JudikaturJustiz12Os59/14i

12Os59/14i – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. August 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Moritz als Schriftführer in der Strafsache gegen Benjamin K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Geschworenengericht vom 17. März 2014, GZ 13 Hv 12/14f 75, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Benjamin K***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 26. Juni 2013 in S***** Kerstin N***** durch Erdrosseln getötet, indem er der Schlafenden eine Kordel um den Hals legte, diese zuzog und schließlich hinten verknotete.

Die Geschworenen hatten die nach dem Verbrechen des Mordes gerichtete Hauptfrage bejaht, die Frage nach Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB verneint und die Eventualfrage nach dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB demgemäß unbeantwortet gelassen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf Z 4 und 5 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Im Rahmen seiner Gegenäußerung (§ 244 Abs 3 StPO) eingangs der Hauptverhandlung verwies der Verteidiger auf die Problematik, dass die Sachverständige Dr. Ka***** bereits im Vorverfahren ein Gutachten erstellt hat und nunmehr auch in der Hauptverhandlung ein Gutachten erstatten sollte. Fraglich sei auch, ob die nicht allgemein gerichtlich beeidete Sachverständige über hinreichende Kenntnis bezüglich der Wirkungsweise von Suchtmitteln verfügte. Er beantragte, dass ein weiteres, unabhängiges Sachverständigengutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen, der die Frage der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten unbefangen begutachten kann, eingeholt wird, um dieser Sache und dem Täter gerecht zu werden, ihm ein faires Verfahren zu bieten und auch, um den Opfern gerecht zu werden, um dem möglicherweise nächsten Opfer gerecht zu werden und um den Geschworenen hier die Unterstützung zu bieten, die ihnen zusteht (ON 74 S 2 f).

Dieses Begehren verfiel der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider zu Recht der Abweisung (ON 74 S 57):

Ein weiterer

Sachverständiger ist im Strafverfahren nur beizuziehen, wenn das bereits vorliegende Gutachten

mangelhaft im Sinne des § 127 Abs 3 erster Satz StPO ist und diese Bedenken durch nochmalige

Befragung des bestellten

Sachverständigen nicht behoben werden können. Ein aus § 345 Abs 1 Z 5 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hinsichtlich eines bereits durchgeführten

Sachverständigen-beweises hat der Beschwerdeführer demnach nur dann, wenn er in der Hauptverhandlung einen in § 127 Abs 3 erster Satz StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzeigt und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt (vgl RIS Justiz RS0117263; Ratz , WK StPO § 281 Rz 351).

Einen solchen Mangel des zur Frage der Zurechnungsfähigkeit bereits eingeholten Befundes und Gutachtens der psychiatrischen

Sachverständigen Primaria Dr. Adelheid Ka***** (ON 56) hat der Nichtigkeitswerber bei der Antragstellung jedoch nicht konkret bezeichnet, sondern vielmehr auch nach der eingehenden Befragung der Expertin in der Hauptverhandlung (ON 74 S 35 ff), auch zur Wirkungsweise der vom Angeklagten injizierten Droge Crystal Meth (N Methylamphetamin), unter anderem über Befragung des Verteidigers (vgl ON 74 S 53 bis 56) jegliche ergänzende, darauf Bezug nehmende Antragstellung unterlassen. Das bloße Verlangen einer Partei, neue Befunde und Gutachten abzufordern, um die vom beigezogenen

Sachverständigen erbrachten Ergebnisse zu überprüfen, zielt jedoch auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung ab.

Da der Beschwerdeführer in seinem Antrag außer dem Umstand, dass die zur Hauptverhandlung beigezogene Sachverständige in dieser Funktion bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist, keine Hinweise für deren Befangenheit und damit auch unter diesem Gesichtspunkt keinen weiteren Grund für die Beiziehung eines anderen Experten aufzeigte, musste sein Begehren insgesamt erfolglos bleiben.

Die in der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde

nachgetragenen Argumente als Versuch einer

Fundierung des Antrags unterliegen dem Neuerungsverbot und sind somit unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618).

Aber auch das Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 4 iVm § 126 Abs 4 StPO) erweist sich als unberechtigt:

Diese vermeint, infolge der regelmäßigen Bestellung durch die Anklagebehörde im Ermittlungsverfahren stehe Primaria Dr. Adelheid Ka***** auch unter Berücksichtigung der mangelnden Eintragung in die Sachverständigenliste in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis; überdies sei es der Staatsanwaltschaft möglich, in Kenntnis der von der Expertin „regelmäßig vertretenen Fachmeinung“ durch deren Auswahl „dem weiteren Verfahren eine ganz bestimmte Richtung zu geben“. Schließlich habe die Strafverfolgungsbehörde im Ermittlungsverfahren im Gegensatz zum Beschuldigten die Möglichkeit, den beauftragten Sachverständigen auch mit der Durchführung von Erkundungsbeweisen zu beauftragen. Daraus leitet die Rüge ersichtlich ab, das Erstgericht wäre auch von Amts wegen infolge des behaupteten Vorliegens des Befangenheitsgrundes gemäß § 47 Abs 1 Z 2 StPO bei sonstiger Nichtigkeit zur Enthebung Dris. Ka***** verpflichtet gewesen.

Die Beschwerde unterlässt jedoch jegliche Begründung, weshalb sich die behauptete „ständige Geschäftsbeziehung“ zur Anklagebehörde inhaltlich zum Nachteil des Angeklagten auf das erstattete Gutachten ausgewirkt haben könnte. Abgesehen davon wäre selbst das Vorliegen des Befangenheitsgrundes des § 47 Abs 1 Z 3 StPO nicht mit Nichtigkeit bewehrt.

Nur dann, wenn ein Sachverständiger bei einem sehr allgemeinen Anfangsverdacht von der Staatsanwaltschaft mit nicht weiter determinierten Erhebungen zu einer Straftat, insbesondere ohne Nennung eines konkreten Beweisthemas beauftragt wird und das vorhandene, nicht ohne weiteres aussagekräftige Beweismaterial aufarbeitet und auf ein strafrechtliches Verdachtssubstrat hin untersucht, mutiert er von einem unabhängig agierenden Experten, der bei bestehender konkreter Verdachtslage zu einem Problemfeld mit Fachwissen Stellung nehmen soll, zu einem verlängerten Arm der Ermittlungsbehörden und damit funktional zu einem Organ der Ermittlungsbehörde. Wer in derselben Strafsache als Kriminalbeamter tätig war, darf nicht später als Staatsanwalt agieren und umgekehrt. Wer daher inhaltlich als Ermittlungsorgan gewirkt hat, darf nicht später als Sachverständiger einschreiten; vielmehr bewirkt eine solche funktional als Ermittlungsorgan erfolgte Vorbefassung sinngemäß Befangenheit nach § 47 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 126 Abs 4 StPO (hiezu eingehend 12 Os 90/13x, EvBl 2014/48, 377 = JBl 2014, 336 mit Anm Schmoller ).

Eine inhaltliche Argumentation, weshalb diese Voraussetzungen auf die konkret mit der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten beauftragte Sachverständige (vgl ON 56 S 2) zutreffen sollten, bleibt die Rüge jedoch vollends schuldig.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
1
  • RS0129286OGH Rechtssatz

    02. März 2017·3 Entscheidungen

    Wenn ein Sachverständiger bei einem sehr allgemeinen Anfangsverdacht von der Staatsanwaltschaft mit nicht weiter determinierten Erhebungen zu einer Straftat, insbesondere ohne Nennung eines konkreten Beweisthemas beauftragt wird und das vorhandene, nicht ohne weiteres aussagekräftige Beweismaterial aufarbeitet und auf ein strafrechtliches Verdachtssubstrat hin untersucht, dann mutiert er von einem unabhängig agierenden Experten, der bei bestehender konkreter Verdachtslage zu einem Problemfeld mit Fachwissen Stellung nehmen soll, zu einem verlängerten Arm der Ermittlungsbehörden und damit funktional zu einem Organ der Ermittlungsbehörde. Je unbestimmter daher der Anfangsverdacht, je unkonkreter der Auftrag der Staatsanwaltschaft an den beigezogenen Experten, also je weniger der Beweiserhebungsauftrag den Kriterien des § 55 StPO entspricht, desto eher muss die darauf aufbauende Befundaufnahme inhaltlich als Ermittlungstätigkeit des beauftragten Gutachters gewertet werden. Insoweit wäre der solcherart eingesetzte Sachverständige mit einem „Anzeigegutachter“ vergleichbar. Wer in derselben Strafsache als Kriminalbeamter tätig war, darf nicht später als Staatsanwalt agieren und umgekehrt. Wer daher inhaltlich als Ermittlungsorgan gewirkt hat, darf darauf folgend nicht als Sachverständiger einschreiten; vielmehr bewirkt eine solche funktional als Ermittlungsorgan erfolgte Vorbefassung als Befangenheitsgrund. Auf dieser Basis besteht für das erkennende Gericht eine Pflicht, das im Ermittlungsverfahren durch einen von der Staatsanwaltschaft bestellten, nicht an die Grundsätze des § 55 StPO gebundenen, einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt erst ermittelnden Experten hervorgerufene prozessuale Ungleichgewicht durch die Bestellung eines neuen Sachverständigen für das Hauptverfahren auszutarieren und damit ein faires Verfahren zu sichern. Solcherart bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken gegen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO.