JudikaturJustiz15Os154/02

15Os154/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. August 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Dachsberger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Walter F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens AZ U 190/95 des Bezirksgerichts Mattighofen gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Antrag des Walter F***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO wird gemäß § 363b Abs 3 StPO Folge gegeben, die Urteile des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 30. Jänner 1997, GZ U 190/95 29, sowie des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 2. Juni 1997, AZ 10 Bl 38/97 (ON 34), werden aufgehoben und die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Gericht erster Instanz verwiesen.

Text

Gründe :

Mit (in Rechtskraft erwachsenem) Straferkenntnis vom 19. Oktober 1995, ZI VerkR 96 10869 1995 Kb, verhängte die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn über Walter F***** wegen der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs 1 StVO gemäß § 99 Abs 1 lit a StVO eine Geldstrafe von 14.000 S und wegen jener nach § 20 Abs 2 StVO gemäß § 99 Abs 3 lit a StVO eine solche von 500 S, weil er am 21. Mai 1995 um 14.35 Uhr seinen PKW Hyundai S Coupe, Kennzeichen *****, auf der Haltberg Gemeindestraße Nr 4076 von Abern, Gemeinde Jeging, in Richtung Munderfing bis Straßenkilometer 1,610 in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und die auf Freilandstraßen erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 20 km/h überschritten hatte.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 30. Jänner 1997, GZ U 190/95 29, wurde Walter F***** (im zweiten Rechtsgang) des Vergehens (richtig: der Vergehen) der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB schuldig erkannt und zu einer unbedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 80 S verurteilt.

Danach hat er am 21. Mai 1995 als Lenker des PKW Hyundai S Coupe mit dem Kennzeichen ***** auf der Haltberg Gemeindestraße bei Kilometer 1,610 dadurch, dass er infolge mangelnder Aufmerksamkeit und überhöhter Geschwindigkeit auf die linke Fahrbahnhälfte geriet und dort mit dem von Hildegard D***** gelenkten PKW kollidierte, wobei Hildegard D***** eine Hüft- und Kopfprellung, Herta M***** ein Hämatom an der linken Brust und Martin F***** eine Schädelprellung mit Bluterguss am Scheitelbein erlitten, die Genannten fahrlässig am Körper verletzt, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhersehen konnte, dass ihm eine Tätigkeit, nämlich das Lenken eines Kraftfahrzeuges bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei.

Der von Walter F***** dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit (§ 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO), Schuld und Strafe gab das Landesgericht Ried im Innkreis mit Urteil vom 2. Juni 1997, AZ 10 Bl 38/97 (ON 34) mit der - für das Erneuerungsverfahren relevanten - Begründung keine Folge, dass nur die zusätzliche Abstrafung durch die Verwaltungsbehörde wegen § 5 Abs 1 StVO konventionswidrig sei, hingegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 19. Oktober 1995 keine Sperrwirkung gegenüber dem gerichtlichen Strafverfahren entfalte und somit die Annahme der Qualifikation (gemeint) nach § 88 Abs 3 81 Z 2) StGB im nachfolgenden gerichtlichen Strafverfahren nicht hindere (S 296, 297).

Mit Erkenntnis vom 30. Mai 2002 (F***** gegen Österreich, Application no 38275/97) sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus, dass eine Verletzung des Art 4 des 7 ZPMRK stattgefunden hat, weil Walter F***** auf Grundlage einer Handlung zunächst von der Verwaltungsbehörde wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss gemäß § 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 lit a StVO bestraft und nachfolgend vom Gericht wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (mit der besonderen Qualifikation nach § 81 Z 2) StGB verurteilt worden war (Z 28 iVm Z 25, 26).

Unter Bezugnahme auf dieses Urteil beantragte Walter F***** am 9. Dezember 2002, gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens anzuordnen.

Rechtliche Beurteilung

Ausgehend von der Entscheidung des EGMR vom 30. Mai 2002 sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) gegeben:

Eine den Teilaspekt der Alkoholisierung erfassende Sperrwirkung ist im vorliegenden Fall dem Erkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 19. Oktober 1995 zuzuerkennen. Denn der EGMR hat mit Blick auf seine, bei der Entscheidung über die Erneuerung zu Grunde zu legenden Rechtsansicht (vgl dazu Reindl, WK StPO Vor §§ 363a c Rz 8) trotz der Tatsache, dass das bezeichnete verwaltungsbehördliche Straferkenntnis der damaligen Rechtslage entsprach, die im seinerzeitigen § 99 Abs 6 lit c StVO eine - inzwischen mit der am 28. Jänner 1997 in BGBl I 16/1997 kundgemachten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 1996, G 9/96 (VfSlg 14.696/1996 = JBl 1997, 447 = ZVR 1997/90) als verfassungswidrig beseitigte - Doppelbestrafung vorsah, ohne ausdrückliche Bezeichnung, aber aus der Begründung entnehmbar (vgl Reindl aaO § 363a Rz 5) die nachfolgende strafgerichtliche Verurteilung des Walter F***** wegen alkoholqualifizierter Körperverletzung (§ 88 Abs 3 [§ 81 Z 2] StGB) als konventionswidrig iSd Art 4 7. ZPMRK erachtet (abermals Z 28 iVm Z 26). Da das in den Urteilen des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 30. Jänner 1997 und des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 2. Juni 1997 unbeachtet gebliebene Ne bis in idem Verbot ein auf verfassungsrechtlicher Ebene stehendes Verfolgungshindernis darstellt (abermals 15 Os 18/02), übt die vom EGMR festgestellte Konventionsverletzung einen für den Verurteilten nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidungen aus (vgl Reindl, WK StPO § 363a Rz 8; Kienapfel Höpfel AT10 E 8 RN 55e).

Dem Antrag des Walter F***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO war daher Folge zu geben, die Urteile des Bezirksgerichtes Mattighofen sowie des Landesgerichtes Ried im Innkreis waren aufzuheben und die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Gericht erster Instanz zu verweisen.

Im erneuerten Verfahren wird zu beurteilen sein, ob Walter F***** beim gegenständlichen Verkehrsunfall den Tatbestand des § 88 Abs 1 StGB - im Fall mehrerer Opfer mehrfach - erfüllt hat, weil sich das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 19. Oktober 1995 - soweit vom Ausspruch des EGMR über eine Konventionsverletzung umfasst (zur gegenständlich nicht relevierten Verwaltungsstrafe wegen Geschwindigkeitsüberschreitung siehe hingegen EGMR, Oliveira gegen die Schweiz, ÖJZ MRK 1999/3) - nur auf das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, nicht jedoch auf die Verletzung eines anderen Verkehrsteilnehmers bezieht (vgl 15 Os 18/02, EvBl 2002/230). Hiebei werden insbesondere die Fragen der Dauer der Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit der beim Unfall Verletzten sowie des (unter Ausklammerung der Alkoholisierung, jedoch unter Einbeziehung der Geschwindigkeitsüberschreitung zu beurteilenden Grades des Verschuldens 88 Abs 2 Z 4 StGB) neu zu prüfen sein.

Rechtssätze
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