JudikaturJustiz15Os27/12b

15Os27/12b – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer in der Strafsache gegen Erich I***** wegen des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 und Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 506 Hv 6/10z des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 13. Dezember 2010, GZ 506 Hv 6/10z 18, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Strafverfahren gegen Erich I***** wegen des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 506 Hv 6/10z des Landesgerichts Korneuburg, verletzt der im Senat von drei Richtern ergangene Beschluss vom 13. Dezember 2010 § 490 zweiter Satz StPO und § 86 Abs 1 StPO.

Der Beschluss wird aufgehoben und dem Einzelrichter des Landesgerichts Korneuburg die neuerliche Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Erich I***** wurde mit (gemäß § 488 Abs 1 StPO iVm § 270 Abs 4 StPO gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Korneuburg vom 23. April 2010, GZ 506 Hv 6/10z 14, von der wider ihn mit Strafantrag vom 1. Februar 2010 (ON 8) erhobenen Anklage, er habe soweit hier von Interesse

1./ von November 2008 bis Juli 2009 in L***** als unbeschränkt haftender Gesellschafter der Erich I***** KG, sohin als Dienstgeber, Beiträge von Dienstnehmern zur Sozialversicherung in Höhe von 30.943,25 Euro dem berechtigten Versicherungsträger, nämlich der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse vorenthalten;

mit der Begründung „kein Schuldbeweis“ gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen (ON 14 S 5).

Über Anregung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, der zufolge eine „bei der Hauptverhandlung am 23. April 2010 getroffene Ratenvereinbarung“ von Erich I***** nicht eingehalten worden sei (ON 16), beantragte die Staatsanwaltschaft Korneuburg am 4. November 2010 (ohne Begründung) die „Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Erich I***** wegen § 153c StGB gemäß §§ 352 Abs 1 Z 2, 355 StPO iVm § 153 [gemeint: § 153c] Abs 4 StGB“ (ON 1 S 5).

Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des erkennenden Einzelrichters, wonach „sich die Zeugin H***** in der Hauptverhandlung auf eine mit dem Angeklagten getroffene Ratenvereinbarung berufen habe, ohne zu den genauen Zahlungsmodalitäten Stellung zu nehmen“ (ON 17), verfügte das Landesgericht Korneuburg als Senat von drei Richtern mit Beschluss vom 13. Dezember 2010 (ON 18) die Wiederaufnahme des erkennbar (siehe ergänzende Stellungnahme des HV Richters vom 15. November 2010) aus dem Grunde des § 153c Abs 3 Z 2 StGB mit Freispruch beendeten Strafverfahrens gegen Erich I***** wegen § 153c Abs 1 und Abs 2 StGB „gemäß [zu ergänzen: § 355 iVm] § 352 Abs 1 Z 2 StPO“, weil „der Umstand der Nichterfüllung der noch vor der Hauptverhandlung vom 23. April 2010 abgeschlossenen Ratenvereinbarung durch den Beschuldigten […] als neue Tatsache im Sinne des § 352 Abs 1 Z 2 StPO anzusehen“ sei.

Dieser Beschluss steht wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 31 Abs 5 Z 2 StPO idF BGBl I 2009/52 auf den § 357 Abs 2 erster Satz StPO infolge eines Redaktionsversehens nach wie vor verweist bzw § 31 Abs 6 Z 2 StPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 2010/111, obliegt „die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme nach § 357 StPO, soweit nicht das Bezirksgericht zuständig ist“, dem Landesgericht als Senat von drei Richtern.

Demgegenüber bestimmt § 490 zweiter Satz StPO als „lex specialis“ für das Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts, dass „in den Fällen der §§ 353 bis 356“ StPO (zur hier nicht relevanten planwidrigen Lücke betreffend die Nichterwähnung des § 352 StPO: Philipp , WK StPO § 490 Rz 2 unter Hinweis auf Bauer , WK StPO § 480 Rz 3) das Landesgericht als Einzelrichter über die Bewilligung der Wiederaufnahme entscheidet.

Indem § 31 Abs 6 Z 2 StPO idF BGBl I 2010/111 (wie auch § 31 Abs 5 Z 2 StPO idF BGBl I 2009/52) zwar auf eine Ausnahmeregelung im bezirksgerichtlichen Verfahren (vgl § 480 zweiter Satz StPO), nicht aber insoweit planwidrig lückenhaft auf jene des § 490 zweiter Satz StPO (für das Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter) Bezug nimmt, liegt (ebenfalls) ein Redaktionsversehen vor, zumal der bis zum Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2009 BGBl I 2009/52 am 1. Juni 2009 geltende § 357 Abs 2 StPO auf § 32 Abs 3 StPO verwiesen hat, welcher in seinem zweiten Satz im Einklang mit § 490 zweiter Satz StPO die Zuständigkeit des Senats von drei Richtern für die Entscheidung über Wiederaufnahmeanträge explizit nur für das schöffen und geschworenengerichtliche Verfahren normierte.

Eine Änderung dieser Rechtslage war durch das Budgetbegleitgesetz 2009 nicht beabsichtigt; vielmehr sollte eine Entlastung des Drei Richter Senats des Landesgerichts erreicht werden und die Entscheidung über Anträge auf Wiederaufnahme den Materialien zufolge (ErläutRV 113 BlgNR 24. GP 36) (wohl nur im bisherigen Umfang) in seiner Zuständigkeit „verbleiben“.

Über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Erich I***** hätte daher gemäß § 490 zweiter Satz StPO der Einzelrichter des Landesgerichts Korneuburg absprechen müssen (vgl auch Fabrizy , StPO 11 § 31 Rz 8; aM, allerdings ohne Bezugnahme auf den zweiten Satz des § 490 StPO: Lewisch , WK StPO § 357 Rz 5).

Hat wie hier anstelle des Einzelrichters ein im Gesetz grundsätzlich vorgesehenes richterliches Kollegium (Dreirichtersenat) entschieden, so ist weder im solcherart vorliegenden funktionellen Zuständigkeitsmangel noch in der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B VG) für sich allein ein konkreter Nachteil für den von der Entscheidung Betroffenen zu erblicken (RIS Justiz RS0096295, RS0053573). Zutreffend macht die Nichtigkeitsbeschwerde aber auch geltend, dass die die Grundlage für die Wiederaufnahme bildenden tatsächlichen Annahmen des angefochtenen Beschlusses, wonach der Freispruch aus dem (Strafaufhebungs )Grund des § 153c Abs 3 Z 2 StGB erfolgt sei, willkürlich sind, hat sich doch der Dreiersenat nicht damit auseinandergesetzt, dass in der gekürzten Urteilsausfertigung als Grund für den Freispruch „kein Schuldbeweis“ angeführt ist, und auch verkannt, dass der Verhandlungsrichter in seiner Stellungnahme lediglich auf den Inhalt einer Zeugenaussage verwies, ohne aber einen von der Urteilsausfertigung abweichenden Freispruchsgrund zu nennen.

Der Beschluss war daher aufzuheben und dem Einzelrichter die neuerliche Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme aufzutragen.