JudikaturJustiz15Os176/15v

15Os176/15v – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Januar 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Jänner 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Medienrechtssache der Antragstellerin Lisa Marie H***** gegen die Antragsgegnerin M***** GmbH wegen § 7 MedienG, AZ 91 Hv 78/14b des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der M***** GmbH auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Der gegenständlichen Medienrechtssache liegt ein am 13. Juni 2014 in der periodischen Druckschrift „Ö*****“ unter der Überschrift „Lisa Marie (10) stürzte aus Fenster“ veröffentlichter Artikel zugrunde, in dem darüber berichtet wurde, dass ein aufgrund der Angaben in der Veröffentlichung identifizierbares zehnjähriges Mädchen neun Meter aus dem Fenster eines Kinderheims gestürzt und schwer verletzt worden sei. Das Kind leide unter einer Entwicklungsstörung mit autistischen Zügen, benötige besondere Fürsorge und Aufmerksamkeit und lebe daher unter der Woche in diesem Kinderheim. Dem Artikel beigefügt war ein lediglich leicht verpixeltes Lichtbild, das das Mädchen mit zahlreichen Verletzungen im Gesicht abbildete.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. Dezember 2014, GZ 91 Hv 78/14b 11, wurde der wegen dieser Veröffentlichung gestellte Antrag der Minderjährigen auf Zahlung einer Entschädigung nach § 7 Abs 1 MedienG abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung (auch) wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 13. Mai 2015, AZ 18 Bs 63/15v, Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache selbst, dass durch die inkriminierte Veröffentlichung der höchstpersönliche Lebensbereich der Antragstellerin in einer Weise erörtert und dargestellt worden sei, die geeignet sei, sie in der Öffentlichkeit bloß zu stellen. Die Medieninhaberin wurde gemäß § 7 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.

In tatsächlicher Hinsicht übernahm das Oberlandesgericht soweit hier von Relevanz die Konstatierungen des Erstgerichts, wonach die Mutter der Minderjährigen, Karin H*****, vor der Veröffentlichung mit einer Mitarbeiterin der Antragsgegnerin über den gesamten ihre Tochter betreffenden Vorfall gesprochen und ihr hiezu ein Interview gegeben habe. Die Informationen aus dem Artikel stammten aus diesem Gespräch. Die Mutter der Antragstellerin habe hiedurch die Interessen ihrer Tochter wahren und die Vernachlässigung der Aufsicht der MA 11 über die ihr anvertraute Antragstellerin anprangern wollen. Zur Veröffentlichung im Artikel übermittelte sie der Journalistin auch das aus der Veröffentlichung ersichtliche Lichtbild des Mädchens, das deren Verletzungen im Gesicht zeigt (ON 11 S 4; ON 24 S 4).

In rechtlicher Hinsicht ging das Berufungsgericht anders als das Erstgericht davon aus, dass weder eine rechtsgültige Zustimmung zur Veröffentlichung vorlag noch eine solche aus den Umständen berechtigt angenommen werden konnte (ON 24 S 14 ff).

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich der Erneuerungsantrag der M***** GmbH, die eine Verletzung des Art 10 MRK darin erblickt, dass das Oberlandesgericht den Ausschlussgrund nach § 7 Abs 2 Z 3 MedienG nicht angenommen hat.

Gemäß § 7 Abs 2 Z 3 MedienG besteht der Anspruch auf Entschädigung wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (Abs 1 leg cit) nicht, wenn nach den Umständen angenommen werden konnte, dass der Betroffene mit der Veröffentlichung einverstanden war. Argumento a minori ad maius gilt dieser Ausschlussgrund jedenfalls auch dann, wenn der Betroffene mit der Veröffentlichung tatsächlich einverstanden war, unabhängig davon, ob dies nach den Umständen angenommen werden konnte ( Rami in WK 2 MedienG § 7 Rz 11; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll MedienG 3 § 7 Rz 29).

Durch § 7 MedienG geschützt wird der höchstpersönliche Lebensbereich als Kernbereich des durch Art 8 MRK gewährten Anspruchs auf Achtung des Privat- und Familienlebens (RIS Justiz RS0122148; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , MedienG 3 § 7 Rz 6 ff). Der Anspruch nach § 7 MedienG soll die erlittene Kränkung für die Veröffentlichung von Informationen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich ausgleichen. Es handelt sich dabei wie schon die Bezeichnung der Rechtsnorm nahelegt um ein höchstpersönliches Recht ( Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , MedienG 3 Vor §§ 6 bis 8a MedienG Rz 32), dh um ein subjektives Recht, das seinem Wesen nach an eine bestimmte Person gebunden ist und charakteristischerweise nicht übertragen werden kann ( Meissel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , ABGB 3 ( Klang ) § 16 Rz 51; vgl zu § 7 MedienG: 15 Os 53/15f; Rami in WK 2 MedienG § 7 Rz 12b; vgl auch § 1393 zweiter Satz ABGB).

Jede (zulässige) Verfügung über eine solche Rechtsposition wie etwa die Zustimmung im Sinn des § 7 MedienG stellt ebenfalls die Ausübung eines höchstpersönlichen Rechts dar ( Edlbacher , Körperliche, besonders ärztliche Eingriffe an Minderjährigen aus zivilrechtlicher Sicht, ÖJZ 1982, 368; Seiss/Raabe Stuppnig , Kinder und ihre Persönlichkeitsrechte im Internet, ZIR 2014, 102; Marous , Stärkung des Schutzes Minderjähriger vor bloßstellender Berichterstattung, EF Z 2015/148; grundsätzlich zu Willenserklärungen in persönlichen Angelegenheiten vgl Gitschthaler , Handlungsfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, ÖJZ 2004, 121 ff).

Für diese gilt wie auch das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat ganz allgemein der Grundsatz, dass sie mit einer gesetzlichen Vertretung unvereinbar sind. Für ihre Ausübung ist vielmehr die natürliche Einsichts und Urteilsfähigkeit erforderlich. Fehlt diese Einsicht, so kann ein höchstpersönliches Recht weder durch gesetzliche Vertreter oder Sachwalter noch durch das Pflegschaftsgericht ersetzt werden (6 Ob 106/03m [wonach sich dies schon begriffsnotwendig aus der Natur des Rechts ergibt]; 5 Ob 94/05t; 7 Ob 355/97z; 1 Ob 222/12x; Edlbacher , Körperliche, besonders ärztliche Eingriffe an Minderjährigen aus zivilrechtlicher Sicht, ÖJZ 1982, 369; Koziol-Welser/Kletecka , Bürgerliches Recht I 14 Rz 625; P. Bydlinski in KBB, § 1002 Rz 13; Seiss/Raabe Stuppnig , Kinder und ihre Persönlichkeitsrechte im Internet, ZIR 2014, 100 ff; Dokalik , „Mein Baby ist ein Star!“ Zum Recht des Kindes am eigenen Bild, FamZ 2006, 4 ff; Marous , Stärkung des Schutzes Minderjähriger vor bloßstellender Berichterstattung, EF Z 2015/148). Die vorliegend fehlende Einwilligung der Minderjährigen konnte daher nicht durch eine Willenserklärung der Kindesmutter substituiert werden.

Soweit die Antragstellerin argumentiert, diese Rechtsansicht hätte „massive Folgen für die Verfolgung von Verletzungen derartiger Rechte“, setzt sie verkürzend die Einwilligung in die Verletzung von Persönlichkeitsrechten mit der Zustimmung zur Verfolgung im Fall deren Verletzung gleich. Die Rechtsdurchsetzung selbst ist nämlich nicht „vertretungsfeindlich“, sie kann nach Rechtsverletzungen an (hier:) Unmündigen durch deren gesetzliche Vertreter erfolgen, auch wenn es um ein Persönlichkeitsrecht geht (6 Ob 106/03m).

Der Erneuerungsantrag bringt weiters vor, die Antragsgegnerin sei einem die Annahme des § 7 Abs 2 Z 3 MedienG nicht ausschließenden Rechtsirrtum unterlegen, weil die Medieninhaberin was im Übrigen so nicht konstatiert wurde aus den „Umständen“ ein rechtsgeschäftlich wirksames Einverständnis abgeleitet habe. Das Verhalten der Kindesmutter habe nämlich eine „Vermutung zum Einverständnis“ begründet.

Die Vermutung des Einverständnisses (§ 7 Abs 2 Z 3 MedienG) muss stets auf einen konkreten Anlass, somit eine konkrete Tatsachengrundlage bezogen sein (RIS Justiz RS0125181; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll , MedienG 3 § 7 Rz 29 f; auch die Materialien beziehen sich in diesem Zusammenhang auf tatsächliche Umstände [EBRV 2 BlgNR 15. GP 31]). Ob das Medium auf Basis dieser konkreten „Umstände“ zulässig ein Einverständnis des Betroffenen annehmen konnte, ist unter Rückgriff auf die Maßfigur des verantwortungsvollen, sorgfältig handelnden, sach- und fachkundigen Journalisten (§ 29 MedienG) zu beurteilen (15 Os 83/10k; Rami in WK 2 MedienG § 7 Rz 12; zum Sorgfaltsmaßstab vgl auch Rami aaO § 29 Rz 9). Dass dieser Sorgfaltsmaßstab im konkreten Fall von Seiten der Medieninhaberin eingehalten worden wäre und durch ihre Mitarbeiter eine gerade im besonders sensiblen Bereich der Bloßstellung der Privatsphäre von Kindern evident notwendige sorgfältige Prüfung und rechtliche Einschätzung des Handelns der Kindesmutter und damit der Frage der Rechtswirksamkeit ihrer „Zustimmung“ erfolgt wäre, lässt sich den nicht angefochtenen (vgl aber RIS Justiz RS0125393 [T1]) Urteilsannahmen aber nicht entnehmen und wird im Erneuerungsantrag im Übrigen auch gar nicht behauptet.

Das Oberlandesgericht hat somit zutreffend den Ausschlussgrund nach § 7 Abs 2 Z 3 MedienG nicht angenommen. Der Erneuerungsantrag war daher gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO als offenbar unbegründet zurückzuweisen.