JudikaturJustiz15Os159/03

15Os159/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Januar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Jänner 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer in der Strafsache gegen Zijad S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Linz vom 5. August 2003, GZ 34 Hv 42/03k-166, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Zijad S***** der Verbrechen (I) der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB, (II) der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und (III) der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB sowie (IV) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er

I.) am 16. Juni 1996 in Steyr Alke M***** mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt oder durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden gleichgeschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er sie von hinten packte, ihr ein ca 30 cm langes Messer gegen den Hals hielt, zu ihr mehrmals sagte "Liebe haben, sonst wehtun" und sie zu Boden brachte;

II.) am 27. Juli 2002 in Linz die am 2. Dezember 1921 geborene Hilda K***** mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihr mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetzte, sie in das Schlafzimmer zerrte, auf das Bett warf, ihre Beine auseinander drückte und sowohl mit den Fingern als auch mit seinem Penis vaginal in sie eindrang, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung zur Folge hatte, zumal Hilda K***** eine Vulva- und Introitusverletzung, eine Schädelprellung und zahlreiche Blutergüsse im Gesichtsbereich erlitt und ihr vier Frontzähne im Oberkiefer ausgeschlagen wurden;

III.) am 27. Juli 2002 in Linz die am 2. Dezember 1921 geborene Hilda K***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod, nämlich durch die im Rahmen der unter Punkt II.) geschilderten Tathandlung getätigte Äußerung "Wenn du Polizei, ich dich töten; wenn du Polizei, dann Sohn töten; wenn du Polizei, dann Tochter tot", zur Unterlassung der Anzeigeerstattung "genötigt", wobei es durch das unmittelbar darauf erfolgte Eintreffen der von Robert F***** verständigten Polizeibeamten beim Versuch blieb;

IV.) am 11. Juli 2003 in Wels Dr. Adelheid K***** durch die Äußerung, er werde sie nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis umbringen, mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

Die auf § 345 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Nach Beginn der Hauptverhandlung am 24. Juni 2003 erklärte der Staatsanwalt, den Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB in eine Anklage und einen Antrag nach § 21 Abs 2 StGB umzuwandeln. Der Verteidiger stellte daraufhin den Antrag, die "Modifikation" des Unterbringungsantrages in eine Anklageschrift nicht zuzulassen und die Hauptverhandlung im Hinblick auf das ihm erst einen Tag vor Beginn der Hauptverhandlung zur Kenntnis gelangte "vorläufige Zwischengutachten des zweiten psychiatrischen Sachverständigen Prim. Univ. Prof. Dr. Haller" zur Ermöglichung besserer Vorbereitung zu vertagen (S 205, 207 f/II). Die Anträge wurden abgewiesen (S 209 f/II).

Der vom Beschwerdeführer aus Z 4 erhobene Einwand, der Staatsanwalt hätte gemäß § 434 Abs 2 StPO nur bis zum Beginn der Hauptverhandlung das Recht gehabt, den Antrag nach § 21 Abs 1 StGB gegen eine Anklageschrift auszutauschen, und das Gericht habe dem Angeklagten die ihm gemäß § 221 StPO zustehende Vorbereitungsfrist abgeschnitten, indem es über die Anklage verhandelt habe, macht keine Verletzung einer mit Nichtigkeit bewehrten und daher von Z 4 erfassten Vorschrift geltend:

Nach § 434 Abs 2 erster Satz StPO steht der Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einer Anklageschrift gleich. Gemäß § 434 Abs 1 erster und zweiter Satz StPO hat das Gericht, wenn es in einem auf Unterbringung einer Person in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB gerichteten Verfahren erachtet, dass der Betroffene wegen der Tat bestraft werden könne, die Parteien hierüber zu hören und über einen allfälligen Vertagungsantrag zu entscheiden.

Aus § 434 Abs 1 erster und zweiter Satz und Abs 2 erster Satz StPO ergibt sich demnach, dass für den Übergang von einem Unterbringungsverfahren zu einem Strafverfahren keine Maßnahme des Staatsanwaltes (wie eine "Modifizierung" des Antrages auf Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB in eine Anklage) erforderlich und zudem keine Frist zur Vorbereitung der weiteren Verteidigung bestimmt ist (vgl Fabrizy StPO9 § 434 Rz 2).

Die in der Beschwerde genannte Regelung des § 221 Abs 1 StPO ist auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Sie betrifft, wie ihr Wortlaut und die erwähnte Gesetzessystematik zeigen, die Vorbereitung auf den Beginn der Hauptverhandlung.

Die Verfahrensrüge aus Z 4 versagt demnach.

Gleiches gilt für das aus Vorbringen aus Z 5, das sich zunächst auf

den genannten Antrag des Verteidigers bezieht.

Aus der "Zulassung" der "Modifikation" des Unterbringungsantrages konnte dem Angeklagten schon im Hinblick auf die angeführten Bestimmungen des § 434 StPO kein Nachteil entstehen, weil das Gericht auch von Amts wegen auf Grund des Unterbringungsantrages nach Anhörung der Parteien ein Strafverfahren führen konnte. Ein Einspruchsrecht gegen eine Anklage sieht das Gesetz in einem solchen Fall der Beschwerde zuwider nicht vor. Im Übrigen bestand ohnedies die Möglichkeit, gegen den Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB auch in Hinsicht auf die darin bezeichnete Anlasstat Einspruch im Sinn der §§ 208 ff StPO zu erheben (Fabrizy StPO9 § 429 Rz 5).

Worin eine Beeinträchtigung der Verteidigung durch die Ablehnung des Antrags auf (sofortige) Vertagung der Hauptverhandlung gelegen sein könnte, ist weder aus der Aktenlage noch aus dem Beschwerdevorbringen zu erkennen. Dem Verteidiger wurde vor dem Zwischenerkenntnis angeboten, "die Verhandlung für die erforderliche Dauer zu unterbrechen, sodass ihm ausreichend Gelegenheit geboten wird, die geänderte Sachlage mit seinem Mandanten eingehend zu erörtern". Der Verteidiger lehnte dies ab, weil - wie er vorbrachte, ohne Anhaltspunkte dafür zu geben - eine Erörterung der Verteidigungsstrategie mit dem Mandanten unter den gegebenen Umständen nicht möglich sei (S 209/II). Zudem wurde die Hauptverhandlung am 24. Juni 2003 ohnedies, wie vom Schwurgerichtshof im Hinblick auf die Vernehmung des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Haller von vornherein vorgesehen (S 210/II), vertagt und erst am 4. August 2003 fortgesetzt (S 27 ff/III).

Am letztgenannten Verhandlungstag brachte der Verteidiger vor, dass die Gutachten der vernommenen Sachverständigen Prim. Dr. Sindermann und Prim. Univ. Prof. Dr. Haller "einander in erheblichen Punkten widersprechen, insbesondere was die Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten beim Tatzeitpunkt 27. Juli 2002 betrifft". Er beantragte die "Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie/Neurologie" zum Beweis dafür, "dass der Angeklagte zu den Tatzeitpunkten 16. Juni 1996 und 27. Juli 2002 zurechnungsunfähig im Sinn des § 11 StGB war" (S 100/III).

Auch durch die Abweisung dieses Antrags (S 101 f/III) wurden Verteidigungsrechte nicht geschmälert (Z 5).

Der Beschwerdeführer räumt zwar ein, dass in der fortgesetzten Hauptverhandlung am 4. August 2003 beide Sachverständige übereinstimmend die Auffassung vertraten, dass er bei den Taten in den Jahren 1996 und 2003 (I., IV.) - aus medizinischer Sicht - zurechnungsfähig war. Soweit er in Ansehung der Taten vom 27. Juli 2002 (II., III.) einen Widerspruch zwischen den Gutachten im Hinblick auf die Frage nach Zurechnungsfähigkeit ins Treffen führt, übergeht er aber die wiederholten Ausführungen des Sachverständigen Prim. Dr. Sindermann, wonach eine der Beweiswürdigung durch die Geschworenen vorbehaltene Beantwortung von Tatfragen dafür entscheidend sei, ob man - wie der Sachverständige Prim. Univ. Prof. Dr. Haller - zur Annahme von Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit gelange (S 87, 89 bis 96/III).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 Z 2 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO). Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.