JudikaturJustiz13Os138/18w

13Os138/18w – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Jänner 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sischka als Schriftführer in der Strafsache gegen Michael K***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 Z 2 und Abs 4 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Juli 2018, GZ 71 Hv 58/18w 12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion nach § 107b Abs 3 Z 2 und Abs 4 vierter Fall StGB und in der zum Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben, im Umfang der Aufhebung eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die gegen den Privatbeteiligtenzuspruch gerichtete Berufung des Angeklagten werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael K***** des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 Z 2, Abs 4 vierter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er vom März 2014 bis zum 2. April 2018 in W***** gegen Margarethe K***** eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihr im Abstand von fünf bis sechs Wochen Faustschläge ins Gesicht versetzte, sie am Hals packte, mit den Händen gegen ihren Kopf drückte, sie in mehreren – im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen – am Körper misshandelte oder verletzte sowie regelmäßig im Abstand von zwei bis drei Monaten (mittels im Urteil im Wortlaut wiedergegebener Äußerungen) „versuchte“, sie durch gefährliche Drohungen mit zumindest einer Verletzung am Körper zu Unterlassungen zu nötigen, wobei er durch die Tat eine umfassende Kontrolle des Verhaltens der Genannten herstellte und eine erhebliche Einschränkung ihrer autonomen Lebensführung bewirkte, indem er „sie ständig kontrollierte und von ihr verlangte, ihm zu sagen, wo sie sich mit wem trifft und bis spätestens 19:00 Uhr zuhause zu sein“, und diese Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.

Die Kritik der Mängelrüge (Z 5) an den Feststellungen zu den (hier nicht qualifizierenden) Verletzungsfolgen des Opfers (US 11) betrifft keine (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidenden Tatsachen, die allein den Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes bilden (RIS Justiz RS0117499).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) geht mit ihrer Behauptung, das Erstgericht habe „in einem Tatzeitraum von vier Jahren lediglich neun tatsächliche Misshandlungen“ konstatiert, weshalb es an fortgesetzter Gewaltausübung fehle, nicht von der Gesamtheit des Urteilssachverhalts aus (RIS Justiz RS0099810). Nach diesem misshandelte oder verletzte der Beschwerdeführer das Opfer alle fünf bis sechs Wochen am Körper und nötigte es darüber hinaus alle zwei bis drei Monate durch Drohungen zu Unterlassungen, sodass er insgesamt während des gesamten Tatzeitraums „in einer gewissen Regelmäßigkeit von oft einigen Tagen, zumindest wenigen Wochen“ Gewalt im Sinn des § 107b Abs 1 StGB ausübte (US 4 und 11 iVm US 13). Weshalb das Erstgericht davon ausgehend fortgesetzte Gewaltausübung – anhand der gebotenen Einzelfallbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität (US 20; vgl RIS Justiz RS0127377) – zu Unrecht bejaht haben soll, legt der Beschwerdeführer nicht dar.

Der Einwand fehlender Feststellungen dazu, ob der Beschwerdeführer das Opfer durch die inkriminierten Äußerungen „in Furcht und Unruhe versetzt hat“ und ob er dieses (tatsächlich) „zu einer Unterlassung veranlasst hat“, verfehlt die gebotene Ableitung aus dem Gesetz (RIS Justiz RS0116565; zur Irrelevanz der Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung für die Subsumtion vgl RIS Justiz RS0122138). Ebenso wenig erklärt der Beschwerdeführer, weshalb es darauf ankommen sollte, dass das Opfer diese Äußerungen (als Drohungen) „ernst genommen hat“ (vgl dazu RIS Justiz RS0092392).

Das gegen die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt dieser Äußerungen (US 11) gerichtete Vorbringen erschöpft sich in Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Im Recht ist jedoch die im Rahmen der Subsumtionsrüge (Z 10, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) erstattete Kritik, das Erstgericht habe die Feststellungen zur Qualifikation des § 107b Abs 3 Z 2 StGB unvollständig begründet. Dieser Qualifikationstatbestand verlangt über die bereits für den Grundtatbestand erforderliche Eignung der Gewalthandlungen, die Lebensführungsfreiheit des Opfers gravierend zu beeinträchtigen, hinausgehende Folgen im Sinn einer massiven Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit, etwa bei der freien Wahl des sozialen Umfelds, des Familienstands, des Aufenthalts oder des äußeren Erscheinungsbildes und dergleichen, in einem Ausmaß, dass das Opfer dem Täter im Sinn eines (das ganze Leben nach diesem ausrichtenden) Abhängigkeitsverhältnisses willenlos unterworfen ist (RIS Justiz RS0127377 [T2 und T3]; Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 8 f und 37; Winkler SbgK § 107b Rz 11, 110 und 127 f).

Zu diesen Voraussetzungen konstatierte das Erstgericht im Wesentlichen, Margarethe K***** habe „in der Regel spätestens um 18:00 Uhr oder 19:00 Uhr zu Hause sein“ müssen. Sei sie „einmal zu spät“ gekommen, „hatte sie panische Angst davor, wie der Angeklagte zu Hause darauf reagieren würde, wobei es dann in der Regel zu Beschimpfungen und Maßregelungen gekommen war“ (US 10 iVm US 15). Dabei stützte es sich zwar grundsätzlich auf die „glaubwürdigen Angaben der Zeugin Margarethe K*****“ (US 12 ff), setzte sich aber – worauf der Beschwerdeführer zutreffend hinweist – mit erheblichen Passagen ihrer Aussage nicht auseinander (RIS Justiz RS0118316). Die Zeugin deponierte nämlich in der Hauptverhandlung, dass der Beschwerdeführer derart strikte zeitliche Vorgaben (wann sie zuhause habe sein müssen) vor allem dann gemacht habe, wenn sie auf die Kinder ihrer Nichte aufgepasst habe, denn „das wollte er einfach nicht“. Wenn sie hingegen mit Freundinnen ausgegangen sei, sei „das nicht so krass“ gewesen. Sie habe zudem ein „Theaterabo“ gehabt, welches sie „mit einigen anderen“ oder alleine wahrgenommen habe, weil er „an so was überhaupt kein Interesse mehr“ habe. Mit Freunden und Bekannten habe sie sich treffen dürfen (ON 11 S 32 f). Diese Beweisergebnisse durften mit Blick auf die oben dargestellten Tatbestandserfordernisse einer massiven Beschränkung der freien Wahl des sozialen Umfelds und der autonomen Lebensführung bei sonstiger Nichtigkeit nicht unerörtert bleiben.

Da der Qualifikationstatbestand des Abs 4 vierter Fall auf jenem des Abs 3 Z 2 (jeweils des § 107b StGB) aufbaut, erfordert der aufgezeigte Begründungsmangel – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die sofortige Aufhebung der Subsumtion wie im Spruch ersichtlich, ebenso der zum Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit und demgemäß auch des Strafausspruchs bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

Darauf waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen zu verweisen.

Über die Berufung des Angeklagten gegen den Privatbeteiligtenzuspruch (ON 14 S 2) – der im nunmehr rechtskräftigen Schuldspruch nach dem Grundtatbestand des § 107b Abs 1 StGB Deckung findet und solcherart von der Aufhebung unberührt blieb – hat vorerst das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass ein Erfolg im Sinn des § 107b Abs 3 Z 2 StGB Folge der Gewaltausübung nach dem Grundtatbestand sein muss ( Winkler SbgK § 107b Rz 130). Die (rechtliche) Annahme dieser Qualifikation setzt also Feststellungen zu einer solchen Kausalität voraus (vgl hingegen die oben wiedergegebenen Konstatierungen, die in diesem Zusammenhang bloß von „Beschimpfungen und Maßregelungen“ sprechen).