JudikaturJustiz12Os51/01

12Os51/01 – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. November 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pripfl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 2 StGB über dessen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 18. März 1997, GZ 15 EVr 134/96-25, wurde Franz F***** des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, weil er am 6. Februar 1996 gegen 19,35 Uhr in Wilhelmsburg auf der Lilienfelderstraße als Lenker eines Kombinationskraftwagens in alkoholisiertem Zustand, infolge Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt im Straßenverkehr gegen das von Maria G***** gelenkte beleuchtete Fahrrad stieß, wodurch die Genannte tödliche Verletzungen erlitt. Er beging in weiterer Folge Fahrerflucht und stellte sich erst nach einigen Stunden der Gendarmerie.

Bereits am 13. Dezember 1996 hatte die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten auf Grund dieses Geschehens über den Genannten mit Straferkenntnis eine Geldstrafe verhängt.

Das Oberlandesgericht Wien gab mit Entscheidung vom 24. Juni 1997, AZ 20 Bs 168/97, der Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten keine Folge; durch Gnadenakt des Bundespräsidenten vom 19. Mai 1999 wurde die über ihn verhängte Freiheitsstrafe auf fünf Monate herabgesetzt.

In seinem Urteil vom 29. Mai 2001, Franz F***** gegen Österreich (ÖJZ 2001, 22 MRK 657 = News Letter 2001, 112) traf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auf Grund der gemäß Art 25 MRK vom Antragsteller wegen Verletzung seines Rechtes darauf, nicht zweimal vor Gericht gestellt oder zweimal bestraft zu werden, - soweit hier von Relevanz - die Entscheidung ..... "2. dass eine Verletzung des Art 4 7. ZPMRK stattgefunden hat".

Im Einzelnen führte er dazu - auszugsweise wiedergegeben - aus:

"Der GH wiederholt, dass es das Ziel des Art 4 7. ZP MRK ist, die Wiederholung eines Strafverfahrens das durch eine endgültige (final) Entscheidung abgeschlossen wurde, zu verbieten (vgl das oz Gradinger-U .. Z 53). ....

Im Fall Gradinger wurde der Bf zuerst von den Strafgerichten wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, jedoch wurde er von dem besonderen Tatbestandselement (the special element) nach § 81 Z 2 StGB 'sich fahrlässig in einen Rauschzustand [versetzt zu haben]', wo es eine unwiderlegliche Vermutung der Alkoholisierung bei einem Blutalkohol von 0,8 m/l gab, freigesprochen (acquitted). Er wurde in der Folge von den Verwaltungsbehörden wegen Lenkens 'eines Kraftfahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand' entgegen § 5 Abs 1 und § 99 Abs 1 lit a StVO, wo die Alkoholbeeinflussung bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 g/l als vorhanden angenommen wird, verurteilt....

Im vorliegenden Fall wurde der Bf zuerst von der Verwaltungsbehörde wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss gemäß § 5 Abs 1 und § 99 Abs 1 lit a StVO bestraft. Im nachfolgenden Strafverfahren wurde er wegen fahrlässiger Tötung mit der besonderen Qualifikation nach § 81 Abs 2 'sich in einen Rauschzustand [versetzt zu haben]' verurteilt. Der GH merkt an, dass es zwei Unterschiede zwischen dem Fall Gradinger und dem vorliegenden Fall gibt: die Verfahren wurden in umgekehrter Reihenfolge geführt, und es gab keine Inkonsistenz zwischen der Sachverhaltsbeurteilung der Verwaltungsbehörden und der Strafgerichte, da beide befanden, dass der Bf einen Blutalkoholgehalt von über 0,8 g/l hatte (Z 28)

Der GH erachtete jedoch, dass diese Unterschiede nicht entscheidend sind. Wie bereits oben gesagt, betrifft die Frage, ob der Grundsatz des non bis in idem verletzt ist, die Verwandtschaft zwischen den beiden in Rede stehenden strafbaren Handlungen und kann daher nicht von der Reihenfolge abhängen, in welcher die betreffenden Verfahren geführt werden. Was den Umstand anlangt, dass Herr Gradinger von der besonderen Qualifikation nach § 81 Z 2 StGB freigesprochen (was acquitted of the special element under Article 81 § 2 of the Criminal Code) aber wegen alkoholisierten Fahrens schuldig gesprochen wurde, während der Bf im vorliegenden Fall wegen beider strafbarer Handlungen schuldig erkannt wurde, wiederholt der GH, dass Art 4 7. ZP MRK sich nicht auf das Recht beschränkt, nicht zweimal bestraft zu werden, sondern auch auf das Recht bezieht, nicht zweimal vor Gericht gestellt zu werden. Was im vorliegenden Fall entscheidend ist, dass der Bf auf der Grundlage einer Handlung (on the bases of one act) zweimal vor Gericht gestellt und bestraft wurde, da die Verwaltungsstraftat des alkoholisierten Fahrens nach § 5 Abs 1 und § 99 Abs 1 lit a StVO und die besondere Qualifikation nach Art 81 Z 2 StGB, so wie sie von den Gerichten ausgelegt wird, sich in ihren wesentlichen Elementen nicht unterscheiden (do not differ in their essential elements). (Z 29) .....

Schließlich bemerkt der GH, dass es in einem Fall wie dem vorliegenden dem Vertragsstaat frei bleibt, zu regeln, welche der beiden strafbaren Handlungen verfolgt werden soll. Er merkt weiters an, dass sich die Rechtslage in Österreich im Gefolge des U VfGH 5. 12. 1996 geändert hat, sodass heute die Verwaltungsübertretung des Fahrens unter Alkoholeinfluss gem § 5 Abs 1 und § 99 Abs 1 lit a StVO nicht verfolgt wird, wenn der Sachverhalt auch die besondere Qualifikation der strafbaren Handlung nach Art 81 Abs 2 StVO aufweist. Zur maßgeblichen Zeit jedoch wurde dem Bf wegen beider strafbarer Handlungen, die die gleichen Tatbestandsmerkmale enthielten, der Prozess gemacht, und er wurde wegen beider Straftaten bestraft. (Z 31)

Es hat daher eine Verletzung des Art 4 7. ZP MRK stattgefunden. (Z 32)"

Wie der EGMR in seiner vorliegenden Entscheidung somit ausdrücklich betonte, betrifft die Frage, ob mit der hier aktuellen gesonderten Bestrafung durch Verwaltungsbehörde und Gericht der Grundsatz des ne bis in idem verletzt ist, das Verhältnis "zweier strafbarer Handlungen" (gemeint: Straftatbestände) zueinander und nicht die Reihenfolge, in welcher die betreffenden Verfahren geführt wurden (Z 29). Er hob weiters hervor, dass es in einem Fall, wie dem vorliegenden, dem Vertragsstaat frei bleibt, zu regeln, welche der "beiden" (laut EGMR-Begründung allerdings in ihren wesentlichen Elementen nicht zu unterscheidenden und daher als eine Tat zu verstehenden) strafbaren Handlungen verfolgt werden soll (Z 31).

Rechtliche Beurteilung

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Nach gefestigter Rechtsprechung und Lehre gilt bei Annahme von Idealkonkurrenz für den strafgerichtlichen Bereich - zur Vermeidung zwei- oder mehrfacher Ahndung strafbaren Verhaltens - die Interferenzregelung, wonach - unter der Voraussetzung, dass (aus wertender Sicht) durch eine oder mehrere Handlungen zwei oder mehrere Tatbestände erfüllt wurden und durch Subsumtion unter einen Tatbestand der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfasst wird - eine Bestrafung ausschließlich wegen des vorrangigen - regelmäßig schon durch den in der Strafdrohung zum Ausdruck kommenden höheren gesellschaftlichen Störwert determinierten - Deliktes stattzufinden hat.

Dieser Grundsatz ist (schon) als Konsequenz der Regelung des Art 4 7. ZP MRK auch im Verhältnis idealkonkurrierender strafbarer Handlungen, deren Ahndung zum Teil den Gerichten, zum Teil hingegen den Verwaltungsbehörden übertragen ist, anzuwenden.

Daraus folgt für die hier aktuelle Konkurrenzproblematik zwischen den Tatbeständen nach § 81 Z 2 StGB und § 5 Abs 1 StVO unzweifelhaft die Prävalenz der strafgesetzlichen Bestimmung, weshalb jeder Denkansatz in Richtung Verdrängung der gerichtlich strafbaren Handlung durch das verwaltungsstrafrechtliche Delikt (und zwar nach dem Gesagten unabhängig davon, ob für den verwaltungsstrafrechtlichen Bereich Subsidiaritätsklauseln bestehen oder nicht), vorweg außer Betracht zu bleiben hat.

Lediglich vollständigkeitshalber ist festzuhalten, dass die Annahme eintätiger Deliktskonkurrenz zur hier in Rede stehenden Fallkonstellation die zunächst unfallsunabhängige Annäherung des alkoholisierten Fahrzeuglenkers an den Bereich des Unfallsortes und damit ein Tatsachensubstrat unberücksichtigt lässt, dessen (dem unmittelbaren Unfallsgeschehen vorgelagerter) durchaus eigenständiger Handlungsunwert einer realkonkurrierenden verwaltungsstrafrechtlichen Ahndung (§ 5 Abs 1 StVO) nicht entgegenstünde. Dass echte Konkurrenz sogar in Fällen eindeutig eintätigen Zusammentreffens von Tatbeständen aus unterschiedlichen Sanktionsbereichen in Betracht kommt, zeigt die gefestigte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes im Disziplinarrechtsbereich (VfGH vom 21. 06. 00, B 347/99; vom 24. 06. 99, B 191/99; vom 04. 10. 99, B 2447/97).

Den dargelegten Prävalenzaspekten trug der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 5. Dezember 1996, G 9/96-12 und weitere Zahlen (VfSlg 14.696/1996 = JBl 1997, 447 = ZVR 1997/90), insoweit Rechnung, als er aussprach, dass der Gesetzgeber durch den (seinerzeitigen, zwischenzeitig beseitigten) ausdrücklichen Ausschluss einer gegenüber strafgerichtlichen Verfolgung nur subsidiären verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung nach § 99 Abs 1 lit a StVO in Abs 6 lit c leg cit im Ergebnis eine dem Art 4 Abs 1 7. ZP MRK zuwiderlaufende und daher verfassungswidrige Doppelbestrafung anordnete. Diese, in seinem vorliegenden Erkenntnis zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes berücksichtigt ersichtlich auch der EGMR, indem er in Punkt 2. des Urteilsspruchs feststellt, "dass eine Verletzung des Art 4 7. ZP MRK stattgefunden hat", ohne allerdings eine nach § 363a StPO für eine Erneuerung des Strafverfahrens unabdingbare Konventionsverletzung durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festzustellen. Aber selbst für den Fall des Zutreffens dieser Voraussetzung wäre - worauf die Generalprokuratur zutreffend hinwies - für den Antragsteller nichts gewonnen. Da Urteile des EGMR keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung haben (Frowein/Peukert, MRK2 Art 53 Rz 3 Art 50 Rz 1; RV des StRÄG 1996, 33 BlgNR 20.GP 64 mN), muss eine an der Bundesverfassung orientierte Gesetzesauslegung zum Ergebnis führen, dass § 363a Abs 1 StPO die Strafgerichte keineswegs der Verpflichtung entbindet, die aktuelle innerstaatliche Rechtsordnung zu beachten. Mangels Änderung der von den Strafgerichten zu beachtenden Gesetzeslage könnte deshalb im Wege der beantragten Erneuerung des gerichtlichen Strafverfahrens der Vorwurf der Tatbegehung in einem die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (§ 81 Z 2 StGB) nicht eliminiert werden, sodass sich die Frage eines durch die Verletzung des 7. ZP MRK hervorgerufenen, für den hievon Betroffenen allfällig nachteiligen Einflusses auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung überhaupt nicht stellt. Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher gemäß § 363 Abs 2 Z 3 StPO bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.