JudikaturJustiz12Os8/01

12Os8/01 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. September 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. September 2001 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kristöfl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dimiter P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über den Antrag des Generalprokurators auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO sowie in dessen Folge über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 1. Oktober 1993, GZ 16 Vr 645/92-118, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Schroll, des Angeklagten und der Verteidigerin Mag. Wagner zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Antrag wird stattgegeben.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 27. Jänner 1994, GZ 12 Os 163/93-10 (= ON 133), das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem die Berufung des Angeklagten betreffenden Ausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu Recht erkannt:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Dimiter P***** wurde mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 1. Oktober 1993 des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt und zu einer lebenslangen (Zusatz )Freiheitsstrafe verurteilt, weil er in der Zeit zwischen 14. und 17. Dezember 1991 in G***** oder einem anderen Ort seine Ehefrau Helga P***** durch gewaltsame Einwirkung gegen ihren Kopf bzw gegen den Hals im Sinn eines Würge- oder Drosselgeschehens oder auf sonstige Art und Weise vorsätzlich getötet hatte.

Rechtliche Beurteilung

Mit Urteil vom 27. Jänner 1994, GZ 12 Os 163/93-10 (= ON 133), verwarf der Oberste Gerichtshof die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und gab dessen Berufung nicht Folge. Der Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof fand in Abwesenheit des Angeklagten statt; eine Vorführung unterblieb mangels entsprechender Antragstellung (§§ 296 Abs 3 [aF], 344 StPO).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkannte mit Entscheidung vom 3. Oktober 2000, Beschwerde-Nr 28501/95, dass im Fall Dimiter P***** gegen Österreich durch das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 27. Jänner 1994 eine Verletzung von Art 6 Abs 1 EMRK iVm Art 6 Abs 3 lit c EMRK stattgefunden habe, weil der Oberste Gerichtshof seiner positiven Verpflichtung nicht nachgekommen sei, die Anwesenheit des Beschwerdeführers beim Gerichtstag über die Berufung sicherzustellen, "um diesem die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu verteidigen wie im Art 6 Abs 3 lit c EMRK vorgesehen". Im Hinblick auf die Natur des Hauptstreitpunktes der Berufungsverhandlung vor dem Obersten Gerichtshof, nämlich eine neuerliche Beurteilung der Persönlichkeit und des Charakters des Beschwerdeführers einschließlich der Untersuchung seines Motivs für die Tat und unter Berücksichtigung der Schwere dessen, was für ihn auf dem Spiel stand - eine mögliche Verringerung der Strafe - vertrat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ansicht, dass der Fall ohne Gewinnung eines persönlichen Eindrucks vom Berufungswerber nicht ordnungsgemäß geprüft werden konnte. Für die Fairness des Verfahrens wäre es daher wesentlich gewesen, dass der Rechtsmittelwerber während der Berufungsverhandlung anwesend sein hätte können und die Gelegenheit erhalten hätte, gemeinsam mit seinem Verteidiger daran teilzunehmen. Der Umstand, dass ein Antrag auf Vorführung des Angeklagten zum Gerichtstag nicht gestellt worden war, wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als nicht entscheidend erachtet, weil § 296 Abs 3 StPO aF vorsah, dass das Berufungsgericht auch im Falle des Fehlens eines solchen Antrages dennoch die Vorführung des Antragstellers veranlassen sollte, wenn seine persönliche Anwesenheit im Interesse der Rechtspflege geboten (bzw nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte "im Interesse der Gerechtigkeit notwendig") erschiene.

Im Blick auf diese Entscheidung war - wie der Generalprokurator in seinem bezüglichen Antrag zutreffend ausführt - eine Erneuerung des Verfahrens über die Berufung gemäß § 363a StPO unumgänglich, konnte doch nicht ausgeschlossen werden, dass der Oberste Gerichtshof nach Gewinnung eines unmittelbaren Eindrucks von der Persönlichkeit und dem Charakter des Angeklagten zu einer für diesen günstigeren Lösung der Straffrage gekommen wäre.

Das Geschworenengericht hatte bei der Bemessung der als Zusatzstrafe zu der mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 14. Mai 1992, GZ 17 E Vr 1668/91-15, wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 StGB verhängten bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 300 Tagessätzen ausgesprochenen lebenslangen Freiheitsstrafe als erschwerend gewertet, "dass der Angeklagte aus besonders verwerflichen Beweggründen gehandelt hatte und grausam und gefühlskalt vorgegangen war"; mildernd war demgegenüber kein Umstand angenommen worden.

Der dagegen gerichteten, auf die Verhängung einer zeitlichen Freiheitsstrafe (allenfalls unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung) antragenden Berufung des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Wie bereits in der Entscheidung vom 27. Jänner 1994 zum Ausdruck gebracht wurde, reklamiert der Berufungswerber zwar mit Recht den Milderungsgrund des bisher ordentlichen Lebenswandels (§ 34 Z 2 StGB) und - angesichts der im Dunkeln gebliebenen Tatmodalitäten - den Entfall des Erschwerungsgrundes nach § 33 Z 6 StGB. Hingegen fällt zusätzlich das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen ins Gewicht (§ 33 Z 1 StGB).

Auch unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Lebensalters des Angeklagten, seines - allerdings zum Teil bereits vor der Tat vorgelegenen - angegriffenen, im Rahmen des Strafvollzuges aber gehörig behandelten (Herzschrittmacher) Gesundheitszustandes und der Tatsache, dass er sich - nun - schon längere Zeit seit der Tat wohlverhalten hat (§ 34 Z 18 StGB), verwehrt der von den Geschworenen nach den Verfahrensergebnissen zutreffend angenommene Erschwerungsgrund besonders verwerflichen Beweggrundes (§ 33 Z 5 StGB) - die getötete Ehegattin hatte sich einer Adoption einer jungen Frau, der der Angeklagte sehr zugetan war, entgegengestellt - ebenso eine Reduktion der gefundenen Sanktion wie das auf einen massiven Charaktermangel weisende Tranchieren des Tatopfers.

Eine Kostenentscheidung ist im Erneuerungsverfahren nicht vorgesehen.