JudikaturJustiz15Os104/08w

15Os104/08w – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. August 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. Lässig, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitete Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Harammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Mag. Andreas R***** wegen Vergehens des Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB, AZ 285 Ur 42/07d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 23. April 2008, AZ 21 Bs 41/08w, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger und des Beschuldigten Mag. R***** zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 285 Ur 42/07d des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 23. April 2008, AZ 21 Bs 41/08w, § 516 Abs 2 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 5 StPO) die Entscheidung über den Antrag des Doko R***** aufgetragen.

Text

Gründe:

Aufgrund der Anzeige des Dragomir R***** (ON 2 in ON 5) wurden im Jahr 2007 beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 285 Ur 42/07d, Vorerhebungen gegen Rechtsanwalt Mag. Andreas R***** wegen §§ 12, 15, 299; 146, 147 Abs 2 StGB geführt.

Soweit hier von Relevanz bestand der Verdacht, Mag. Andreas R***** habe als Wahlverteidiger seinem Mandanten Doko R***** im Verfahren AZ 213 Ur 239/05t des Landesgerichts für Strafsachen Wien unter der Vorspiegelung, gegen Erlag einer Kaution wäre dessen Enthaftung möglich, 20.000 Euro herausgelockt, die ihm von dessen Cousin Dragomir R***** überbracht worden seien. Trotz unterbliebener Enthaftung des Doko R***** habe Mag. Andreas R***** unter Aufrechnung mit seinem Honoraranspruch die Rückstellung der Kaution verweigert und diesem eine mit 4. Jänner 2007 datierte Kostenaufstellung übermittelt, die neben der auf die Vollmachtsvorlage und Verrichtung zweier Haftverhandlungen entfallenden Kosten einen Vergütungsanspruch für insgesamt 29 „Kommissionen Landesgericht für Strafsachen Wien" (Gespräche mit Doko R***** in der Justizanstalt Josefstadt im Zeitraum 21. August 2006 bis 3. Jänner 2007) zu je 543,60 Euro zuzüglich USt und je 4 Euro an Barauslagen umfasst habe. Tatsächlich habe Mag. Andreas R***** in zwei Fällen in der Justizanstalt Josefstadt auf die Vorführung des Untersuchungshäftlings Doko R***** verzichtet; im Übrigen sei eine derartige Vielzahl von Besuchen, die sich überwiegend auf die Frage nach dem Befinden des Häftlings beschränkt haben, nicht erforderlich gewesen.

Nach gerichtlicher Vernehmung der Zeugen Doko R***** (ON 15), Dragomir R***** (ON 10), Jasmina L***** (ON 31), Staatsanwalt Mag. Friedrich K***** (ON 29) und Richterin Mag. Karin B***** (ON 33) sowie verantwortlicher Abhörung des Beschuldigten Mag. Andreas R***** (ON 4) erklärte die Staatsanwaltschaft Wien am 9. Oktober 2007, gemäß § 90 Abs 1 StPO aF (auch) hinsichtlich dieses Vorwurfs keinen Grund zur weiteren Verfolgung des Mag. Andreas R***** zu finden, „Totaleinstellung" (S 3k in ON 1).

Der davon als Privatbeteiligtenvertreter verständigte Rechtsanwalt Dr. Karl B***** überreichte namens seines Mandanten Doko R***** am 21. Dezember 2007 persönlich bei Gericht einen Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung nach § 48 Abs 1 Z 1 StPO aF (ON 35), den die Untersuchungsrichterin am 24. Dezember 2007 der Ratskammer des Landesgerichts für Strafsachen Wien zur Entscheidung vorlegte (ON 36). In der Folge wurde der Akt „Zur Einsicht in ON 35" der Staatsanwaltschaft Wien übermittelt, die unter Anschluss einer Stellungnahme „gemäß § 195 StPO" die Vorlage „des Fortsetzungsantrages des Dr. B***** für Doko R*****" an das Oberlandesgericht Wien im Wege der Oberstaatsanwaltschaft Wien veranlasste.

Mit Beschluss vom 23. April 2008, AZ 21 Bs 41/08w (ON 37 des Ermittlungsaktes), gab das Oberlandesgericht Wien dem „Antrag auf Fortführung des Verfahrens gegen Mag. Andreas R***** wegen §§ 146, 147 Abs 2 StGB" statt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz insofern nicht im Einklang, als das Oberlandesgericht Wien zu dieser Entscheidung nicht berufen war.

§ 48 Abs 1 Z 1 StPO aF berechtigte den Verletzten, der erklärte, sich dem Verfahren anzuschließen, nach Zurücklegung der Anzeige durch die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung bei der Ratskammer einzubringen, die über diesen Antrag nach allenfalls gepflogenen Erhebungen Beschluss zu fassen hatte.

Nach der Übergangsbestimmung des § 516 Abs 2 dritter Satz StPO obliegt die Entscheidung über sonstige Anträge (dh solche Anträge, die sich nicht auf zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Strafprozessreformgesetzes anhängige Vorerhebungen beziehen; für diese gilt § 516 Abs 2 erster und zweiter Satz StPO), für deren Erledigung die Ratskammer gemäß den durch das Strafprozessreformgesetz und das Strafprozessreformbegleitgesetz I geänderten Verfahrensbestimmungen zuständig wäre, an ihrer Stelle dem Landesgericht als Senat von drei Richtern gemäß § 31 Abs 5 StPO, das nach den neuen Verfahrensbestimmungen (hier §§ 195 f StPO) vorzugehen hat.

Das bedeutet, dass - auch - der in der Übergangsphase für die Entscheidung über einen vor dem 1. Jänner 2008 eingebrachten Subsidiarantrag nach § 48 Abs 1 Z 1 StPO aF nunmehr ausdrücklich zuständige Drei-Richter-Senat des Landesgerichts die (übrigen) Bestimmungen der §§ 195 f StPO anzuwenden hat, zumal die Einleitung der Voruntersuchung ausnahmslos nicht mehr möglich ist (vgl auch den Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 19. Februar 2008 zu einzelnen in der Praxis aufgetretenen Fragen und Problemkreisen seit Inkrafttreten der Strafprozessreform, GZ BMJ-L590.000/0012-II 3/2008, dort Punkt B./1./).

Dies meint auch der Bericht des Justizausschusses zur Änderung des § 516 StPO durch das StRÄG 2008, BGBl I Nr 2008/109, wonach insbesondere auch Subsidiaranträge „nunmehr sogleich in das neue Verfahrenssystem übergeleitet werden sollen" (331 BlgNr. XXIII. GP 3), der sich in diesem Punkt auf den letzten Halbsatz des § 516 Abs 2 dritter Satz StPO über die Anwendung der neuen Verfahrensbestimmungen bezieht.

Die Entscheidung über den gegenständlichen, vor dem 1. Jänner 2008 eingebrachten Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung fällt demnach in die Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Senat von drei Richtern, das nach den neuen Verfahrensbestimmungen vorzugehen hat.

Da nicht auszuschließen ist, dass sich die Gesetzesverletzung zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, seinem Erkenntnis konkrete Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien aufzuheben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Entscheidung über den Antrag aufzutragen.

Der im Akt erliegende, am 24. Jänner 2008 bei der Staatsanwaltschaft eingebrachte Antrag des Doko R***** auf Fortführung des Verfahrens (ON 2 in ON 38) wird dadurch obsolet.