JudikaturJustiz13Os27/21a

13Os27/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Juni 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Pauritsch in der Strafsache gegen Janis K***** wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 3. Dezember 2020, GZ 25 Hv 52/20a 24, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Janis K***** mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (I) und eines solchen Verbrechens nach § 114 Abs 1, Abs 4 erster Fall FPG (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er vom 18. August 2020 bis zum 25. August 2020 in N***** und andernorts als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) von anderen Mitgliedern dieser Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise (US 3 und 5) von Fremden, die über keine aufrechte Einreise- oder Aufenthaltsbewilligung für den EU- oder den Schengenraum verfügten, in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert, sich und die kriminelle Vereinigung durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er, als Fahrer fungierend, Fremde, die von Kroatien über Ungarn oder Slowenien nach Österreich und zum Teil weiter nach Deutschland oder in andere Länder Westeuropas gebracht wurden, jeweils auf einer Teilstrecke (US 3) mit einem Pkw beförderte, und zwar

(I) je in Bezug auf mindestens drei Fremde

1) von Ungarn nach Österreich in drei Fahrten insgesamt achtzehn Fremde und

2) innerhalb von Kroatien in vier (US 4) Fahrten insgesamt zwanzig Fremde, sowie

(II) innerhalb von Kroatien in einer Fahrt zwei Fremde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Nach den Feststellungen des Erstgerichts (US 3 bis 5 und 8) wurde von Mittätern eine auf Dauer angelegte Vereinigung von mehr als zwei Personen gegründet, die darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung über längere Zeit hindurch in arbeitsteiliger und organisierter Form im EU-Raum nicht aufenthaltsberechtigte Personen entgeltlich aus Kroatien über Ungarn oder Slowenien nach Österreich und zum Teil weiter nach Deutschland und Westeuropa gebracht werden. Österreich war teilweise das Endziel, teilweise das Durchreiseziel dieser Fahrten. Der Angeklagte und sein Freund Peter M***** wurden von einem Mitglied der Vereinigung als Fahrer angeworben. Vor dem 18. August 2020 schloss sich der Angeklagte der Gruppierung an, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Seine Aufgabe innerhalb der Vereinigung war der Transport von im EU-Raum nicht aufenthaltsberechtigten Personen jeweils auf einer Teilstrecke. Im Auftrag der Vereinigung und im Rahmen deren krimineller Ausrichtung wurde der Angeklagte zunächst als Fahrer für Teilstrecken innerhalb Kroatiens eingesetzt und beförderte er die von I/2 und II umfassten Personen „vermutlich in die Nähe der ungarischen Grenze“, wo sie von Mittätern nach Österreich gebracht oder über Österreich weitertransportiert wurden. Die jeweiligen Orte der Abholung und die Zielorte wurden ihm von seinem Auftraggeber per Mobiltelefon mitgeteilt. In der Folge wurde der Angeklagte für die Teilstrecken von Ungarn nach Österreich, und zwar jeweils bis nach Graz, als Fahrer eingesetzt und er beförderte die von I/1 umfassten Personen. Der Angeklagte wusste, dass die beförderten Personen über keine Einreise- und Aufenthaltsberechtigung für den EU- oder den Schengenraum verfügten und er wollte die rechtswidrige Einreise oder Durchreise der Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union fördern. Er hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, diese Transporte als Teil einer auf längere Zeit angelegten, aus mehr als zwei Personen bestehenden Gruppierung durchzuführen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, illegale Grenzübertritte von Fremden nach Österreich oder in andere europäische Staaten zu fördern.

[5] Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse (Sanktionsfragen werden nicht angesprochen) – über schuld- oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS-Justiz RS0106268).

[6] Des Weiteren ist eine Mängelrüge nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie die Gesamtheit der Entscheidungsgründe berücksichtigt (RIS-Justiz RS0119370).

[7] Diesen Anfechtungskriterien wird die Mängelrüge nicht gerecht:

[8] Ausgehend von den eingangs zitierten Urteilskonstatierungen zu den tatplangemäß in Etappen durchgeführten Schlepperfahrten mit dem jeweiligen Zielland oder Transitland Österreich spricht der zu I/2 und II erhobene Einwand, die Feststellung, wonach der Angeklagte die Fremden innerhalb Kroatiens beförderte und sie „vermutlich jeweils in die Nähe der ungarischen Grenze“ brachte (US 4), sei undeutlich (Z 5 erster Fall), infolge unterbliebener Erörterung der vom Angeklagten mit Rijeka, Zadar und Zagreb angegebenen Zielorte seiner Fahrten (ON 15 S 55 iVm ON 23 S 17 und ON 23 S 7) und der diesbezüglichen Aussage des Zeugen AI Andreas S***** (ON 23 S 15) unvollständig (Z 5 zweiter Fall), mit jener Passage der Urteilsbegründung, wonach die Fahrten innerhalb Kroatiens „zum Teil an die ungarische Grenze führten“ (US 8), im Widerspruch stehend (Z 5 dritter Fall) sowie offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), keine entscheidende Tatsache an. Gleiches gilt für die Kritik an der Urteilspassage (US 4), wonach die Fremden „sodann von unbekannten Mittätern nach bzw über Österreich weitergeführt oder -transportiert wurden“ (zum Ganzen RIS-Justiz RS0127813).

[9] In Bezug auf I und II behauptet die Mängelrüge Undeutlichkeit der Feststellungen zur „Frage, wer in die angeblich kriminelle Vereinigung eingebunden war“. Indem sie dabei die eingangs dargestellten Konstatierungen vernachlässigt, orientiert sie sich nicht an der Gesamtheit der – im Übrigen keineswegs undeutlichen – Entscheidungsgründe (siehe aber RIS-Justiz RS0099425 [T13]).

[10] Der Vorwurf offenbar unzureichender Begründung der Feststellungen zum Vorliegen einer kriminellen Vereinigung, zu deren Ausrichtung und zur Tatbegehung durch den Angeklagten als Mitglied einer solchen lässt die Gesamtheit der diesbezüglichen – (eingehend und willkürfrei) aus einer Vielzahl von Beweisergebnissen (insbesondere den Angaben der Zeugen S***** und der Geschleppten Yasser Mi***** und Azedin Ö*****, den Auswertungsergebnissen der Mobiltelefone des Angeklagten sowie dessen Angaben zu seinem Auftraggeber und den Auftragsmodalitäten) argumentierenden – Urteilserwägungen (US 5 bis 11) unberücksichtigt (erneut RIS-Justiz RS0119370).

[11] Soweit die Rüge über das beantwortete Vorbringen hinaus überhaupt einen Konnex zu schuld- oder subsumtionsrelevanten Umständen erkennen lässt, wendet sie sich mit der eigenständigen Bewertung einzelner Textpassagen der Verantwortung des Angeklagten und eigenen Beweiswerterwägungen zu isoliert hervorgekehrten Verfahrensergebnissen, aus denen sie für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen ableitet als das Erstgericht, nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[12] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) reklamiert zu I/2 und II das Fehlen inländischer Gerichtsbarkeit, weil das Erstgericht in Bezug auf die „Binnenschleppungen in Kroatien“ keine Verletzung österreichischer Interessen im Sinn des § 114 Abs 7 FPG „festgestellt“ habe. Damit unterlässt sie die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit des insoweit relevanten Urteilssachverhalts (RIS-Justiz RS0099810). Diesem zufolge war Österreich teils das Endziel, teils das Transitziel der jeweiligen Schlepperfahrten des auf Teilstrecken innerhalb Kroatiens eingesetzten Angeklagten (US 3 ff). Dass aber die Annahme inländischer Gerichtsbarkeit nach § 114 Abs 7 FPG (unter anderem) begründet wird, wenn eine Schleppung (wie hier) nach oder durch Österreich erfolgen soll (RIS-Justiz RS0131529), gesteht die Rüge (zutreffend) selbst zu.

[13] Das Tatbestandsmerkmal des „Förderns“ der „rechtswidrigen Einreise oder Durchreise“ im Sinn des § 114 Abs 1 FPG umfasst in objektiver Hinsicht jede Leistung, die dem Geschleppten den rechtswidrigen Grenzübertritt nach Österreich oder durch Österreich ermöglicht oder erleichtert und dafür in irgendeiner Form kausal wird oder kausal werden soll ( Tipold in WK 2 FPG § 114 Rz 10 mwN).

[14] In Anbetracht der konstatierten Schlepperfahrten in Etappen mit dem jeweiligen Endziel oder Transitziel Österreich leitet die Rüge daher ihre Argumentation, der objektive Tatbestand des § 114 Abs 1 FPG sei nicht erfüllt, weil es einer Konstatierung bedürfe, wonach die „Schleppungen innerhalb Kroatiens“ (nicht bloß „vermutlich“, sondern) „gesichert“ in die Nähe der ungarischen Grenze führten, nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565).

[15] Auch die Behauptung, § 114 Abs 1 FPG erfordere eine „tatsächliche“ Einreise von Fremden, legt nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb es bei einem schlichten Tätigkeitsdelikt darauf ankommen sollte, ob die Einreise oder Durchreise gelingt (dazu RIS-Justiz RS0127813 [insb T3]).

[16] Im Übrigen übergeht dieses Vorbringen die – fallbezogen ohnedies getroffenen – Konstatierungen zur tatsächlichen Einreise der Fremden (US 3 f).

[17] Die zu I und II gegen die Annahme der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 114 Abs 4 erster Fall FPG) gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) vermisst Feststellungen zur Art und zur Intensität der Zusammenarbeit des Angeklagten mit „zumindest zwei weiteren Personen auf längere Zeit“. Auch mit diesem Vorbringen wird nicht auf der Basis der genau dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 3 ff, 7 und 10 f) argumentiert (siehe aber RIS-Justiz RS0099810 sowie RS0099025).

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[19] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[20] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.