JudikaturJustiz12Os99/07m

12Os99/07m – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alexander K***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB, AZ 3 U 129/05b des Bezirksgerichtes Kufstein, über die vom Generalprokurator gegen das Urteil dieses Gerichtes vom 25. Jänner 2006 (ON 10) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Staatsanwältin Dr. Michel-Kwapinski, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Alexander K*****, AZ 3 U 129/05b des Bezirksgerichtes Kufstein, verletzt das Urteil dieses Gerichtes vom 25. Jänner 2006 (ON 10) das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs 1 StGB.

Es werden dieses Urteil sowie alle darauf gegründeten Entscheidungen und Verfügungen aufgehoben.

Die Strafsache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Kufstein verwiesen.

Text

Gründe:

Mit seit 31. Jänner 2006 rechtskräftigem (S 95), in gekürzter Form ausgefertigten Urteil des Bezirksgerichtes Kufstein vom 25. Jänner 2006 (ON 10) wurde Alexander K***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er „am 12. Februar 2005 in Wörgl dadurch, dass er auf der Bundesstraße 171 als Lenker des Pkw mit dem Kennzeichen ***** entgegen der Abbiegespur an der stehenden Fahrzeugkolonne vorbeifuhr, wodurch es zum Zusammenstoß mit dem vom Parkplatz der Firma H***** herausgefahrenen Pkw mit dem Kennzeichen *****, gelenkt von Stefanie N***** kam, wobei Stefanie N***** eine Zerrung der Halswirbelsäule und des Brustkorbes erlitt, fahrlässig die Genannte leicht am Körper verletzt."

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht dieser Schuldspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang. Dem bekämpften Urteil mangelt es nämlich an der Feststellung eines objektiv sorgfaltswidrigen Verhaltens. Denn ein solches ist nicht schon im konstatierten Befahren eines Fahrstreifens entgegen dem auf diesem angebrachten Richtungspfeil (§ 9 Abs 6 StVO, § 18 BodenmarkierungsV) zu erblicken. Eine derartige Bodenmarkierung regelt nämlich nur das Einordnen für die Weiterfahrt. Ein Verbot, den damit versehenen Fahrstreifen entgegen der Pfeilrichtung zu befahren, lässt sich weder aus der Straßenverkehrsordnung noch aus der Bodenmarkierungsverordnung ableiten (2 Ob 235/04d). Auch das festgestellte Vorbeifahren an einer stehenden Fahrzeugkolonne ist grundsätzlich zulässig (Pürstl/Somereder, StVO11 § 17 E 15). Die Bestimmung des § 17 Abs 4 StVO, wonach an Fahrzeugen, die gemäß § 18 Abs 3 StVO angehalten haben, um den Querverkehr nicht zu behindern, nur unter bestimmten Voraussetzungen vorbeigefahren werden darf, ist hier nicht von Bedeutung, weil nach dem bekämpften Urteil Stefanie N***** ihr Fahrzeug von einem Parkplatz, also nicht von einer Querstraße iSd § 18 Abs 3 StVO (Pürstl/Somereder, StVO11 § 18 E 43) aus auf die Bundesstraße 171 gelenkt hat.

Zumal sich die Gesetzesverletzung potenziell zum Nachteil des Verurteilten auswirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

Da das - in gekürzter Form ausgefertigte - Urteil keine näheren Feststellungen zum Unfallhergang, wie insbesonders zur Fahrgeschwindigkeit sowie zur Reaktionszeit und zu den örtlichen Gegebenheiten, also etwa zur Frage, ob der Verurteilte eine Sperrlinie missachtet hat, enthält, konnte der Oberste Gerichtshof in der Sache selbst keine Entscheidung fällen.

Die vom genannten Urteil rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen gelten aufgrund der Urteilsaufhebung gleichermaßen als beseitigt (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28). Die Aufnahme dieser rechtlichen Konsequenz in den Spruch des Erkenntnisses dient der Klarstellung.

Rechtssätze
1
  • RS0114575OGH Rechtssatz

    27. September 2007·2 Entscheidungen

    Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung ist das Grunderfordernis der Verwirklichung einer fahrlässigen Körperverletzung des § 88 StGB - vorliegend nach dessen Abs 1 und Abs 4 erster Fall - ein im Sinne dieses Deliktstypus objektiv sorgfaltswidriges Verhalten. Darunter ist ganz allgemein ein Verhalten zu verstehen, welches bereits im Zeitpunkt seiner Vornahme die Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung eines anderen objektiv befürchten lässt und dabei den Bereich des vom Recht tolerierten Risikos überschreitet (deliktstypisch sozial inadäquat gefährliches Verhalten). Demnach schließt ein Verhalten, welches sich im Rahmen des erlaubten Risikos bewegt, schon die Zurechnung zum objektiven Tatbestand aus. Ein PKW-Lenker, der im Ortsgebiet mit einer Geschwindigkeit von 48 km/h an einem im Haltestellenbereich stehenden, nicht zum Transport von Kindern (Schulkindern) gekennzeichneten Omnibus unter Einhaltung eines Seitenabstandes von 1,5 m links vorbeifährt und mit einem vor dem Omnisbus hervorkommenden, die Fahrbahn zügig querenden zwölfjährigen Kind kollidiert und es dadurch schwer verletzt, handelt, sofern die sonstigen Umstände (Fahrbahnverhältnisse und Sichtverhältnisse, Eigenschaften von Fahrzeug und Lenker, Verkehrstafeln und Hinweistafeln etc) nicht die Wahl einer (geringeren) solchen Geschwindigkeit erfordern, welche einen Anhalteweg ermöglicht, der aus 48 km/h unter optimalen Voraussetzungen erzielbar ist, im Rahmen des erlaubten Risikos und damit objektiv nicht sorgfaltswidrig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Vertrauensgrundsatz nach § 3 StVO auch auf nicht wahrnehmbare Personen erstreckt und ein im Haltestellenbereich stehender Bus für sich allein keine unklare Verkehrssituation darstellt.