JudikaturJustiz15Os30/93

15Os30/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. April 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.April 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kirschbichler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Roman N***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach _ 88 Abs. 1 StGB, AZ U 582/91 des Bezirksgerichtes Schwechat, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den gegen den Zeugen Dr.Edgar S***** erlassenen Vorführungsbefehl des Bezirksgerichtes Schwechat vom 26.Mai 1992 nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Raunig, jedoch in Abwesenheit des betroffenen Zeugen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der im Strafverfahren AZ U 582/91 des Bezirksgerichtes Schwechat gegen den Zeugen Dr.Edgar S***** erlassene Vorführungsbefehl vom 26. Mai 1992 verletzt das Gesetz in der Bestimmung des _ 242 Abs. 3 StPO (iVm _ 242 Abs. 1 StPO sowie Art 1 Abs. 3 und Art 2 Abs. 1 Z 4 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und Art 5 Abs. 1 lit b MRK).

Text

Gründe:

Im Strafverfahren gegen Roman N***** wegen des Vergehens nach _ 88 Abs. 1 StGB, AZ U 582/91 des Bezirksgerichtes Schwechat, sollte Dr.Edgar S***** in der für den 14.Mai 1992 anberaumten Hauptverhandlung als Zeuge vernommen werden. Da Dr.S***** trotz ausgewiesener Zustellung der Ladung an eine Ersatzempfängerin (_ 16 Abs. 2 ZustellG) - der betreffende Rückschein wurde mit "M.S*****" unterfertigt und mit dem Beisatz "Gattin" versehen (S 1 a) - zum bezeichneten Termin nicht erschien, vertagte das Gericht die Hauptverhandlung "zur neuerlichen Ladung, allenfalls Vorführung des Zeugen S*****" auf den 1.Oktober 1992 (S 43). Ohne Erhebungen über den - aus den Akten nicht zu ersehenden - Grund für das Ausbleiben des Zeugen Dr.Edgar S***** durchzuführen, ordnete das Gericht am 26. Mai 1992 die Vorführung des Zeugen zum festgesetzten Hauptverhandlungstermin an (S 2 a und Ablichtung des Vorführungsbefehls im Akt Jv 16.802-17a/92 des Präsidiums des Oberlandesgerichtes Wien), worauf der Zeuge zur Hauptverhandlung am 1. Oktober 1992 von der Polizei vorgeführt wurde. Den Vollzug dieses Vorführungsbefehls nahm Dr.S***** zum Anlaß für eine Dienstaufsichtsbeschwerde, in deren Ergänzung (Schreiben vom 23. Dezember 1992) er - unwiderlegt - geltend machte, von der Ersatzempfängerin, seiner damals 79jährigen, kranken Mutter (und nicht seiner Gattin, die bereits 1987 verstorben ist) von der erfolgten Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung am 14.Mai 1992 nicht in Kenntnis gesetzt worden und daher auch nicht in der Lage gewesen zu sein, das Gericht zeitgerecht von seinem damaligen Aufenthaltsort (im Ausland) zu verständigen.

Rechtliche Beurteilung

Der Vorführungsbefehl vom 26.Mai 1992 steht, wie der Generalprokurator in seiner gemäß _ 33 Abs. 2 StGB erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend rügt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Die Bestimmung des _ 242 Abs. 3 StPO (auf welche in Verbindung mit _ 447 StPO die Vorführungsanordnung des Bezirksgerichtes Schwechat gestützt ist) sieht vor, daß über einen ausgebliebenen Zeugen - primär - eine Geldstrafe zu verhängen und er bei Vertagung der Hauptverhandlung überdies zur Tragung der Kosten der vereitelten Sitzung zu verpflichten ist. Hätte das Gericht dem Gesetz gemäß derartige Straf- und Kostenfolgen ausgesprochen, wäre dem betroffenen Zeugen durch die erforderliche Zustellung eines darüber absprechenden Erkenntnisses, das mit Einspruch bekämpfbar ist (_ 243 StPO), die Möglichkeit eingeräumt worden, ein ihn vom Erscheinen zur Hauptverhandlung am 14.Mai 1992 abhaltendes Hindernis (_ 243 Abs. 2 StPO) rechtzeitig geltend zu machen und damit seine Vorführung zur Hauptverhandlung am 1.Oktober 1992 hintanzuhalten. Einen Vorführungsbefehl wider den ausgebliebenen Zeugen - zusätzlich zur primär vorgesehenen Verhängung einer Geldstrafe und zur Auferlegung eines Kostenersatzes - "kann", dh darf das Gericht gemäß _ 242 Abs. 3 letzter Satz StPO aber nur erlassen, um dessen Erscheinen bei der neu angeordneten Sitzung zu sichern. Ob die Vorführung eines Zeugen zur Sicherung seines Erscheinens erforderlich ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen. Von diesem Ermessen hat das Bezirksgericht vorliegend nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht:

Die Erlassung eines Vorführungsbefehls stellt einen Eingriff in das Grundrecht des Betroffenen auf persönliche Freiheit dar, weshalb _ 242 Abs. 3 StPO im Lichte (nunmehr) des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684, sowie der gleichfalls im Verfassungsrang stehenden Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) gesehen und interpretiert werden muß. Nach Art 1 Abs. 3 des erstangeführten Bundesverfassungsgesetzes darf der Entzug der persönlichen Freiheit gesetzlich nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme erforderlich ist und nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen lassen die hier weiters anzuwendenden Vorschriften des Art 2 Abs. 1 Z 4 dieses Bundesverfassungsgesetzes und des damit im wesentlichen übereinstimmenden Art 5 Abs. 1 lit b MRK einen Freiheitsentzug zu, um die Befolgung einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung oder die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung (hier der Zeugenpflicht) zu erzwingen.

Unter dem in beiden vorangeführten Verfassungsbestimmungen enthaltenen Begriff der Erzwingung einer gerichtlichen Entscheidung kann sohin schon nach dem Wortsinn nur ein den entgegengesetzten Willen des Betroffenen steuerndes oder überwindendes behördliches Vorgehen verstanden werden. Bei verfassungskonformer Interpretation des _ 242 Abs. 3 StPO ist die (sicherungsweise) Vorführung eines ausgebliebenen Zeugen daher nur dann zulässig, wenn dieser der Vorladung nicht Folge leisten will und demgemäß im "Ungehorsam" verharrt. Nichts anderes ergibt sich freilich auch schon aus dem Absatz 3 des _ 242 StPO iVm dessen Abs. 1; denn _ 242 Abs. 1 StPO unterwirft nur solche Zeugen (oder Sachverständige) der Sanktion der ungesäumten Vorführung, die der an sie ergangenen (mithin nicht bloß zugestellten, sondern ihnen tatsächlich zugekommen) Vorladung ungeachtet, zu der Hauptverhandlung nicht erscheinen, sie also mißachten. Die Anordnung der Vorführung ist sohin ihrem Wesen nach eine gegen den "Ungehorsam" des Zeugen gerichtete Zwangsmaßnahme und setzt deshalb auch das Vorliegen eines "Ungehorsamstatbestandes" in subjektiver Hinsicht voraus. Ein solcher kann aber - wie bereits erwähnt - nur dann gegeben sein, wenn die Ladung dem Zeugen überhaupt zugekommen ist. Auch wenn das Gesetz die eigenhändige Zustellung der Zeugenladung nicht vorsieht, sondern eine Ersatzzustellung gelten läßt (_ 79 Abs. 3 StPO; _ 16 Abs. 1 ZustellG), darf daher die Vorführung eines Zeugen nicht schon bei Vorliegen des ordnungsgemäßen Nachweises einer Ersatzzustellung, sondern vielmehr erst dann verfügt werden, wenn sich das Gericht überzeugt hat, daß die vom Ersatzempfänger übernommene Ladung dem Zeugen auch wirklich persönlich zugekommen ist, er sie aber mißachtet. Eine solche, nach dem Gesagten gebotene Überprüfung war im vorliegenden Fall in Ansehung der erstgenannten Voraussetzung schon auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes der ersichtlich auf eine betagte Urheberin hinweisenden Übernehmerunterschrift auf dem Rückschein indiziert und im Hinblick auf den bis zum neu festgesetzten Hauptverhandlungstermin zur Verfügung stehenden Zeitraum auch ohne Schwierigkeiten zu bewerkstelligen; dennoch unterblieb sie. Wäre sie vorgenommen worden, hätte sich ergeben, daß dem betroffenen Zeugen die Ladung tatsächlich nicht einmal zur Kenntnis kam, sodaß es an einem Ungehorsamstatbestand als essentielle Voraussetzung für die Erlassung eines - vorliegend damit auch nicht am Beurteilungskriterium der Verhältnismäßigkeit orientierten - Vorführungsbefehles fehlte. Die Erlassung des Vorführungsbefehles widersprach demnach dem Gesetz.

Diese Gesetzesverletzung war festzustellen, konkrete Wirkung war der Entscheidung jedoch nicht zuzuerkennen, weil eine solche schon nach der Natur der in Rede stehenden Gesetzesverletzung nicht denkbar ist.

Es war daher über die von der Generalprokuratur gemäß _ 33 Abs. 2 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß zu erkennen.