JudikaturJustiz12Os110/13p

12Os110/13p – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Jänner 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Nagl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Herwig B***** wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 Hv 38/11f des Landesgerichts Linz, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Linz vom 16. Dezember 2011, GZ 20 Hv 38/11v 79, wurde Mag. Herwig B***** des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt, hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB angeordnet. Seiner dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe und des Ausspruchs über die Privatbeteiligtenansprüche gab das Oberlandesgericht Linz mit Urteil vom 7. Februar 2013, AZ 8 Bs 227/12g, nicht Folge (ON 128).

Dagegen richtet sich der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens des Verurteilten, in dem dieser eine Verletzung von Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs mit einem auf § 363a StPO gestützten Antrag auch ohne vorheriges Erkenntnis des EGMR zulässig. Demnach ist die Erneuerung des Strafverfahrens nur dann möglich, wenn der Oberste Gerichtshof selbst eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts feststellt (vgl RIS Justiz RS0122229). Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvorraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl RIS Justiz RS0122737 [T13]).

In diesem Sinne geht der Erneuerungswerber mit seinem im Berufungsverfahren eben gerade nicht geltend gemachten Einwand, die Sachverständige Prim. Dr. K***** sei zu keinem Zeitpunkt als Sachverständige in einer Liste allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger eingetragen gewesen, mangels Erschöpfung des Instanzenzugs schon im Ansatz fehl.

Soweit mit dem diesbezüglichen Vorbringen einmal mehr die mangelnde Sachkunde der beigezogenen Sachverständigen moniert wird, so ist dies nach Erstattung von Befund und Gutachten nicht mehr zulässig (RIS Justiz RS0115712; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 373; Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 58 und 68). Diesbezüglich ist auch auf den einen inhaltsgleichen Erneuerungsantrag desselben Antragstellers erledigenden Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 15. Mai 2012, 14 Os 2/12v, zu verweisen.

Der Erneuerungswerber zeigt zwar zutreffend auf, dass die Sachverständige Prim. Dr. K***** in ihrem schriftlichen Gutachten vom 18. Mai 2010 von „elf forensisch psychiatrischen Kriterien“ entsprechend der „Liste der Prognosekriterien nach Dittmann“ ausgeht und dass der in der Fachliteratur zitierte Kriterienkatalog von Prof. Dr. Volker Dittmann zwölf Kriterien benennt (siehe dazu auch die Auflistung in der Berufung ON 89, S 4 f). Entgegen dem Antragsvorbringen setzte sich die Sachverständige in ihrem Gutachten jedoch sehr wohl wenn auch nicht im Rahmen einer punktuellen Aufzählung mit sämtlichen Prognosekriterien auseinander, wobei sie einerseits neun Kriterien explizit als ungünstig beurteilte und damit zu einer ungünstigen Gesamtprognose gelangte und sich andererseits zu den Punkten 1./ („Analyse der Anlasstat[en]“), 5./ („Soziale Kompetenz“) und 11./ („Sozialer Empfangsraum bei Lockerung, Urlaub, Entlassung“) - soweit ohne unmittelbare Befundung des Verurteilten überhaupt möglich - zumindest im Rahmen der gutachterlichen Ausführungen äußerte (s ON 4a S 129 f u 133 f [1./], 117, 125 f u 137 [5./], 117 u 147 [11./]), diese aber keiner abschließenden Beurteilung für die prognostische Einschätzung zuführte. Indem der Antragsteller aber lediglich unspezifisch eine Diskrepanz betreffend die Anzahl der Punkte einer Kriterienliste aufzeigt, ohne konkret zu benennen, welches der nicht ausdrücklich angeführten Kriterien für ihn günstig zu beurteilen gewesen wäre und demzufolge zu einer insgesamt positiven Prognose geführt hätte, trägt er der an Erneuerungsanträge zu stellenden Anforderung, deutlich und bestimmt darzulegen, worin die Grundrechtsverletzung zu erblicken ist (RIS Justiz RS0124359), nicht Rechnung. Zudem ist auch nicht nachvollziehbar, inwiefern ein gar nicht somit auch nicht zum Nachteil des Verurteilten in Anschlag gebrachtes Prognosekriterium geeignet sein soll, einen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der bekämpften strafgerichtlichen Entscheidung auszuüben (vgl Reindl-Krauskopf , WK StPO § 363a Rz 6 ff).

Das Vorbringen des Erneuerungswerbers zur behaupteten Verletzung im speziell das Fragerecht gegenüber Zeugen garantierenden Fairnessgebot nach Art 6 Abs 3 lit d MRK durch die Abweisung bzw Nichterledigung von „im erstinstanzlichen Verfahren“ (ohne Angabe von Fundstellen im Akt) gestellten Anträgen auf Einvernahme „der Zeugen W***** und 'M*****'“ orientiert sich nicht einmal an seinem Vorbringen in der Berufung wegen Nichtigkeit (ON 89 S 3 f), mit dem nur die Unterlassung der Einvernahme des Zeugen W***** gerügt wurde. Weiters entbehrt es einer (substantiellen) Auseinandersetzung mit den Begründungserwägungen des Oberlandesgerichts (US 4), wonach der Zeuge W***** ohnehin vernommen wurde (vgl ON 71, S 35 f), sodass den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Erneuerungsantrags nicht genüge getan wird (RIS Justiz RS0124359).

In Ansehung der von der Berufung ungerügten Abweisung des Antrags auf Einvernahme des Zeugen „M*****“ ist der Antragsteller einmal mehr auf die fehlende Erschöpfung des Instanzenzugs zu verweisen.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war der Erneuerungsantrag daher zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Rechtssätze
2
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.