JudikaturJustiz12Os127/85

12Os127/85 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Oktober 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Oktober 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Zimmermann als Schriftführer in der Strafsache gegen Josip A wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29.März 1985, GZ. 9 e Vr 11270/84-28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im Schuld- und Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josip A des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. schuldig gesprochen, weil er am 23.August 1984 in Wien seine Gattin Radojka B durch Versetzen von Schlägen und Fußtritten

vorsätzlich am Körper durch einen Bluterguß am linken Unterschenkel und an der rechten Gesäßbacke verletzt hat.

Von der gegen ihn erhobenen Anklage, am 23.Juli 1984 versucht zu haben, Radojka B durch gefährliche Drohung mit dem Umbringen dazu zu nötigen, ihre Schwangerschaft abzubrechen, wurde der Angeklagte rechtskräftig freigesprochen.

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 3, 4, 5 und 9 lit. a StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und den Strafausspruch mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Schon die Mängelrüge ist berechtigt.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes versetzte der Angeklagte am 23.August 1984 seiner im vierten Monat schwangeren Ehegattin im Verlauf einer Auseinandersetzung in 'Verletzungsabsicht' Schläge und Fußtritte. Durch diese erlitt Radojka B einen Bluterguß im Bereich des linken

Unterschenkels und der rechten Gesäßbacke. Es handelt sich hiebei einzeln und im Zusammenwirken um an sich leichte Verletzungen mit einer Gesundheitsschädigung von mehr als dreitägiger, jedoch weniger als vierzehntägiger Dauer. Bei diesem Vorfall war außer dem Angeklagten und seiner Frau keine dritte Person anwesend. Da Radojka B in der Hauptverhandlung von ihrem Entschlagungsrecht (§ 152 Abs. 1 Z. 1 StPO.) Gebrauch machte, wurden ihre Angaben vor der Polizei gemäß § 252 Abs. 2 StPO. verlesen (S. 108). Dem angefochtenen Urteil ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob das Schöffengericht der Aussage der Verletzten vor der Polizei folgt. Es konstatiert lediglich, daß ihre Darstellung in der Anzeige von der Aussage im Kommissariat nicht unerheblich abweicht, und daß die in der Niederschrift (S. 31, 32) deponierte Version, der Angeklagte habe sie nach dem Versetzen von Ohrfeigen auf das Bett geworfen und mehrfach mit Holzschlapfen gegen ihre Beine getreten, mit den vom Amtsarzt festgestellten Verletzungen in Einklang zu bringen ist. Das Erstgericht spricht aber nicht aus, ob es nun ihrer Aussage vor der Polizei Glauben schenkt oder nicht. Im Rahmen der Beweiswürdigung kommt das Schöffengericht zu dem Schluß, daß die Richtigkeit der Verantwortung des Angeklagten, er habe seiner Gattin einen Stoß versetzt, wobei sie auf das Bett fiel und sich dabei verletzt habe, aufgrund der Verletzungsfolgen nicht mit Sicherheit auszuschließen sei, meint aber, daß aus der Annahme eines solchen Tatvorganges aus rechtlicher Sicht für den Angeklagten kein Gewinn zu ziehen sei, weil noch immer das Tatbild des § 83 Abs. 2 StGB. erfüllt wäre (S. 125, 127). In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte wörtlich ausgesagt: 'Sie (die Verletzte) hat mit einem Glas nach mir geworfen und ist dann zu mir gegangen, um auf mich loszugehen. Ich habe sie weggeschoben, da kann sie sich vielleicht beim Bett angeschlagen haben. Vielleicht stammen davon diese blauen Flecken .... Ich habe sie nur an der Schulter genommen und habe sie zurückgeschoben, dabei kann sie sich am Bett angestoßen haben' (S. 93). Die Urteilsannahme, der Angeklagte habe seiner Gattin einen Stoß versetzt - die Beweisgrundlage für diese Annahme ist dem Erkenntnis nicht zu entnehmen - findet somit in der Verantwortung des Angeklagten, deren Richtigkeit vom Erstgericht nicht ausgeschlossen wird, keine hinreichende Deckung. Wenn man aber dieser Verantwortung folgt, ist der Tatbestand nach § 83 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB. nicht erfüllt, denn das bloße Zurückschieben ist im Regelfall noch keine vorsätzliche Körperverletzung oder Mißhandlung. Eine Beurteilung, ob die Voraussetzungen einer fahrlässigen Körperverletzung im Sinne des § 88 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB. gegeben sind, oder ob allenfalls eine Notwehrsituation vorlag, fehlt ebenfalls.

Das Urteil leidet somit im Ausspruch über entscheidende Tatsachen an Begründungsmängel im Sinne des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. Die formelle Voraussetzung des (relevierten) Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z. 4 StPO., daß über einen Antrag des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung nicht oder nicht im Sinne des Antragstellers entschieden wurde, fehlt im vorliegenden Fall, weil sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht gegen die Verlesung des Polizeiprotokolls ausgesprochen hat (Mayerhofer/Rieder 2 , § 281 Z. 4 StPO., ENr. 1, 4). Der Oberste Gerichtshof findet auch keinen Anlaß, von seiner ständigen Rechtsprechung zu § 281 Abs. 1 Z. 3 StPO. abzugehen, daß die Verlesung eines mit einem Zeugen - nach vorheriger Belehrung über sein Entschlagungsrecht - aufgenommenen Protokolls in der Hauptverhandlung zulässig und geboten ist, auch dann, wenn sich der Zeuge in einem späteren Verfahrensabschnitt seiner Aussage entschlagen hat (Mayerhofer/Rieder 2 , § 252 StPO., ENr. 86 bis 91, 124, 125).

Eines näheren Eingehens auf diese und die weiteren in der Beschwerde ausgeführten Nichtigkeitsgründe erübrigt sich aber, weil eine Aufhebung des Urteils aus dem Grunde des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. erforderlich ist.

Die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung ist nicht zu vermeiden, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst hat noch nicht einzutreten. Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285 e StPO. bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im Schuldspruch und demzufolge auch im Strafausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.