JudikaturJustiz13Os131/05x

13Os131/05x – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Oktober 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2006 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roland R***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 31. Mai 2006, GZ 12 Hv 191/02f-83, nach Anhörung der Generalprokuratur und Äußerung des Verteidigers (§ 35 Abs 2 StPO) in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Roland R***** (im wiederaufgenommenen Verfahren erneut) des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens (richtig: der Vergehen) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses „nach § 212 Abs 1 StGB" (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in St. P*****

I. „von Anfang September 2001 bis Juli 2002" außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen und an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er die am 20. Jänner 1991 geborene Tochter seiner Lebensgefährtin Vanessa A***** „veranlasste, sein erregtes Glied mit Gel oder Creme einzuschmieren und an seinem Glied bis zum Samenerguss zu reiben und sie aufforderte, sich zu entkleiden und sie sodann wiederholt an den Brüsten und an ihrer Scheide betastete";

II. Vanessa A***** durch die zu I. beschriebenen Handlungen „unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Erziehung oder Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person (faktisches Eltern-Kind-ähnliches Verhältnis) zur Unzucht missbraucht" (vgl aber § 61 zweiter Satz StGB).

Der aus Z 3, 4, 5, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt - entgegen der Ansicht der Generalprokuratur - im Ergebnis Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

In der Hauptverhandlung hat der Verteidiger „die neuerliche Einvernahme der Vanessa A***** bzw die Abklärung, ob die Zeugin bereit wäre, neuerlich auszusagen oder weiterhin von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch macht, dies insbesondere im Hinblick auf einen an ihre Großmutter gerichteten Brief zu ON 78" (wo die Zeugin von einem Druck zur Ablegung ihrer Aussage gesprochen hatte), beantragt (S 496/I).

Während einer Unterbrechung der daraufhin vertagten Hauptverhandlung wurde Vanessa A***** unter Beiziehung der Kindesmutter, jedoch unter Ausschluss der Parteien, über ihre Aussagebereitschaft befragt. In die Hauptverhandlung eingebracht wurde seitens der Vorsitzenden als Ergebnis dieser Befragung nur, dass die Zeugin auf das ihr nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO zustehende Entschlagungsrecht nicht verzichte (S 515/I), wie sie dies schon anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung erklärt hatte (S 129/I).

Unter Berufung auf eine Erklärung der Kindesmutter, wonach Vanessa A***** anlässlich der erwähnten Befragung durch die Vorsitzende zwar erklärt habe, nicht zum Tatgeschehen, wohl aber über eine angebliche Zwangslage aussagen zu wollen, die der Grund für ihre Aussage als Zeugin gewesen sei, rügt der Beschwerdeführer, dass die Vorsitzende davon keine Mitteilung gemacht habe.

Die Vorsitzende teilte in einer Ergänzung zum Vorlagebericht mit, „dass Vanessa A***** anlässlich dieser Belehrung während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung gegenüber der Richterin nicht angegeben hat, dass sie zu einer Aussage gezwungen worden sei."

Demgegenüber haben sowohl Vanessa A***** als auch ihre Mutter, auf Veranlassung des Obersten Gerichtshofes zum Inhalt des Gespräches mit der Vorsitzenden befragt (§ 285f StPO), die Behauptung des Rechtsmittels bestätigt.

Zwar wird es seitens der Rechtsprechung für zulässig erachtet, dass ein entschlagungsberechtigter Zeuge außerhalb der Hauptverhandlung wirksam erklärt, auf sein Entschlagungsrecht nicht verzichten zu wollen (RIS-Justiz RS0111315).

Er hat jedoch kein Recht, zur Hauptverhandlung nicht zu erscheinen (RIS-Justiz RS0117928).

Erachtet das Gericht - wie vorliegend - die Entschlagungserklärung für nicht unmissverständlich oder endgültig oder werden im Antrag Anhaltspunkte vorgebracht, welche eine nunmehrige Aussagebereitschaft des Zeugen plausibel erscheinen lassen (vgl 14 Os 7/06w, EvBl 2006/86, 464), hat die Abklärung der Aussagebereitschaft nach § 248 Abs 1 erster Satz StPO - gegebenenfalls nach § 250 Abs 3 StPO - in der Hauptverhandlung zu erfolgen. Geschieht dies nicht, schlägt aus Fairnessgründen jeder Zweifel am Inhalt der Erklärung zu Gunsten eines Entschlagungsverzichts aus, sodass von einer Bereitschaft der Zeugin, zur Aussage über eine - vorerst im Vagen gebliebene - Zwangssituation in Betreff der bei der kontradiktorischen Befragung gemachten Angaben auszugehen ist.

Entgegen der Auffassung der Generalprokuratur stellt sich das Problem der Sonderung von Sachverhalten nach § 152 Abs 4 zweiter StPO deshalb nicht, weil Vanessa A***** in Betreff der erwähnten Zwangssituation ohnehin kein Entschlagungsrecht beansprucht, vielmehr - nach Maßgabe des Ergebnisses der nach § 285f StPO veranstalteten Aufklärung - insoweit ihre Aussagebereitschaft bekundet hat.

Indem die Vorsitzende den Angeklagten darüber nicht ins Bild gesetzt hat, hat sie ihn an der Ausübung seines Rechtes zu sachgerechter Antragstellung gehindert (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480; RIS-Justiz RS0114036).

Behauptet aber eine Zeugin, nur unter Druck zu den leugnenden Angeklagten massiv belastenden Angaben bereit gewesen zu sein und stellen diese noch dazu das entscheidende Beweismittel für dessen Schuldspruch dar, so stellt nicht nur die Drucksituation eine erhebliche Tatsache dar. Vielmehr begegnet deren nicht erfolgte Abklärung in Richtung eines möglichen Einflusses auf den Inhalt des Deponats erheblichen Bedenken im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5a StPO, was zur Urteilsaufhebung und Rückverweisung bereits bei der nichtöffentlichen Beratung führt (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 1 StPO).

Im nachfolgenden Rechtsgang wird im Falle eines neuerlichen Schuldspruchs das Verschlimmerungsverbot des § 359 Abs 4 StPO zu beachten sein, dessen Verletzung die Beschwerde gleichermaßen zutreffend rügt.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Infolge Aufhebung des Schuldspruchs trifft ihn keine Kostenersatzpflicht (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 4, 7).