JudikaturJustiz12Os122/99

12Os122/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Handler als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jaroslav D***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 und Abs 4 Z 3 SMG, AZ 7 Vr 239/99 des Landesgerichtes Eisenstadt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil vom 31. März 1999, GZ 7 Vr 239/99-33, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, und des Verteidigers Mag. Martin, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 31. März 1999, GZ 7 Vr 239/99-33, verletzt im Strafausspruch das Gesetz (auch) in der Bestimmung des § 43a Abs 3 letzter Satz StGB.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 31. März 1999, GZ 7 Vr 239/99-33, wurde Jaroslav D***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt und unter Anrechnung der seit 1. Februar 1999 andauernden Untersuchungshaft zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Einen Strafteil (die Strafhälfte) von zweieinhalb Jahren sah das Schöffengericht gemäß §§ 41 Abs 3, 43a Abs 3 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nach.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Strafausspruch richtet sich die vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, mit der - allein aus der Sicht der bei teilbedingter Strafnachsicht gesetzlich determinierten Relation zwischen einerseits dem bedingt nachgesehenen und andererseits dem unbedingt ausgesprochenen Strafteil - zutreffend ein Verstoß gegen § 43a Abs 3 letzter Satz StGB aufgezeigt wird, weil der nicht bedingt nachgesehene Teil der Strafe nach dieser Gesetzesbestimmung (anders als die an der Strafhälfte orientierte Differenzierung im konkreten Fall) ein Drittel der Strafe nicht übersteigen darf. Die hier unterlaufene Gesetzesverletzung war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde festzustellen.

Diese Gesetzesverletzung erlaubte jedoch nach Lage des Falles kein Vorgehen nach § 292 letzter Satz StPO, weil sich der in Rede stehende erstinstanzliche Strafausspruch - bei gebotener umfassender Betrachtung - im Ergebnis für den Verurteilten gar nicht nachteilig auswirkte, ihn vielmehr in (unbekämpft gebliebener) gesetzlich nicht gedeckter Weise begünstigte. Dies aus nachstehenden Erwägungen zu § 41 Abs 3 StGB, aus denen sich der erkennende Senat jener Überzeugung von der Anwendbarkeit teilbedingter Strafnachsicht ohne Rücksicht auf ein Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafe durch außerordentliche Strafmilderung, die der in der Beschwerdeausführung zutreffend zitierten Vorentscheidung (13 Os 111/98) zugrundelag, nicht anzuschließen vermag:

Voranzustellen ist zunächst, dass die gesetzliche Regelung der außerordentlichen Strafmilderung, für die nach traditionellem Verständnis ein (vom Vorliegen bestimmter Ausnahmekriterien abhängiges) Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafdrohung begriffsessentiell ist, durch das Bundesgesetz über "besondere Ermittlungsmaßnahmen" vom 19. August 1997, BGBl I Nr 105/1997, erweitert wurde. Zur Unterscheidung von der sogenannten "kleinen Kronzeugenregelung" laut neu eingeführtem § 41a StGB über die "Außerordentliche Strafmilderung bei Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden" wurde § 41 StGB nunmehr mit "Außerordentlicher Strafmilderung bei Überwiegen der Milderungsgründe" überschrieben und (in seiner sonst unverändert gebliebenen Fassung) durch den neuen Absatz 3 ergänzt, wonach die §§ 43 und 43a StGB auch angewendet werden können, wenn auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei bzw drei Jahren erkannt wird oder zu erkennen wäre (BGBl I Nr 105/1997 Art II Z 1 und 2). Diese neue Bestimmung über den erweiterten Anwendungsbereich (teil-)bedingter Strafnachsicht normiert keine dafür maßgebenden Kriterien, ist daher - durchaus im Einklang mit seiner legistischen Konzeption als bloßer Folgeabsatz - eindeutig als Annex zu den Vorabsätzen und im Zusammenhang mit diesen zu verstehen, weshalb seine Anwendbarkeit im Einzelfall unabdingbar davon abhängt, dass - wie in § 41 Abs 1 StGB gefordert - die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen und begründete Aussicht besteht, dass der Täter auch bei Verhängung einer das gesetzliche Mindestmaß unterschreitenden Freiheitsstrafe keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, sohin von der außerordentlichen Strafmilderung durch Unterschreiten des gesetzlichen Strafmindestmaßes auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Liegen nämlich die Voraussetzungen nach § 41 Abs 1 StGB vor, so ist das gesetzliche Strafmindestmaß regelmäßig zu unterschreiten, weil das Gesetz keine Kriterien nominiert, nach denen dessen ungeachtet keine geringere als die gesetzliche Mindeststrafe auszusprechen wäre, diesfalls die Nichtanwendung des § 41 StGB auf eine rechtsstaatlich bedenkliche richterliche Willkür hinausliefe (vgl dazu H. Mayer MKK B-VG**2 Art 130 Anm II 2). "Kann" im Sinne des § 41 Abs 1 StGB bedeutet nichts anderes als die Klarstellung in der Richtung, dass in den Fällen außerordentlicher Strafmilderung die absolute Bindung der sonst relevanten Untergrenze der gesetzlichen Strafdrohung nach Maßgabe der Ziffern 1 bis 5 leg cit in jeweils herabgesetzter Dimension zu beachten ist. Die ersichtlich aus der Neufassung der Überschrift zu § 41 StGB abgeleitete Auffassung, wonach die Anwendbarkeit des § 41 Abs 3 StGB allein vom beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe ohne jede Relevanz der weiteren in § 41 Abs 1 StGB normierten Bedingung abhängen soll, setzt sich darüber hinweg, dass die neue Überschrift lediglich der Differenzierung zwischen § 41 und § 41a StGB dient.

Wenn in der neuen Bestimmung des § 41a Abs 1 StGB die außerordentliche Strafmilderung durch Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafe nach Maßgabe des § 41 StGB bei Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden eröffnet und dazu unmittelbar anschließend (im Folgesatz desselben Absatzes) die "entsprechende" Geltung des § 41 Abs 3 StGB über die (teil-)bedingte Strafnachsicht normiert wird, so kommt auch dadurch die gesetzesgewollte Koppelung der letzterwähnten Milderungskomponente an die Anwendung außerordentlicher Strafmilderung durch Unterschreiten des gesetzlichen Mindestmaßes der Strafe zum Ausdruck.

Im Einklang damit wird in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ausgeführt (49 der Beilagen S 26), dass "für die Fälle der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 und § 41a" es dem Gericht ermöglicht werden soll, zwar das Gewicht des Fehlverhaltens und die Schwere der verschuldeten Rechtsgutbeeinträchtigung deutlich zum Ausdruck zu bringen, zugleich aber gegebenenfalls von der Verhängung einer (zur Gänze) unbedingten Freiheitsstrafe abzusehen. Die - nach den Gesetzesmaterialien demnach ausdrückliche - Ausrichtung der neuen Bestimmung des § 41 Abs 3 StGB (bzw § 41a Abs 1 letzter Satz StGB) auf die (begriffsessentiell von einem Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafdrohung gekennzeichneten) Fälle der außerordentlichen Strafmilderung macht nach ihrem klaren Wortlaut deutlich, dass immer (und ausschließlich) dann, wenn außerordentliche Strafmilderung angewendet wird, nach der neuen Rechtslage nunmehr zusätzlich die für diesen Bereich eröffnete Problematik einer allfälligen (teil-)bedingten Nachsicht von Freiheitsstrafen im Ausmaß von mehr als zwei (§§ 43 Abs 1, 43a Abs 3 StGB) bzw drei (§ 43a Abs 4 StGB) Jahren jedoch weniger als der jeweiligen gesetzlichen Untergrenze zu prüfen ist, während der Ausspruch einer das gesetzliche Mindestmaß zumindest erreichenden Strafe (nach wie vor) keinen "Fall der außerordentlichen Strafmilderung" darstellt. Nur so ist es auch zu erklären, dass die Gesetzesmaterialien keinen wie immer gearteten Hinweis auf ein zur außerordentlichen Strafmilderung prinzipiell modifiziertes Begriffsverständnis enthalten, wie er sich von selbst verstünde, wenn die in Rede stehende Neuregelung tatsächlich ein vom Unterschreiten der Mindestgrenze unabhängiges Alternativinstrument außerordentlicher Strafmilderung in Form (teil-)bedingter Strafnachsicht zum Gegenstand hätte und solcherart eine nicht näher determinierte Abkehr von der bisher für diese Rechtswohltat (aus guten Gründen) peniblen Anknüpfung an die Höchstdauer der jeweils ausgesprochenen Strafe bedeutete. Wird nämlich die gesetzliche Mindeststrafe nicht unterschritten, so liegt (nach wie vor) kein Fall außerordentlicher Strafmilderung als unabdingbare Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 41 Abs 3 StGB vor. Dementsprechend ist (uneingeschränkt) auch weiter daran festzuhalten, dass kein Raum für die Anwendung des § 41 StGB bleibt, wo eine gesetzliche Strafdrohung keine Untergrenze enthält (Foregger-Fabrizy StGB7 Rz 1 zu § 41).

Soweit in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage vergleichsweise auf die Regelung des § 5 Z 9 JGG verwiesen wird, wird damit sinnfällig klargestellt, dass die exzeptionelle Lösung der Anwendung (teil-)bedingter Strafnachsicht vom Kriterium einer bestimmten Höchstdauer der ausgesprochenen Strafe ausschließlich in priviligierten Sanktionsbereichen, nämlich dort im Rahmen der für Jugendstraftaten reduzierten Strafdrohungen, hier nach Maßgabe außerordentlicher Strafmilderung zum Tragen kommen kann. Eine stichhältige Untermauerung der in der Beschwerdeausführung zitierten Vorjudikatur lässt sich daraus aber ebenso wenig ableiten, wie aus den Erläuterungen zum Wegfall der §§ 43 Abs 1 letzter Satz und 43a Abs 5 StGB aF, die lediglich verdeutlichen, dass der bis zur Neuregelung in Geltung gestandene apodiktische Ausschluss (teil-)bedingter Strafnachsicht in Fällen mit lebenslanger oder mindestens zehnjähriger Freiheitsstrafe bedrohter strafbarer Handlungen in atypischen Fallkonstellationen eine sachlich nicht gerechtfertigte Beschneidung richterlicher Sanktionsmöglichkeiten darstellte.

Auf der Basis dieser Überlegungen widersprach die bei Ausspruch einer gesetzlichen Mindeststrafe - zum Vorteil des Verurteilten - unterlaufene (unbekämpft gebliebene) Anwendung der §§ 41 Abs 3, 43a Abs 3 StGB dem Gesetz, was bei der konkreten Fallkonstellation mangels eröffneter Korrekturmöglichkeit allerdings auf sich zu beruhen hat: Die vorweg fehlende gesetzliche Fundierung der Anwendung (teil-)bedingter Strafnachsicht überhaupt hat nämlich zur Folge, dass der bei der Dimensionierung des bedingt nachgesehenen und des unbedingt ausgesprochenen Strafteils unterlaufene Rechtsfehler - wie bereits dargelegt - einer den Verurteilten - zusätzlich - favorisierenden konkreten Behebung nicht zugänglich ist. Davon ausgehend musste es mit der entsprechenden Feststellung sein Bewenden haben.