträge, soweit sie bislang nicht erledigt wurden, vollinhaltlich aufrecht und verweist auf die Anträge in der Hauptverhandlung vom 30. 8. 2000" (S 287 f/II iVm S 35/III) genügte diesem prozessualen Erfordernis nicht. Denn unabdingbare Voraussetzung eines verfahrensvorschriftsgemäßen Beweisantrages ist die deutliche und bestimmte Bezeichnung des Beweismittels und des Beweisthemas (vgl § 222 Abs 1 StPO; 15 Os 164/00, 15 Os 106/01 uam). Dem der Beschwerde zugrundeliegenden Antrag gebricht es an beiden dieser essentiellen Komponenten, wobei im Rechtsmittel die Namen von bloß fünf Zeugen angeführt sind. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Verhandlungsprotokoll vom 30. August 2000 (ON 67/II) in der gemäß § 276a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung verlesen wurde (S 38/III; vgl Mayerhofer aaO E 32 f).

Soweit sich der Nichtigkeitswerber darüberhinaus auch durch die Abweisung der vom Staatsanwalt in der Anklageschrift beantragten Zeugen beschwert erachtet, ist er zur Verfahrensrüge nicht legitimiert, weil er sich nach dem Inhalt des (vollen Glauben machenden) Verhandlungsprotokolls diesen (gleichfalls formell fehlerhaften) "bisherigen Beweisanträgen" des Sitzungsvertreters nicht angeschlossen hat (S 35/III; Mayerhofer aaO E 34, 46). Die Mängelrüge (Z 5) beschränkt sich überhaupt nur auf den pauschalen Vorwurf unvollständiger Begründung, weil das Tatgericht ihrer Meinung nach die Aussagen von sechs namentlich angeführten Zeugen sowie den Inhalt vorgelegter Beweismittel (Blg./2 bis 6) mit Stillschweigen übergehe. Solcherart verfehlt sie jedoch die gesetzmäßige Ausführung des geltenden gemachten formellen Nichtigkeitsgrundes, weil das unsubstantiierte Vorbringen jene konkreten, entscheidende Umstände betreffenden Tatsachen nicht angibt, welche in der Hauptverhandlung behauptet worden und im Urteil - ungeachtet der allgemeinen Anführung der Beweismittel (vgl US 20 zweiter Absatz) und dem Gebot des § 270 Abs 2 Z 5 StPO zuwider - stillschweigend übergangen worden sein sollen (vgl Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 62, 74). Dass die erstgerichtliche Begründung den Grundsätzen logischen Denkens und den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspräche, wird von der Beschwerde nicht behauptet.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) hinwieder setzt sich schlichtweg über alle entscheidungswesentlichen Urteilskonstatierungen hinweg und fordert den Freispruch des Beschwerdeführers gemäß § 259 Z 3 StPO, weil ihm "weder eine Täuschung, Bereicherung oder Zufügung eines allfälligen Vermögensschadens mit einer für das Strafverfahren nötigen Sicherheit und Zweifelsfreiheit unterstellt zu werden vermag". Indes erfordert die prozessordnungsgemäße Darstellung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes ein striktes Festhalten am gesamten subjektiven und objektiven Tatsachensubstrat. Nur auf dessen Basis kann der Nachweis eines Rechtsfehlers erbracht werden.

Allein von der Tatsache ausgehend, dass es sich vorliegend (nur) um ein "Glücksspiel" handelt, zitiert die Beschwerde zum Schuldspruch I.1. einerseits lediglich je einen Satz isoliert, demnach sinnentstellt, aus den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vom 29. April 1962, 5 Os 277 (= EvBl 1952/277) sowie vom 1. Oktober 1996, 11 Os 135/96, denen allerdings nicht vergleichbare Sachverhaltskonstellationen und andere Feststellungen zugrunde liegen. Andererseits vernachlässigt sie mit kritischen Bemerkungen über den Befund des Sachverständigen Michael Gruja und mit eigenen Beweiswerterwägungen die Urteilsannahmen betreffend die mit Bereicherungs- und Schädigungsvorsatz vorgenommenen Täuschungshandlungen (vorsätzliche falsche Zusage einer Gewinngarantie aufgrund eines erstellten Ertragsorganigramms) und die dadurch bewirkte Irreführung, welche die Spielwilligen zur Zahlung von je 12.500 S für die wertlose "Ausbildung" veranlassten. Ebenso wenig orientieren sich die gegen den Schuldspruch II. erhobenen Einwände, es fehle an jeglichen Tatbestandsmerkmalen, zumal feststehe, dass vom Beschwerdeführer keinerlei Rechtsgeschäft über einen Treuhanderlag mit den Spielinteressenten abgeschlossen und überdies doch gerade angefallene Pool-Gelder von ihm an Dipl. Kfm. Paul F***** übergeben worden seien, an den Urteilskonstatierungen. Entgegen diesem urteilsfremden Vorbringen stellt das Tatgericht unmissverständlich fest, dass sich der Angeklagte zwischen 15. April und 12. Juni 1999 übernommene Pool-Gelder von insgesamt 170.700 S entgegen der mit den Spielteilnehmern getroffenen Vereinbarung der notariellen treuhändigen Hinterlegung unter wissentlichem Befugnismissbrauch widmungswidrig zugeeignet und dieses Geld für private Zwecke verwendet hat (US 18 f und 28 f).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 285d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285a Z 2 StPO bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus gemäß § 285i StPO die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Graz zur Entscheidung über die zudem erhobene Berufung folgt. Dem in einer gemäß § 35 Abs 2 StPO zur Stellungnahme der Generalprokuratur erstatteten Äußerung vertretenen Standpunkt zuwider hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt - insbesondere im Zusammenhang mit dem Nichtigkeitsverfahren vor dem österreichischen Obersten Gerichtshof - ausgesprochen, dass eine öffentliche Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht nicht erforderlich ist, wenn in erster Instanz eine solche stattgefunden hat und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nach innerstaatlichen Bestimmungen durch das Rechtsmittelgericht nicht zu prüfen ist

(Urteil vom 22. Februar 1996, Nr 59/1994/506/588 = ÖJZ 1996, 430;

Urteil vom 29. Februar 1996, Nr 50/1994/497/579 = ÖJZ 1996, 675

jeweils mit Zitaten von Vorjudikatur; Frowein/Peukert EMRK-Komm2 Art 6 RN 95, 118; 15 Os 115/97 15 Os 163/99, 15 Os 111/00 uam). Im Übrigen wird in einem Gerichtstag nur über eine prozessordnungsgemäß ausgeführte Rechtsrüge des Angeklagten entschieden (Mayerhofer aaO § 285a E 61; EvBl 1997/154, 15 Os 119,120/99, 15 Os 163/99 uam). Es genügt daher vorliegend nicht, dass der Angeklagte auch den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO geltend gemacht hat.

Rechtssätze
2
  • RS0108489OGH; AUSL EGMR Rechtssatz

    17. Januar 2018·3 Entscheidungen

    Die in der Äußerung des Angeklagten zur Stellungnahme der Generalprokuratur mit dem Hinweis auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einem Verwaltungsverfahren (Fall Zumtobel gegen Österreich), in dem in der Regel keine öffentliche Verhandlung stattfindet, erhobene Forderung auf Anberaumung eines Gerichtstages ist nicht zielführend. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt - insbesondere im Zusammenhang mit dem Nichtigkeitsverfahren vor dem österreichischen Obersten Gerichtshof - ausgesprochen, daß eine Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht nicht erforderlich ist, wenn in erster Instanz eine öffentliche Verhandlung stattgefunden hat und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nach innerstaatlichen Bestimmungen durch das Rechtsmittelgericht nicht zu prüfen ist (Urteil vom 22.Februar 1996, Nr 59/1994/506/588 = ÖJZ 1996, 430; Urteil vom 19.Februar 1996, Nr 50/1994/497/579 = ÖJZ 1996, 675; jeweils mit Zitaten von Vorjudikatur; Frowein/Peukert MRK-Komm2 Art 6 RN 95,118). Dem aus Art 6 MRK abgeleiteten Prinzip der Waffengleichheit wird dadurch genüge getan, daß - wie vorliegend - der Verteidiger Gelegenheit hatte, sich (als letzter vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes) zur Stellungnahme der Generalprokuratur zu äußern (vgl Fall Bulut gegen Österreich = ÖJZ 1996,430).