JudikaturJustiz12Os100/05f

12Os100/05f – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Oktober 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wagner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard R***** wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB, AZ 11 U 210/04x des Bezirksgerichtes Leibnitz, über die vom Generalprokurator gegen 1.) den Beschluss des Bezirksgerichtes Leibnitz vom 5. November 2004 (ON 6) sowie 2.) den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht vom 1. Februar 2005, AZ 1 Bl 129/04 (ON 9 der U-Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, sowie des Vertreters der Subsidiaranklägerin Martgemeinde Hainsdorf im Schwarzautal, Rechtsanwalt Dr. Solic, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Subsidiaranklageverfahren AZ 11 U 210/04x des Bezirksgerichtes Leibnitz verletzen

1.) der Beschluss des Bezirksgerichtes Leibnitz vom 5. November 2004, mit dem das Strafverfahren gegen Gerhard R***** gemäß § 451 Abs 2 StPO eingestellt wurde (ON 6), und

2.) der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Beschwerdegericht vom 1. Februar 2005, AZ 1 Bl 129/04, mit dem die Beschwerde der Privatbeteiligten gegen den vorgenannten Beschluss als unbegründet zurückgewiesen wurde (ON 9 der U-Akten), soweit in deren Begründung dem mit einer Empfangsbestätigung versehenen Schreiben der Gemeinde Hainsdorf im Schwarzautal an Gerhard R***** vom 15. Juni 2004 die Eignung als Urkunde gemäß § 74 Abs 1 Z 7 StGB abgesprochen wurde,

das Gesetz in der genannten Bestimmung.

Text

Gründe:

Laut Anzeige des Gendarmeriepostens Wolfsberg im Schwarzautal vom 30. Juni 2004 ist Gerhard R***** verdächtig, am 15. Juni 2004 im Gemeindeamt Hainsdorf im Schwarzautal eine an ihn gerichtete, bereits mit der schriftlichen Empfangsbestätigung seines Vaters Josef R***** versehene schriftliche Vorladung vom selben Tag (zu einer zwecks vereinfachter Erledigung eines Verbesserungsauftrages für den 28. Juni 2004, 17.00 Uhr anberaumten Besprechung mit dem Bürgermeister und einem Baumeister, die der Abklärung dienen sollte, welche Unterlagen für eine von ihm angesuchte Benützungsbewilligung erforderlich wären - S 17) unter einem Vorwand an sich gebracht und in der Folge unterdrückt zu haben (GZ 11 U 210/04x-2 des Bezirksgerichtes Leibnitz).

Nachdem die Bezirksanwältin beim Bezirksgericht Leibnitz die Anzeige am 13. Juli 2004 gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt hatte (ON 1), brachte die Marktgemeinde Hainsdorf im Schwarzautal als Subsidiaranklägerin beim Bezirksgericht Leibnitz einen Antrag auf Bestrafung des Gerhard R***** wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB ein und schloss sich mit der Behauptung, infolge erhöhten Verwaltungsaufwandes einen finanziellen Schaden in Höhe von 200 EUR erlitten zu haben, dem Verfahren als Privatbeteiligte an (ON 3).

Mit Beschluss vom 5. November 2004, GZ 11 U 210/04x-6, stellte das Bezirksgericht Leibnitz dieses Verfahren gemäß § 451 Abs 2 StPO mit der Begründung ein, dem in Rede stehenden Schriftstück fehle mangels Rechtserheblichkeit ihres Inhaltes der Charakter einer Urkunde im Sinn des § 74 Z 7 (seit dem StRÄG 2002 richtig: § 74 Abs 1 Z 7) StGB. Aus dem vom unterdrückten Schreiben nachträglich hergestellten Computerausdruck (Beilage ./3 zu ON 2 = S 17) gehe hervor, dass es sich hiebei nur um eine unverbindliche Einladung in das Gemeindeamt zu einer Besprechung am 28. Juni 2004 „zur Abklärung noch fehlender Unterlagen" gehandelt habe. Selbst unter der Annahme, dass dieses Schreiben (wie im „Betreff" angeführt wurde) einen Verbesserungsauftrag darstelle, komme ihm rechtliche Bedeutung nicht zu, weil darin Konsequenzen für den Fall einer Säumnis nicht zum Ausdruck gebracht worden seien. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass eine Gemeindebedienstete sich die an Josef R***** vorgenommene persönliche Aushändigung des Schreibens schriftlich bestätigen habe lassen. Auf das Vorbringen der Privatbeteiligten, beim Schreiben vom 15. Juni 2004 handle es sich um einen im Rahmen eines Bauverfahrens an Gerhard R***** gerichteten Verbesserungsauftrag, durch den einem vom Genannten angekündigten Devolutionsantrag die Grundlage entzogen werden sollte, die darauf angebrachte Empfangsbestätigung Josef R*****s wiederum hätte zum Beweis der Zustellung des Verbesserungsauftrages gedient (ON 5), ging das Bezirksgericht Leibnitz nicht ein.

Mit Beschluss vom 1. Februar 2005, AZ 1 Bl 129/04, wies das Landesgericht für Strafsachen Graz die dagegen von der Privatbeteiligten erhobene Beschwerde (ON 7) „als unbegründet zurück" (ON 9). In der Sachverhaltsschilderung erwähnte das Beschwerdegericht zwar die in ON 5 aufgezeigte und in der Beschwerde ON 7 nochmals dargelegte Zweckbestimmung des Schreibens vom 15. Juni 2004, schloss sich im Übrigen aber der Rechtsansicht des Erstgerichtes an.

Rechtliche Beurteilung

Die rechtlichen Erwägungen des Bezirksgerichtes Leibnitz und des Landesgerichtes für Strafsachen Graz stehen - wie der Generalprokurator in seiner gemäß §§ 33 Abs 2, 292 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 74 Abs 1 Z 7 StGB kommt einer Schrift dann Urkundenqualität zu, wenn sie errichtet worden ist, „um ein Recht oder ein Rechtsverhältnis zu begründen, abzuändern oder aufzuheben" (sogenannte „Dispositivurkunden") oder „eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen" (sogenannte „Berichts-", „Zeugnis-" oder „Beweisurkunden"). Die so umschriebene Rechtserheblichkeit ist nicht vom Beweiswillen des Ausstellers abhängig, sondern eine der Urkunde objektiv anhaftende Eigenschaft. Ob sie im Einzelfall vorliegt, ist an Hand der für den Urkundenbegriff maßgeblichen Kriterien und Auslegungsgrundsätze zu ermitteln (vgl SSt 52/10). Dabei genügt es nicht - wie dies beide Gerichte getan haben - nur den Wortlaut der Schrift nach darin allenfalls zum Ausdruck gebrachten rechtlichen Konsequenzen zu untersuchen, sondern sind hiebei auch sämtliche sonstigen rechtlichen (Rechtsvorschriften, Verkehrsauffassung, Vereinbarung der Beteiligten) und tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, wobei nach herrschender Lehre und Judikatur (vgl SSt 54/42 [156 ff]) die (allenfalls auch nur geschäftsinterne) Erheblichkeit für irgendeine Tatsache von rechtlicher Bedeutung ausreichend ist (vgl Kienapfel/Schmoller BT III Vorbem §§ 223 ff Rz 37 iVm Rz 26; Kienapfel in WK² § 223 Rz 37 ff iVm Rz 17). Ein in einem Verwaltungsverfahren (hier: in Form einer „Ein"ladung des Bürgermeisters zu einer ein Bauverfahren des Empfängers betreffenden Besprechung zum Zweck der Ergänzung der für die behördliche Entscheidung erforderlichen Antragsunterlagen) ergangener Verbesserungsauftrag ist für die Tatsache rechtlich von Belang, ob und bejahendenfalls welche Umstände der Einhaltung der im § 73 Abs 1 AVG festgeschriebenen (auch für das Verfahren vor den Baubehörden maßgeblichen) Verpflichtung, über Anträge von Parteien und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen durch Bescheid zu entscheiden, entgegenstanden. Im Fall der behaupteten Versäumung dieser Entscheidungsfrist sind sowohl der Inhalt des Verbesserungsauftrages selbst als auch die Zeitpunkte seiner Erlassung und Zustellung an die Verfahrenspartei für die Prüfung der Berechtigung deren Devolutionsantrages von Bedeutung, ist ein derartiger Antrag doch abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist (§ 73 Abs 2 AVG).

Darüberhinaus ist eine - hier vorliegende - schriftliche Bestätigung über die Empfangnahme eines amtlichen Schreibens - unabhängig von dessen Inhalt - schon deshalb rechtserheblich, weil sie dem Auftraggeber zur Überprüfung der Erfüllung seines Dienstauftrages (auf Zustellung des Stückes an den Adressaten) dienen kann. Wird ein Schriftstück im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens (hier: Bauverfahren) zugestellt, kommt der Empfangsbestätigung überdies für die Prüfung von Rechtzeitigkeit und Art der Zustellung (hier: Ersatzzustellung) Bedeutung zu.

Die aufgezeigten Rechtsfehler haben den Beschuldigten begünstigt, weshalb es mit deren Feststellung sein Bewenden haben muss.