JudikaturJustiz12Os142/23h

12Os142/23h – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Drach in der Strafsache gegen * B* und eine andere Angeklagte wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB, AZ 64 Hv 63/22v des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. September 2023, AZ 9 Bs 77/23a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Schreiber, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. September 2023, AZ 9 Bs 77/23a, verletzt im Kostenersatzausspruch

1./ durch die Verpflichtung der Angeklagten * B* (vormals P*) und A* P* zum Ersatz auch der auf die ganz erfolglos gebliebene Berufung der Privatbeteiligten Gemeinde M* entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens § 390a Abs 1 erster Satz StPO sowie

2./ durch die Unterlassung einer Verpflichtung der Privatbeteiligten Gemeinde M* zum Ersatz der auf ihre ganz erfolglos gebliebene Berufung entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens § 390a Abs 1 zweiter Satz StPO.

Der Kostenersatzausspruch des genannten Urteils wird dahin ergänzt, dass gemäß § 390a Abs 1 erster Satz StPO die Kostenersatzpflicht der Angeklagten * B* und A* P* um die auf die ganz erfolglos gebliebene Berufung der Privatbeteiligten Gemeinde M* entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens eingeschränkt und der Letztgenannten gemäß § 390a Abs 1 zweiter Satz StPO der Ersatz der auf ihre ganz erfolglos gebliebene Berufung entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegt wird.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. Dezember 2022, GZ 64 Hv 63/22v 31, wurden * B* (vormals P*) und A* P* jeweils des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB, (Letztgenannte auch nach § 12 dritter Fall StGB) schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

[2] Sowohl die Angeklagten als auch die mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesene Privatbeteiligte Gemeinde M* erhoben gegen dieses Urteil Berufung.

[3] Mit Urteil vom 27. September 2023, AZ 9 Bs 77/23a (ON 44 der Hv Akten), wies das Oberlandesgericht Graz die Berufung der Privatbeteiligten zurück und gab den Berufungen der Angeklagten nicht Folge. Gemäß § 390a Abs 1 StPO verpflichtete es die Angeklagten zum Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens. Eine Verpflichtung der Privatbeteiligten zum Ersatz der durch ihr erfolglos gebliebenes Rechtsmittel verursachten Kosten unterblieb, „weil die Berufung keine (weitergehenden) Kosten verursacht hat“ (US 14).

Rechtliche Beurteilung

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht dieser Kostenausspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[5] Gemäß § 390a Abs 1 erster Satz StPO fallen den nach §§ 389 und 390 StPO zum Kostenersatz Verpflichteten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last, sofern sie nicht durch ein ganz erfolglos gebliebenes Rechtsmittel des Gegners verursacht worden sind. Der Verurteilte hat demnach die Kosten des Rechtsmittelverfahrens über ein gänzlich erfolgloses Rechtsmittel seines Gegners, sei es die Staatsanwaltschaft, der Privatankläger oder der Privatbeteiligte, niemals zu ersetzen. Ist ein derart erfolgloses Rechtsmittel vom Privatankläger oder vom Privatbeteiligten ergriffen worden, so ist diesem der Ersatz der dadurch verursachten Kosten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens aufzuerlegen (§ 390a Abs 1 zweiter Satz StPO; RIS Justiz RS0108345).

[6] Ganz erfolglos ist ein Rechtsmittel dann, wenn dem Rechtsmittelantrag in keinem Punkt Folge gegeben wurde, was auch für ein – wie vorliegend – unzulässiges Rechtsmittel gilt (RIS Justiz RS0108345 [T10]; Lendl , WK StPO § 390a Rz 8). Die besonderen Kosten des Verfahrens über ihr erfolgloses Rechtsmittel haben Privatankläger und Privatbeteiligter unabhängig davon zu ersetzen, ob auch der Verurteilte ein Rechtsmittel eingelegt hat (vgl Lendl , WK StPO § 390a Rz 8). Auf den Umfang des auf dieses erfolglose Rechtsmittel entfallenden zusätzlichen Aufwands im Rechtsmittelverfahren kommt es bei dieser grundsätzlichen Kostenentscheidung nicht an (15 Os 48/20b mwN).

[7] Im vorliegenden Fall hat es das Oberlandesgericht als Berufungsgericht unterlassen, die auf die ganz erfolglos gebliebene Berufung der Privatbeteiligten entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens von der Ersatzpflicht der Angeklagten auszunehmen. Korrespondierend dazu unterblieb auch der Ausspruch über die Verpflichtung der Privatbeteiligten zum Ersatz der auf ihre gänzlich erfolglose Berufung entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

[8] Diese Gesetzesverletzung gereicht den Angeklagten zum Nachteil (§ 292 letzter Satz StPO). Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, deren Feststellung – ungeachtet des damit für die Privatbeteiligte verbundenen Nachteils – mit konkreter Wirkung zu verbinden (vgl 15 Os 48/20b; Ratz , WK StPO § 292 Rz 29), ist doch – nach Ausschöpfung des Rechtswegs durch die Angeklagten – die viermonatige Frist zur Einbringung eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS Justiz RS0122228), das heißt ohne vorangegangenes Urteil des EGMR, noch offen, sodass die Privatbeteiligte noch nicht auf den endgültigen Bestand des Kostenersatzausspruchs vertrauen durfte (vgl RIS Justiz RS0124798 [T2]), womit Art 1 des 1. ZP MRK deren (teilweiser) Aufhebung nicht entgegensteht.