JudikaturJustiz12Os77/12h

12Os77/12h – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Oktober 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ibrahim ***** D***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 4. April 2012, GZ 35 Hv 54/08y 289, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Ibrahim ***** D***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 12. Juni 2006 in der Provinz E*****, Bezirk K*****, Türkei, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Mehmet ***** D*****, Muzaffer D***** und Yavuz D***** als Mittäter (§ 12 StGB) den Celal S***** durch Versetzen von Hieben mit Fleischerbeilen und Messern vorsätzlich getötet.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Z 3, 4 und 5 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Bei seiner aus Z 3 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Rüge gegen die Verlesung (ON 288 S 7) seiner Ansicht nach nichtiger Telefonüberwachungsprotokolle (ON 59) übersieht der Beschwerdeführer, dass er sich - der in der Beschwerde aufgestellten Behauptung zuwider - dagegen nicht widersetzt hat, wie es jedoch Voraussetzung für die erfolgreiche Anfechtung aus diesem Nichtigkeitsgrund wäre. Vielmehr hat er nur dem Referat anderer Schriftstücke widersprochen (ON 288 S 4 und 15 f).

Aus Z 4 behauptet die Rüge die gemäß § 252 Abs 4 StPO Nichtigkeit begründende Umgehung des § 252 Abs 1 StPO durch Verlesung einer Vielzahl von Aktenstücken, ua der in der Türkei und in Deutschland ergangenen Urteile gegen die Mittäter des Angeklagten (ON 4, 9, 18, 19, 29, 35, 53, 54, 56, 59, 60, 63, 68, 71, 75, 76, 83, 85, 89, 90, 92, 99, 109, 120, 125, 129, 130, 131, 134, 139, 144, 154, 157, 168, 178, 196, 197, 224, 236, 244, 247 „uam“), mit der Begründung, diese würden die Aussagen der in der Hauptverhandlung nicht vernommenen Zeugen Ali A*****, Akim Ak*****, Abdullah C***** und Ertugrul Al*****, aber auch anderer (namentlich nicht bezeichneter) Zeugen, bei denen die Verlesungsvoraussetzungen der Z 1 bis 4 des § 252 Abs 1 StPO nicht vorgelegen seien, darstellen, bewerten und somit mittelbar den Geschworenen zur Kenntnis bringen.

Dabei verweist sie zwar zutreffend auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 13 Os 75/95, wonach für den konkreten Straffall relevante Urteile, die in anderen Verfahren gefällt wurden, als „Urkunden und Schriftstücke anderer Art“ grundsätzlich gemäß § 252 Abs 2 StPO zu verlesen seien, es sei denn in einem solchen Urteil wäre die Aussage von Zeugen (oder Mitbeschuldigten) festgehalten, die (gemäß § 252 Abs 1 StPO bei sonstiger Nichtigkeit) nicht verlesen werden dürften, sodass ein entgegen diesem Verbot verlesenes Urteil bzw eine verlesene Urteilspassage Nichtigkeit gemäß § 252 Abs 4 StPO begründen würde.

Sie verabsäumt es jedoch, jeweils unter Anführung der betreffenden Aktenseite konkret darzulegen, in welchem Aktenstück an welcher Stelle welche Zeugenaussage auf die kritisierte Weise wiedergegeben wird und lässt damit die argumentative Basis für die Beurteilung des - in Bezug auf jede angeführte Ordnungsnummer jeweils gesondert - zu prüfenden Vorwurfs gesetzwidriger Verlesung und damit für die aus den Akten zu entwickelnde Nichtigkeit vermissen (RIS-Justiz RS0124172 [T4]).

Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurden durch die teilweise Abweisung des „jetzt schon“ gestellten Antrags auf „Ausscheidung“ der in einer schriftlichen Aufstellung angeführten Aktenstücke (ON 288 S 15) vor Verschaffung der Akten in das Beratungszimmer der Geschworenen Verteidigungsrechte nicht verletzt, bezog sich dieses in der Hauptverhandlung mündlich erhobene Begehren (aus dem Blickwinkel der geltend gemachten Nichtigkeit allein relevant [ Ratz , WK-StPO § 281 Rz 311]) doch lediglich auf die Unterlassung der Verlesung, nicht aber auf das nur in der schriftlichen Aufstellung enthaltene und außerdem subsidiäre Aussonderungsbegehren (ON 288 S 3 f), das überdies auf eine außerhalb der Hauptverhandlung zu treffende Verfügung abzielte (§§ 319, 322 StPO) und schon aus diesem Grund nicht zu einem Erfolg hätte führen können (vgl 12 Os 60/12h). Soweit der Nichtigkeitswerber auch insoweit eine Verletzung des Umgehungsverbots des § 252 Abs 4 StPO behauptet, ist er auf die Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z 4 zu verweisen.

Schlussendlich moniert der Beschwerdeführer aus Z 5, dass die Verlesung in der Beschwerdeschrift nicht bezeichneter „bestimmter Aktenteile ohne entsprechende Antragstellung der Staatsanwaltschaft“ erfolgt sei. Insoweit bezieht er sich jedoch nicht auf einen eigenen Antrag oder substantiierten Widerspruch und verfehlt damit den Bezugspunkt der geltend gemachten Nichtigkeit ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 302, 306).

Soweit er „insbesondere“ auf seinen Widerspruch gegen „die Verlesung des türkischen Urteils und der deutschen Entscheidungen“ hinweist, ist ihm zu entgegnen, dass es schon seinem Vorbringen in der Hauptverhandlung an der erforderlichen fundierten Begründung mangelte (vgl RIS Justiz RS0113906 [T3]; RS0113618 [T3]), weil es nur allgemein auf die ansonsten drohende Gefährdung des Schutzzweckes des § 252 StPO einging, nicht aber jeweils gesondert darlegte, in Bezug auf welche konkrete Zeugenaussage das Referat dieser Aktenstücke die Gefahr der Umgehung des Verlesungsverbots gemäß § 252 Abs 1 StPO verwirklichen würde (ON 288 S 3 f iVm S 15, 19).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.