JudikaturJustiz12Os2/95

12Os2/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. März 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.März 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr.Madersbacher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Paolo P***** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 2 und 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 12.September 1994, GZ 38 Vr 2087/93-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Presslauer, des Angeklagten Paolo P***** und des Verteidigers Dr.Maurer zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochenen Urteil wurde Paolo P***** von der auf das Verbrechen der teils versuchten, teils vollendeten Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 2 und 15 StGB lautenden Anklage, am 5.Juni 1993 in Niederndorf den Fritz K***** mit Gewalt, indem er ihm wiederholt Schläge gegen das Gesicht versetzte, sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, nämlich durch die Äußerung:

"Lutschen oder Sterben" zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich

a) zur Duldung eines Oralverkehrs genötigt sowie

b) zur Duldung eines Analverkehrs zu nötigen versucht zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Das Schöffengericht stellte fest, daß es zwischen dem Angeklagten und Fritz K***** zu homosexuellen Handlungen kam. Hiebei nahm Fritz K***** das Glied des Angeklagten in den Mund. In der Folge wollte der Angeklagte sein Glied in den After des Fritz K***** einführen. Er ließ jedoch schließlich davon ab, weil Fritz K***** durch den Versuch des Eindringens Schmerzen verspürte und aufschrie.

Zusätzliche Feststellungen im Sinne des Anklagevorwurfes, wonach der Angeklagte zwecks Herbeiführung dieser Geschlechtsakte dem Fritz K***** Schläge versetzt und ihn verbal bedroht habe, wurden vom Erstgericht nicht getroffen. Damit folgte das Gericht bei den Sachverhaltsannahmen der Verantwortung des Angeklagten und billigte der Zeugenaussage des Fritz K***** über die Unfreiwilligkeit des sexuellen Geschehens und die Nötigungshandlungen unter Hervorhebung von dessen Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Geschehens keine ausreichende Beweiskraft zu. Es resümierte abschließend, daß insgesamt "Momente" in der Aussage des Zeugen "in Verbindung mit der bei ihm festgestellten Verletzung" für die Richtigkeit seiner Darstellung sprechen, aber jedenfalls die Verantwortung des Angeklagten über das Unterbleiben von Nötigungsakten nicht widerlegbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Anklagebehörde bekämpft den Freispruch mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Darin zieht die Staatsanwaltschaft zwar zum Teil Elemente der unanfechtbaren Beweiswürdigung in Beschwerde, wendet darüber hinaus jedoch zusätzlich mit Recht ein, daß der erstgerichtliche Ausspruch über die fehlende Feststellbarkeit von Aggressionshandlungen gegen den Zeugen K***** schon im Hinblick auf dessen Verletzungen offenbar unzureichend und unvollständig begründet wurde.

Nach dem Vorfall wies Fritz K***** laut ärztlichem Befund (53 ff) neben einer Schleimhautabschürfung in der Analgegend noch folgende Verletzungen auf: Im Gesicht eine leichte Weichteilschwellung der linken Wangen - Jochbogengegend sowie eine Einblutung in die linke weiße Augenhaut; am Hals etwa unterhalb des linken Ohrläppchens drei umschriebene fingerbeerengroße Weichteilrötungen mit angedeuteter Schürfung der Oberhaut sowie unterhalb des rechten Unterkieferbogens eine ähnliche Beschädigung. Der Sachverständige für gerichtliche Medizin Dr.U***** bezeichnete die Entstehungsschilderungen des Zeugen K*****, der behauptete, vom Angeklagten Ohrfeigen erhalten zu haben, als verletzungskonform (57). Er führte die Körperbeschädigungen im Gesicht auf eine stumpfmechanische Gewalteinwirkung (mäßigen Grades) zurück und verneinte insoweit ausdrücklich das Vorliegen typischer Sturzverletzungen (55 und 136). Die Spuren am Hals charakterisierte der Sachverständige als Zupackverletzungen "ähnlich einer normalen Vergewaltigung" (136).

Die hiezu angestellten, überwiegend spekulativen Urteilsüberlegungen des Erstgerichtes, die Gesichtsverletzungen K*****s könnten durch einen allfälligen Sturz des alkoholisierten Zeugen, die Halsverletzungen hingegen im Zuge freiwilliger sexueller Annäherung verursacht worden sein, waren primär eine offenbar unzureichende Auseinandersetzung mit diesen Hinweisen auf eine gewaltsame Attacke, weil entgegen der entwickelten Auffassung von einer "leichten" Erklärbarkeit (US 4) der aggressionsspezifischen Verletzungen im Gesicht durch ein mögliches Sturzgeschehen keine Rede sein kann und die für unwiderlegt befundene Verantwortung des Angeklagten ein heftiges Zupacken in der Halsgegend des Zeugen überhaupt nicht erwähnte.

Soweit das Erstgericht zudem noch nicht darauf einging, daß das Gutachten des Sachverständigen Dr.U***** gegen das Vorliegen von Sturzverletzungen sprach und eine Ähnlichkeit der Halsverletzungen mit den Zupackfolgen bei Vergewaltigungen hervorhob, blieben Beweisumstände unberücksichtigt, welche den maßgeblichen richterlichen Schlußfolgerungen direkt zuwiderliefen und demgemäß sorgfältig und gewissenhaft zu erörtern gewesen wären. Das Unterbleiben derartiger Darlegungen zu einem Ausspruch über eine entscheidende Tatsache zieht die Unvollständigkeit der Urteilsgründe in der Bedeutung der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO nach sich, sodaß spruchgemäß zu entscheiden war.

Der Vollständigkeit halber sei noch in rechtlicher Hinsicht zur Anklage angemerkt, daß einerseits im vorgeworfenen Sachverhalt die für eine selbständige gesonderte Zurechnung einer Vergewaltigung und eines nachfolgenden Vergewaltigungsversuches erforderliche willensmäßige Eigenständigkeit des Täterverhaltens im Sinne einer Deliktswiederholung nicht zum Ausdruck kommt und andererseits ohndies

das als Versuch angelastete Verhalten richtig als Tatvollendung zu beurteilen wäre (EvBl 1991/13 = JBl 1991, 225 = NRsp 1990/236).