JudikaturJustiz14Os101/17k

14Os101/17k – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer in der Strafsache gegen Günter H***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. Juli 2017, GZ 125 Hv 7/17s 48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Günter H***** des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er von zumindest Ende 2012 bis November 2015 in W***** gegen seine am 16. September 2010 geborene Stieftochter K***** U***** durch fortdauernde körperliche Misshandlungen, indem er ihr mehrmals wöchentlich Ohrfeigen versetzte und sie würgte, „sowie durch psychische Gewalt, indem er ihr bei einer Gelegenheit in Aussicht stellte, ihr 'das Gesicht zu brechen', ihr befahl in der Ecke zu stehen bzw ihr verbot, mit den Spielsachen ihrer Schwestern zu spielen“, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die Tat gegen eine unmündige Person begangen und die Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt hat.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die gegen die Konstatierungen zur längere Zeit fortgesetzten Gewaltausübung gerichtete

Tatsachenrüge (Z 5a) bekämpft einerseits mit dem Verweis auf die Aussagen der Zeugin Romana H*****, das Opfer nur fünf Mal „komplett alleine“ mit dem Angeklagten gelassen zu haben (ON 47 S 16), sowie der Zeugin Mag. Petra T*****, es habe im Zeitraum 2012 bis 2015 drei Gefährdungsmeldungen gegeben (ON 47 S 18), weiters auf die Ausführungen der Sachverständigen Mag. Tanja G***** zur Frage der Häufigkeit der vom Opfer geschilderten Angriffe (ON 47 S 24 f) und auf die Verantwortung des Angeklagten, andererseits mit der Behauptung, die Eignung der Aussagen des Opfers für die getroffenen Feststellungen sei zu bezweifeln, die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung, ohne erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Urteilsannahmen zu wecken. Nur über dieser Schwelle liegende Bedenken sind aber Maßstab des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes, will doch die Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden (also schuld- oder subsumtionserheblichen) Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung – im Übrigen durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiserwägungen –verhindern (RIS Justiz RS0119583

,

RS0118780).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken dass Gewaltausübung iSd § 107b Abs 2 StGB einerseits körperliche Misshandlungen einer anderen Person (erster Fall), andererseits vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108 und 110 StGB (zweiter Fall) umfasst.

Der erste Fall setzt (schon nach seinem Wortlaut) eine Einwirkung auf den Körper (und nicht bloß auf die Psyche) des Opfers voraus (vgl Winkler SbgK § 107b Rz 35; s auch Rami in WK 2 StGB § 115 Rz 10), wobei dolus eventualis in Bezug auf die körperliche Misshandlung sowie die längere Zeit hindurch fortgesetzte Gewaltausübung genügt.

Der zweite Fall des § 107b Abs 2 StGB umfasst auch psychische Einwirkungen auf das Opfer, wenn sie als strafbare Handlungen gegen Leib und Leben oder die Freiheit (mit Ausnahme der §§ 107a, 108 und 110 StGB) zu qualifizieren wären. Der Vorsatz des Täters muss daher sowohl dem Tatbestand des jeweiligen Anknüpfungsdelikts entsprechen, als auch darauf gerichtet sein, längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt auszuüben (13 Os 71/12h [13 Os 72/12f], 13 Os 148/15m; Fabrizy , StGB 12 § 107b Rz 6; Winkler SbgK § 107b Rz 38, 112 bis 114; Leukauf/Steininger/Tipold , StGB 4 § 107b Rz 9; s auch RIS Justiz RS0128942).

Während demnach der Misshandlungsbegriff des § 107b Abs 2 erster Fall StGB Ohrfeigen, Schläge gegen den Körper, das Herumstoßen und Würgen des Opfers und das Werfen „mit Wucht“ gegen ein Bett (vgl die Konstatierungen US 6) umfasst, fallen Drohungen, Erniedrigungen und sonstige Ge- oder Verbote (hier: die Ankündigungen, dem Opfer „das Gesicht zu brechen“ und seiner Mutter „etwas anzutun“, etwa sie zu töten oder mit einem Messer anzugreifen; die Befehle, längere Zeit „in der Ecke“ zu stehen oder das Kinderzimmer nicht zu verlassen [US 5 f]), nur dann in den Gewaltbegriff des § 107b Abs 2 StGB, wenn sie als strafbare Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit (mit Ausnahme solcher nach §§ 107a, 108 und 110 StGB) zu qualifizieren wären, wozu die angefochtene Entscheidung jedoch keine Festellungen enthält.

Da (schon) die Konstatierungen zu längere Zeit hindurch fortgesetzten körperlichen Misshandlungen (US 6 f, 19) den Schuldspruch tragen, bestand zu einem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO kein Anlass.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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