JudikaturJustiz15Os100/98

15Os100/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Juni 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Juni 1998 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Schmucker, Dr.Zehetner und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kolarz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ibrahim N***** wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck als Ratskammer vom 2.Juli 1997, AZ 20 BNs 17/97, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 2.Dezember 1997, AZ 7 Bs 314/97, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tiegs, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Durch die Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck als Ratskammer vom 2. Juli 1997, AZ 20 BNs 17/97, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 2.Dezember 1997, AZ 7 Bs 314/97, wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 62 StGB iVm Art 4 Abs 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über die nebeneinanderliegenden Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung während der Fahrt, BGBl Nr 472/1976, verletzt.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den irakischen Staatsangehörigen Ibrahim N***** am 7.Mai 1997 Strafantrag wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB, weil er am 23.April 1997 am Grenzübergang Brenner den durch Lichtbilderaustausch verfälschten schwedischen Reisepaß des Hani Ebn Nasser S*****, Nr. 43551428, sohin eine ausländische (zu ergänzen: öffentliche) Urkunde, die inländischen öffentlichen Urkunden durch Gesetz gleichgestellt ist, im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich seiner Identität, gebraucht hatte, indem er sich damit gegenüber den österreichischen Zollwachebeamten auswies (ON 3 des Vr-Aktes).

Da der zuständige Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck die Ansicht vertrat, daß die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat keine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO), holte er die Entscheidung der Ratskammer ein (3 des Antrags- und Verfügungsbogens), welche mit Beschluß vom 2.Juli 1997, AZ 20 BNs 17/97 (= ON 4 des Vr-Aktes), das Verfahren gemäß § 486 Abs 3 StPO einstellte, wobei sie von folgender Verdachtslage ausging:

Ibrahim N***** reiste am 23.April 1997 mit dem Zug EC 84, aus Italien kommend, zum Brenner und wollte gegen 16 Uhr nach Österreich einreisen. Bei der von den österreichischen Zollwachebeamten im fahrenden Zug von Franzensfeste bis zum Brenner (sohin auf italienischem Staatsgebiet) durchgeführten ambulanten Einreisekontrolle wies er sich gegenüber dem österreichischen Zollwachebeamten BI St***** mit dem total verfälschten schwedischen Reisepaß, lautend auf Hani Ebn Nasser S***** mit der Nr. 43551428, zum Beweis seiner Identität aus. Er wurde jedoch an der Grenze zurückgewiesen und ihm die Einreise nach Österreich untersagt.

Die Ratskammer vertrat in ihrem Beschluß die Rechtsansicht, daß das dem Strafantrag zugrundeliegende Verhalten des Beschuldigten als Auslandstat eines Ausländers zu beurteilen sei, die - weil keiner der in den §§ 64, 65 StGB taxativ aufgezählten Fälle gegeben und eine analoge Anwendung dieser Regelungen nicht zulässig sei - nicht der inländischen Gerichtsbarkeit unterliege; der im Ausland durch einen Ausländer begangene Gebrauch einer falschen Urkunde begründe nämlich nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (RZ 1997/34) selbst dann keine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung, wenn - wie vorliegend - die falsche Urkunde einem österreichischen Beamten zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache vorgelegt werde.

Der dagegen von der Staatsanwaltschaft erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Innsbruck am 2.Dezember 1997, AZ 7 Bs 314/97 (= ON 8 des Vr-Aktes), nicht Folge. Es trat der Rechtsansicht der Ratskammer im wesentlichen bei, hob aber besonders hervor, daß das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über die nebeneinanderliegenden Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung während der Fahrt, BGBl Nr 472/1976, die Zugsstrecke zwischen Franzensfeste und Brenner keineswegs zu österreichischem Staatsgebiet erkläre und daher - anders als das zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn abgeschlossene (ähnliche) Abkommen über die Grenzabfertigung im Straßen- und Schiffsverkehr, BGBl Nr 794/1992 - eine ausdrückliche Erweiterung der inländischen Gerichtszuständigkeit nicht enthalte.

Rechtliche Beurteilung

Die bezeichneten Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht stehen - wie der Generalprokurator in seiner dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Beide Gerichte verkennen nämlich, daß das erwähnte zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik abgeschlossene Abkommen (ebenso wie jenes zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn) sehr wohl eine Ausweitung der inländischen Gerichtsbarkeit vorsieht. Gelten doch gemäß dessen Artikel 4 Abs 2 Zuwiderhandlungen, die in der "Zone" - das ist gemäß Art 9 Abs 1 erster Satz der im Zusammenhang mit dem oben angeführten Abkommen (Art 2 Abs 4) abgeschlossenen Vereinbarung zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Italienischen Republik, BGBl Nr 471/1985, im aktuellen Fall die "Strecke zwischen den Bahnhöfen Innsbruck Hauptbahnhof und Fortezza/Franzensfeste" - gegen die (ua) den Grenzübertritt von Personen regelnden Rechtsvorschriften des Nachbarstaates verübt werden, als im Nachbarstaat (hier: auf dem Staatsgebiet der Republik Österreich) begangen.

Daß es sich - wie der Gerichtshof zweiter Instanz an sich zutreffend erkennt - bei Vorlage eines verfälschten Reisepasses in der "Zone" gegenüber einem österreichischen Grenzwacheorgan anläßlich des bevorstehenden Grenzübertritts nach Österreich um ein Zuwiderhandeln gegen den Grenzübertritt von Personen regelnde Rechtsvorschriften der Republik Österreich gehandelt hat - demzufolge die Tat als in Österreich begangen anzusehen ist und somit für die strafgerichtliche Verfolgung der dem Beschuldigten Ibrahim N***** zur Last gelegten Tat die österreichischen Justizbehörden zuständig waren -, ergibt sich schon daraus, daß der Genannte durch sein inkriminiertes Verhalten auch gegen die (zur Tatzeit geltende) Regelung des § 2 Abs 1 Fremdengesetz, BGBl Nr 838/1992 idF BGBl Nr 505/1994, verstoßen hat, wonach Fremde für die Einreise in das Bundesgebiet einen gültigen, dh unter anderem die Identität des Inhabers zweifelsfrei wiedergebenden (§ 1 Abs 4 leg cit) Reisepaß benötigen.

Aus den dargelegten Gründen war daher der Beschwerde spruchgemäß Folge zu geben. Da die bekämpften Entscheidungen dem Beschuldigten zum Vorteil gereichten, muß es mit der bloßen Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.