JudikaturJustiz15Os147/97

15Os147/97 – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Oktober 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Oktober 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Rohan als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Linz zum AZ 18 Vr 1438/97 anhängigen Strafsache gegen Heinrich W***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 3.September 1997, AZ 7 Bs 260/97 (GZ 18 Vr 1438/97-19), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Heinrich W***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Heinrich W***** befindet sich seit 8.August 1997 aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und Ausführungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit b und d StPO in Untersuchungshaft. Er ist dringend verdächtig, das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB sowie die Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB dadurch begangen zu haben, daß er am 5.August 1997 in Linz Karin H***** eine sehr kräftige Ohrfeige versetzte (vgl 23, 37, 51, 80, 97, 100), wodurch sie eine starke Rötung und leichte Schwellungen im Gesicht erlitt (23), sodann durch die Äußerung: "Schleich di, sunst stich ich zua!" zum Zurückweichen nötigte, wobei er seiner Drohung durch Vorhalten eines Küchenmessers Nachdruck verlieh, und Volkmar H***** durch die Äußerung: "Di stich i ab ! Di dawisch i a !" mit dem Tode gefährlich bedroht hat, um diesen in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Mit dem oben bezeichneten Beschluß vom 3.September 1997 gab das Oberlandesgericht Linz einer vom Beschuldigten gegen den die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis vorläufig 19.September 1997 anordnenden Beschluß des Untersuchungsrichters (ON 10) erhobenen Beschwerde (ON 11) nicht Folge und sprach aus, daß die Untersuchungshaft aus den angeführten Haftgründen bis längstens 3. November 1997 fortzusetzen sei. Der Gerichtshof zweiter Instanz bejahte sowohl das Vorliegen des dringenden Tatverdachts als auch das Fortbestehen der - angesichts der Intensität nicht substituierbaren - herangezogenen Haftgründe; ferner steht nach Ansicht des Beschwerdegerichtes - auch unter Berücksichtigung der Unbescholtenheit des Beschuldigten - die bisherige Haft von rund einem Monat weder zur Bedeutung der Sache noch zu der "selbst bei Bedacht auf die §§ 37, 43, 43 a StGB" im Fall eines Schuldspruchs zu erwartenden Strafe außer Verhältnis.

In der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde, die den dringenden Tatverdacht nicht bekämpft (§ 3 Abs 1 GRBG), erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit deshalb verletzt, weil nach seiner Meinung Haftgründe nicht vorliegen oder ihr Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden könnte und die über ihn "verhängte und fortgesetzte" Untersuchungshaft sowohl zur Bedeutung der Sache als auch zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stehe (ON 22).

Die Beschwerde ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Voranzustellen ist, daß der Beschuldigte den Beschluß des Untersuchungsrichters vom 8.August 1997 auf Verhängung der Untersuchungshaft (ON 5) unbekämpft gelassen (ON 4) und die Beschwerde (ON 11) ausdrücklich nur gegen den Fortsetzungsbeschluß (ON 10) ergriffen hat, sodaß Gegenstand der Grundrechtsbeschwerde nur die Beschwerdeentscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz sein kann, die jedoch dem Gesetz entspricht.

Denn allein schon Art und Ablauf der drei Gewalt- und Aggressionsdelikte, die dem bald 50 Jahre alten Beschwerdeführer zur Last gelegt werden, welche mit grundloser Störung der Nachtruhe fremder Menschen durch "Sturmläuten" an deren Wohnungstüren begonnen wurden und die - deswegen zur Rede gestellt - nach einer vorsätzlichen Körperverletzung nacheinander in wörtliche und tätliche Bedrohungen zweier Personen jeweils mit einem gezückten Küchenmesser von 12 cm Klingenlänge ausarteten, wobei das Gehabe des Festgenommenen die einschreitenden Sicherheitsbeamten zu entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen veranlaßten (vgl 23 unten bis 24 oben), charakterisierten ihn - trotz bisheriger Unbescholtenheit und erstmaligem Ver- spüren eines Haftübels - als einen nicht ungefährlichen, aggressiven und zur Wiederholung derartiger Straftaten neigenden Menschen, dessen Persönlichkeitsbild auch das grob ungehörige Verhalten gegenüber der vernehmenden Untersuchungsrichterin beleuchtet (vgl 62). Aus diesen bestimmten und - der Beschwerde zuwider - aktenmäßig gedeckten Tatsachen leiteten die Richter des Oberlandesgerichtes zu Recht die erhöhte Gefahr ab, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens neuerlich eine strafbare Handlung der inkriminierten Art mit nicht bloß leichten Folgen begehen (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO).

Mit dem Hinweis des Beschwerdeführers hinwieder, er sei Neuroleptiker und habe zur Tatzeit seine Medikamente nicht eingenommen, worauf unter Umständen sein Fehlverhalten zurückzuführen sei, liefert er jedoch selbst ein weiteres gewichtiges Argument für seine latente Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit in solchen, jederzeit wieder möglichen Situationen.

Am Bestehen dieses Haftgrundes vermögen daher die Beschwerdeeinwände nichts zu ändern, wonach aus einem "einmaligen" Fehlverhalten nicht auf einen "Hang" oder auf eine "Tendenz" zur Begehung solcher Delikte geschlossen werden könne; der Beschuldigte habe sich gegenüber den Polizisten in keiner Weise aggressiv verhalten; die Berücksichtigung der polizeilichen Vormerkungen (vgl 15) sei aus dem Blickwinkel der Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK rechtsstaatlich bedenklich. Da der Gerichtshof II.Instanz auf die aktenkundige Unbescholtenheit des Beschuldigten ausdrücklich hingewiesen und die in Rede stehenden polizeilichen Vormerkungen (wegen gefährlicher Drohung, Sachbeschädigung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt) lediglich zusätzlich und illustrativ zur Persönlichkeitsbeschreibung herangezogen hat, trifft der Beschwerdevorwurf einer Verletzung des Objektivitätsgebotes (§ 3 StPO) und der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) nicht zu.

Ob darüber hinaus auch noch der vom Beschwerdegericht angenommene Haftgrund der Ausführungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit d StPO) gegeben ist, kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren dahingestellt bleiben, weil bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt.

Ebensowenig ist an der (bekämpften) Verhältnismäßigkeitsprüfung des Beschwerdegerichtes zu rütteln. Denn bei gegebenem dringenden Tatverdacht, mehrere strafbare Handlungen verübt zu haben, von denen das Verbrechen der schweren Nötigung mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und das (aktuelle) Vergehen der gefährlichen Drohung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht sind (die Beschwerdeausführungen konzentrieren sich insoweit bloß auf die Körperverletzung), steht weder die knapp einmonatige Untersuchungshaft noch deren beschlußmäßige Fortsetzung zur Bedeutung der Sache oder zu der im Falle eines (bei tatsächlicher Anklageerhebung durch den Staatsanwalt) Schuldspruchs möglicherweise zu erwartenden Sanktion außer Verhältnis. Kann doch nach Lage des besonderen Falles keineswegs von vorneherein mit objektiver Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, daß es aus spezial- oder generalpräventiven Gründen nicht der Verhängung einer zumindest teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe bedarf.

Das in der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur enthaltene Vorbringen geht nicht nur unzulässig über den Inhalt der Grundrechtsbeschwerde hinaus, sondern findet auch in den im § 180 Abs 5 StPO - wie der Beschwerdeführer zutreffend erkennt (vgl Foregger/Kodek StPO6 Anm IV zu § 180) - taxativ aufgezählten gelinderen Mitteln keine gesetzliche Deckung. Im übrigen sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, "die Bestimmung des § 180 (5) StVO [gemeint: StPO] auf seine Verfassungsmäßigkeit beim Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen".

Da somit die Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz mit dem Gesetz im Einklang steht, Heinrich W***** sohin in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde, war dessen Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen).